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Sonate, Konzert und Sinfonie aus drei Jahrhunderten Vivaldi, Bruckner, Schollum: Musik des 18., 19., und 20. Jahrhunderts. Gewaltig sind die zeitstilistischen Unterschiede, gegensätzlich der Untergrund gesellschaftlicher Zustände, unterschiedlich die nationalen Eigenarten, und kaum auf einen Nenner zu bringen sind die persönlichen und weltanschau lichen Überzeugungen der drei Komponisten. Und doch: Gemeinsam ist ihnen das Bestreben, eine formal gerundete, in sich gegliederte Musik zu schreiben, und so gebrauchen sie denn Formen, die ihre Gültigkeit über die Jahrhunderte hinweg bewiesen haben, als organisch gewachsene Ordnung, der sich die Meister aller Zeiten und Länder in freiwilligem Zwang gern unter worfen haben. Der Venezianer Antonio Vivaldi (1675—1718) war Konservatoriumsdirektor, Priester, Opernunternehmer, Komponist, Dirigent, Impressario und Geiger, der oft zwischen den Akten seiner Opernaufführungen eigene Violinkonzerte spielte, die nicht nur in Italien gefielen, sondern auch in Deutschland. Kein Geringerer als Johann Sebastian Bach bearbeitete eine große Anzahl dieser Violinkonzerte, transponierte und schrieb sie um. Auch das Vivaldische Konzert h-Moll für vier Geigen diente Bach als Vorlage für das bekannte Konzert für vier Klaviere oder Cembali, das wahrscheinlich in den Jahren zwischen 1730 und 1753 in Leipzig geschrieben wurde. Vivaldis Opus 3 war bereits 1715 in Amsterdam gedruckt worden. Ein Jahr vorher hatte der 17jährige Joachim Quantz in Pirna Violinkonzerte Vivaldis kennengelernt und von ihnen „als einer damals ganz neuen Art von musika lischen Stücken“ starke Eindrücke empfangen. Aus der Form des damals überaus beliebten „Concerto grosso“ herausgewachsen schrieben Torelli (1698) und Albinoni (1700) die ersten Solokonzerte für Violine. Durch Vivaldi wurde dann die Dreisätzigkeit mit der Folge „schnell—langsam--schnell“ festgelegt und zur Regel erhoben. Durch Bachs großartige Bearbeitungen, die weit mehr sind als „nur“ Transpositionen, gerieten die Vivaldischen Urbilder leider etwas in Vergessenheit. Das ist bedauerlich, denn die Pracht des vielfach geteilten Streicherklanges ist so reizvoll und unmittelbar, daß wir uns der starken, fast rauschhaften Wirkung nur schwer entziehen können. Es wäre ungerecht, über die akkordisch bedingte Melodik abfällig zu sprechen; man muß sich im Gegenteil zu erkennen bemühen, „wie sehr diese scheinbare Primitivität der Erfindung zum Wesen solcher Musik gehört“ (Einstein).