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Die 7. und 8. Sinfonie entstanden beide im Jahre 1812, im Abstand von nur wenigen Monaten. An wichtigen Ereignissen brachte das Jahr 1812 den Tod des Fürsten Kinsky, der sich verpflichtet hatte (zusammen mit zwei anderen Gönnern Beet hovens) dem Meister eine feste Rente zu zahlen. Ein Zeitdokument wirft ein bezeichnendes Licht auf die gesellschaftliche Situation der damaligen Jahre. Wir lesen darin, daß „viele freiwillig den Tod.suchten“, weil sie verarmt und verschuldet dastanden. „Die Richter hatten ihre Not, sich in den Bestimmungen über die Herabminderung der Schuldforderungen sowie über die Berechnung der reduzierten Geldforderungen im Verhältnis zu den neuen Einlösungsscheinen zurechtzufinden“ (zitiert nach Reinitz). Beethoven reiste im Juli zu einer Kur nach Teplitz, wo er mit Goethe zusammen traf, der in einem Brief über Beethoven urteilte: „Zusammengeraffter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen“. Im Oktober fuhr Beethoven nach Linz zu seinem Bruder Johann, dort beendete er die Reinschrift seiner „Achten“, die denVermerk erhielt: „Sinfonia Lintz im Monath October 1812“. Wie stark und leidenschaftlich Beethoven in diesen Monaten mit seinem Schick sal der Ertaubung gerungen hat, zeigen uns verschiedene Tagebucheintragungen. Wir lesen dort: „Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für andere, für dich gibts kein Glück mehr als in dir selbst, in deiner Kunst. 0 Gott! Gib mir die Kraft, mich zu besiegen! Mich darf ja nichts an das Leben fesseln.“ Die 7. Sinfonie erhielt von Richard Wagner den erklärenden Untertitel „Apotheose des Tanzes“. In seiner Schrift „Das Kunstwerk der Zukunft“ schrieb der Meister: „Sie ist der Tanz nach seinem höchsten Wesen, die seligste Tat der in Tönen gleichsam idealistisch verkörperten Leibesbewegung.“ Das ist eine Möglichkeit der Deutung, die am eigentlichen Inhalt der Sinfonie noch vorbeigeht, obwohl Wagner seine Worte benutzte, um Beethovens „Drängen nach unmittelbarer sinnlicher Wirklichkeit“ zu charakterisieren. Darüber hinaus liegt gerade dieser Sinfonie eine klare und unmißverständliche Idee zugrunde, und Karl Schönewolf spricht in seiner neuen Beethovenbiographie zusammenfassend vom Programm der Sinfonie als einer „revolutionären Idee des Patrioten Beethoven, der durchdrungen ist von der Bedeutung der Zeitereignisse, von der leidenschaftlichen Anteilnahme Jpm Verlauf des Befreiungskampfes und von der Notwendigkeit des Sieges.“ Ein jeder Sinfoniesatz verkörpert eine menschliche Welt für sich und ist doch Teil des Ganzen. Besonders zwingend in seiner sieghaften Dramatik — um nur auf einen Satz einzugehen — ist das Finale. Die ungestüme Tanzlust ergreift den Hörer spontan und reißt ihn mit fort. Von Paul Bekker wissen wir, daß der Nachsatz des ersten Themas einer kleinrussischen Melodie nachgebildet wurde. Im Verlaufe der sinfonischen Entwicklung kommt es zu großartig geballten Steigerungen, die Bettina von Arnim so begeisterten, daß sie sich dabei vorstellte, man „müsse mit fliegenden Fahnen voranziehen den Völkern“. Beethoven hatte recht, wenn er seine „Siebente“ eine seiner „vorzüglichsten“ Sinfonien nannte.