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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1.1957
- Erscheinungsdatum
- 1957
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-195700006
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19570000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19570000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Heft Nr. 1 fehlt. Teilweise vorlagebedingter Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1.1957
-
- Ausgabe Nr. 2, 16. April 1
- Ausgabe Nr. 3, 1. Mai 1
- Ausgabe Nr. 4, 15. Mai 1
- Ausgabe Nr. 5, 29. Mai 1
- Ausgabe Nr. 6, 12. Juni 1
- Ausgabe Nr. 7, 26. Juni 1
- Ausgabe Nr. 8, 9. Juli 1
- Ausgabe Nr. 9, 23. Juli 1
- Ausgabe Nr. 10, 6. August 1
- Ausgabe Nr. 11, 21. August 1
- Ausgabe Nr. 12/13, 17. September 1
- Ausgabe Nr. 14, 1. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 15, 15. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 16, 29. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 17, 12. November 1
- Ausgabe Nr. 18, 26. November 1
- Ausgabe Nr. 19, 10. Dezember 1
- Ausgabe Nr. 20, 31. Dezember 1
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Band
Band 1.1957
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- Titel
- Universitätszeitung
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Hang-Joachim Backhaus? Intermezzo an der Donau Der Leutnant William F. Todder war Zugführer in einer Kompanie im ameri kanisch besetzten Sektor Wiens. Er war groß und schwarzhaarig, hatte eine Zeitlang durch Lebensmittelschiebungen seine Löhnung aufgebessert, verliebte sich allwöchentlich in ein anderes Wie ner Mädchen und fand meistens Gegen liebe. Er war nicht besser und nicht schlechter als seine Kameraden. Oester reich war ein nettes Land, und die Oesterreicher waren ein nettes Volk, wenn sie auch als Nichtamerikaner mit einer gewissen Distanz behandelt wer den mußten. Von den ehemaligen Waf fenbrüdern, den Russen, wußte der Leutnant Todder überhaupt nichts, ob wohl die Russen nur einige Straßen weiter ihren Sektor hatten. Es wurde erzählt, daß die Russen sehr viel Schnaps tranken, und Leutnant Todder glaubte es unbesehen. Alkohol war auch seine Leidenschaft, und er fand nichts Nachteiliges in der Vorliebe der Rotarmisten für Wodka. Sah er einmal ten sich zwei Dörfer vor dem tobenden Wasser. An mehreren Stellen war der Deich gerissen, Menschenleiber, eng aneinandergepreßt, dichteten die Ein bruchstelle ab, und es konnte nur eine Frage von Minuten sein, bis die Men schen, erstarrt durch Wasser und Wind, von den Fluten fortgespült wurden. Der Leutnant William F. Todder sah, daß die Menschen erdbraune Unifor men trugen, ihre Gesichter waren blau vor Kälte — aber der Leutnant konnte jetzt keinen Bogen um sie machen, er schrie Haskell, seinem Sergeanten, einen Befehl zu und watete knöcheltief im Schlamm zur Einbruchstelle. Seine Leute folgten ihm. Die Rotarmisten waren tödlich erschöpft, sie waren verdreckt, durchnäßt und durchfroren, aber sie wichen nicht von der Stelle, sie rückten nur ein wenig zur Seite, um den aus geruhten Amerikanern Platz zu ma chen, denn je dichter die Menschen drängten, um so mehr boten sie dem Wasser Widerstand. Leutnant Todder Illustration zuVictor Hugos»Notre-Dame von Paris Der Schöpfer dieser Illustration, Thomas Weise, ist Student an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Er ist fünfundzwanzig Jahre alt und wird dieses Jahr sein Stzidium abschließen. 1956 wurden seine Illustrationen zu Vanima Vanini „Vittoria Accovamboni““ und „Schlacht von Waterloo“ von Stendhal auf dem Fest junger Künstler in Karl-Marx-Stadt mit einem Preis aus gezeichnet. Neben den Illustrationen, mit denen er mit einigen Beiträgen auf der Ausstellung zur „Vorbereitung der VI. Weltfestspiele“ in Berlin vertreten ist, gilt sein Interesse auch der freien Grafik. eine Gruppe von Rotarmisten, machte er einen vorsichtigen Bogen um sie, denn er besaß zu Hause in Nevada eine kleine Mechanikerwerkstatt, rechnete sich selbst zum Unternehmerstand und hatte keine Lust, mit erklärten Feinden des Unternehmertums in allzunahe Be rührung zu kommen. Dazu bestand auch keine Veranlassung, denn die Rot armisten hatten sich nie an Schwarz marktgeschäften beteiligt, im Gegen satz zu den Engländern, den Franzosen und den Oesterreichern. Im Juli jenes Jahres regnete es tage lang und wochenlang, es trat die Donau über die Ufer, zerbrach die Deiche, spülte tiefgelegene Häuser und Gehöfte fort und überschwemmte Dörfer und Städte. In jenem Juli trat auch die Ein heit des Leutnant Todder an, um zu retten, was zu retten war. Dort, wo die amerikanischen Soldaten eingesetzt wurden, gab es keinen Fluß mehr, es gab nur ein weites, schmutzigbraunes Meer, und auf dem Meere schwammen Möbelstücke, Hausrat, Balken. Dazu pfiff ein eisiger Wind, und der Regen peitschte in schrecklicher Monotonie Es galt für die Soldaten, einen Deich abzustützen; hinter diesem Deich duck stand zwischen zwei Rotarmisten — einem jungen, schlacksigen Gefreiten mit einem runden Kindergesicht und einem stämmigen, schnauzbärtigen Unterleutnant. Dem Leutnant Todder war seltsam zumute, er sah, daß sich die Gesichter der amerikanischen Solda ten und die Gesichter der sowjetischen Soldaten kaum noch voneinander unter schieden in ihrer Verbissenheit, dem Was ser Trotz zu bieten, und in ihrer Er schöpfung. Zwischen einem Rotarmisten und einem österreichischen Zivilisten be merkte Todder die breiten Schultern Steve Haskells, seines Sergeanten, und dann wurden alle äußeren Eindrücke und alle Gedanken verwischt von einer alles überdeckenden Erschöpfung. End lich kamen Lastwagen mit Balken, Steinen und Sandsäcken, und Rotarmi sten, Amerikaner und Oesterreicher wurden abgelöst. Einige taumelten und legten sich lang in den Schlamm. Der stämmige Unterleutnant fingerte eine feuchte Packung Zigaretten aus der Tasche und bot dem Amerikaner an. „Papirossi", sagte er. Todder schüttelte den Kopf. Der Rotarmist lachte: „Papi rossi gut.“ — „Nix gut“, sagte Todder. „das besser.“ Er hielt dem Rotarmisten eine kleine Flasche Schnaps vor das Ge sicht: „Du trinken.“ Der Rotarmist wehrte ab: „Schnaps nix gut.“ Komisch, dachte Todder erschüttert, ich denke, die saufen so. Er sagte: „Trinken — prima, prima ...“ Der Russe verzog das Gesicht, er nahm höflichkeitshalber die Flasche, trank einen winzigen Schluck und schüttelte sich zu Todders Erstau nen. „Du nix Schnaps?“ fragte Todder. Der Russe sagte: „Nix Schnaps.“ Er suchte einige Brocken Englisch zusam men und radebrechte: „Milk — yes, water — yes, snaps — no.“ Todder spülte seine Erschütterung mit einem großen Schluck hinunter. Der Russe machte eine kurze Verbeugung. „Ich — Sergej Michailowitsch Wolkow“, sagte er. Dem Leutnant Todder blieb der Mund offen: Jetzt, in dieser Situation, verdreckt, frierend und durchnäßt, stellte sich der Rotarmist vor! Die Bur schen hatten ja Lebensart! Fast schämte sich der Leutnant Todder. Auch er nannte seinen Namen. Der Deich war gerettet. Todder und der Rotarmist erkletterten die Böschung. Endlos dehnte sich die Wasserfläche jenseits des Deiches. Todder erschrak. Was dort vorbeitrieb, zehn Meter ent fernt, dem Strudel entgegen, wo es un rettbar zerschellte — was dort vorbei trieb, das war ein Floß. Auf dem Floß aber saß eine Frau, und die Frau hatte ein Kind im Arm. Die Frau schrie nicht, wahrscheinlich war sie zu schwach zum Schreien, sie winkte nur matt mit der Hand. Auch das Gesicht des sowjeti schen Unterleutnants war totenbleich. Im Augenblick war es Todder, als trüge die unbekannte Frau dort auf dem Floß die Züge Janes, seiner eige nen Frau, und das Kind war sein Kind, seine kleine Adelaide. Todder schluckte, sein Mund war staubtrocken, er schrie lautlos, streckte die Arme aus und sprang ins Wasser. Haskells Schrei hörte er nicht mehr: „Zurück, Leutnant — verrückt ist das!“ Jetzt, da er im Was ser schwamm, wußte er selbst, daß es verrückt war, was er getan hatte; wohl konnte er das Floß erreichen, aber nur, um zusammen mit der fremden Frau und dem fremden Kinde im Strudel zerschmettert zu werden, während Jane und seine kleine Adelaide vergebens in Nevada auf ihn warteten. Er schwamm auf das Floß zu, er zog sich an den Balken in die Höhe. Teilnahmslos starrte die fremde junge Frau auf den amerikanischen Offizier, das Kind wim merte leise. Der Leutnant Todder ver lor die Nerven. Er begann angesichts der Sinnlosigkeit dessen, was er getan hatte, angesichts eines schrecklichen Todes im Strudel hemmungslos zu schluchzen. Er sah nicht, daß man auf der Deich böschung in fieberhafter Arbeit, einen starken Balken an einer langen Kette befestigt hatte. Auf der Böschung stan den Amerikaner, Rotarmisten und Oesterreicher, schoben den Balken ins Wasser und ließen die Kette durch die Hände gleiten. Bäuchlings auf dem Balken lag ein Mensch, ruderte mit Armen und Beinern auf das Floß zu. Es war eine tödliche Arbeit, eine Todes arbeit,-und das, was Todder im Affekt getan hatte, das tat der Mensch auf dem Balken in vollem Bewußtsein der Gefahr. Dann hörte Todder die rauhe, kehlige Stimme Sergej Michailowitschs dicht neben sich: „Towarischtsch Ame rican — Towarischtsch American — nimm Hand!“ Sergej Michailowitschs Gesicht war rot vor Anstrengung, die hellen Haare klebten ihm in die Stirn, er streckte beide Hände nach Todder aus, und Todder packte fest zu. Die Frau, in neuerwachtem Lebenswillen, preßte das schreiende Kind an die Brust und klammerte sich mit der anderen Hand an den amerikanischen Offizier. Sergej Michailowitsch schrie ein russisches Wort zur Deichböschung und dort wurde die Kette angezogen. Vier Menschen erreichten nach weite ren zehn Minuten Todesangst das feste Land. Fünfundzwanzig Meter weiter gischtete der Strudel umsonst nach Opfern. „Papirossi“, sagte Todder, als er wie der zu sich kam. Gierig rauchte er die russische Zigarette mit dem langen Panpmu- '.stück, die ihm Sergej Michai lowitsch gegeben hatte. Der scharfe Tabak kratzte ihm im Hals, er mußte husten. „Karosch, Towarischtsch?“ fragte Sergej Michailowitsch. Towarischtsch? dachte Todder. Er wiederholte fragend: „Towarischtsch?" Die russischen Zisch laute nahmen sich seltsam in seinem Munde aus. „Towarischtsch“, bestätigte Sergej Michailowitsch „ich Mensch, du Mensch — alles Mensch. Dort — Was ser ...“ Er zeigte auf die weite, schmut zige Fläche. Todder nickte. Stunden später, als die sowjetische Einheit abzog, preßte der Leutnant William F. Todder, einen Abschieds gruß andeutend, die Hände über dem Kopf zusammen. Sergej Michailowitsch bemerkte die Handbewegung des Ame- iikaners und grüßte mit derselben Ge bärde zurück. Todder löste die Hände nicht eher voneinander, bis der letzte Rotarmist im Grau des verregneten Juliabends verschwunden war. NEUE POESIE Ein wunderliches Sonntagskind ist der Poet; er sieht Eichenwälder, welche noch in der Eichel schlummern, und er hält Zwiesprache mit den Geschlechtern, die noch nicht geboren sind. Sie wispern ihm ihre Geheimnisse, und er plaudert sie aus auf öffentlichem Markt. Aber seine Stimme verhallt im lauten Getöse der Tagesleidenschaft; wenige hören ihn ... Friedrich Schlegel nannte den Geschichts schreiber einen Propheten, der rückwärts schaue in die Vergangenheit; man könnte mit größerem Fug von dem Dichter sagen, daß er ein Geschichtsschreiber sei, dessen Auge hinaysblicke in die Zukunft. Heinrich Heine Werner Lindemann: WESTDEUTSCHE MARGINALIEN SCHREIEND jagen die Kinder über die Parkwege. Sie spielen Krieg. Schweigend, das Spiel der Kinder verfolgend, sitzt ein Mann auf der Bank und sonnt seinen Beinstumpf. ICH STEHE VOR EINEM STAATLICHEN GEBAEUDE An der Mauer hängt ein Schild: Wehrmeldeamt. Hinter den Fenstern hämmern Schreibmaschinen. Wie Maschinengewehre. KALENDERGESCHICHTE Zwei Jungen beraten sich: Ich werde die Leiter holen... Und ich werde hinaufsteigen, und das Nest aus der Mauernische reißen... Die Mutter hört es und sagt: Das darf man nicht. Warum? fragen die Jungen. Das nennt man Mord, sagt die Mutter. In der Nacht zerbomben feindliche Flieger das Dorf. Die Jungen halten der Mutter die kleinen toten Vögel hin und fragen: Warum? Reiner Kunze: EINES TAGES Eines Tages ward Das Bessere in uns — Jenes Leuchtfeuer, das wir nicht sehn, Dessen Scheines Unruh wir nur spüren... Eines Tages ward Das Bessere in uns — Jenes Leuchtfeuer, das wir nicht sehn, Afef^wei-Augen' erbliskt,- die «a&Wfrhv Eines Tages ward Das Bessere in uns - Jenes Leuchtfeuer, von zwei Augen erblickt, Und wir sahn es in ihrem Glanze. DUWEISST Du weißt zur Stunde ihn an fremdem Ort. Mit dem Verstand begreifst du seine Ferne. Du weißt, es liegen zwischen ihm und dir Ein Himmel Sonne und ein Himmel Sterne. Und doch trittst du ans Fenster immerfort Helmut Preißler: HERBSTABEND IM WALDE Das Moos ist grau, und aus dem Wurzelnest der alten Bäume steigt die Dunkelheit und setzt sich in den vollen Kronen fest; dort hockt sie lauernd wie ein wildes Tier, verschlingt das Dämmerlicht und löscht die Zeit... Ich würde frieren, wärst du nicht bei mir. BEIM LESENVON NEUEN VERSUCHEN MIT WASSERSTOFFBOMBEN Und manche Menschen sind immer noch stumm! Aber die kreisenden Sonnen verbrennen den fruchtbaren Boden! Die Schöße verkrampfen und speien die Frucht in das Eis! Und manche Menschen sind immer noch stumm! Aber die Meere voll Quallen bedrängen beladene Schiffe! Die Wasser sind strahlendurchzittert und peitschen die Leiber der Fische! Und manche Menschen sind immer noch stumm! Aber der Mond badet gelb in geronnenen Lüften! Die Geier sind ruhig, und Singvögel sind schon gestorben! Und manche Menschen sind immer noch stumm! Aber sie leben verwurzelt im Boden! Aber sie leben verwurzelt im Wasser! Aber sie leben verwurzelt in Lüften! Und sie sind immer noch stumm! Zu unseren Beiträgen: Werner Lindemann studiert am Literaturinstitut. Von ihm wird Ende des Jahres im Mitteldeutschen Verlag ein Gedichtband erscheinen. — Reiner Kunze ist Assistent an der Fakultät für Journalistik. Die Gedichte sind seinem neuen Buch „Gedicht für Mädchen, die lieben“ entnommen, das noch nicht ganz be endet ist. — Die Gedichte von Helmut Preißler, ebenfalls Student am Literaturinsti tut, erscheinen im August in der Reihe „Antwortet uns!“. Verlag Völk und Welt. Universitätszeitung / 12. 6.1957 / Seite 5
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