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Vermessene Gedanken Nun kommen wieder Erntezeiten, unseren Studenten wohlbekannt. Die Kranken heilen ihre Leiden, die übrigen fahren auf das Land! Dort gibt es etwas zu verdienen, der Körper arbeitet sich aus; man kommt, was allen gut erschienen, aus der Studierstube heraus. Die Knollen rollen! Körbe fliegen! Man arbeitet mit voller Kraft. Es bleibt kaum eine Knolle liegen. So hilft man der Genossenschaft und lebt indessen sozusagen in frischer Landluft, kostenlos; braucht übers Essen nicht zu klagen und denkt sich dabei eines bloß: Wir buddeln hier in langen Wochen für alle die Kartoffeln aus. Was manche Küchen daraus kochen, ist oftmals ein gelinder Graus! Nun, die Gedanken sind vermessen, die man beim Ernten manchmal spürt; man kommt zurück, hat sie vergessen, verschlingt sein Essen und studiert! Lu. Genügend Mist Der ehemalige Notstandskreis Templin gehört heute nicht zu den schlechtesten Kreisen im Bezirk Neubrandenburg. Einen der Gründe dafür darf man darin sehen, daß die Genossenschaften jetzt mit Maschinen und Düngemittel gut ausgerüstet sind. Davon wagten im Sommer 1945 allerdings nur wenige zu träumen. Die Bürgermeister etwa waren damals froh, wenn sie wenigstens die allerdringendsten Aufgaben einigermaßen lösen konnten. Und manchmal schienen ihnen verschiedene Fragen, die sie schriftlich beantworten mußten, recht überflüssig. So ging es eines Tages auch dem Bürgermeister von Wichmanns dorf. Als er in den frühen Morgenstunden von einer Versammlung zurückkehrte, froh darüber, gegen den Widerstand einiger satter Spekulanten drei Umsiedlerfamilien untergebracht zu haben, fand er auf seinem Schreibtisch die Aufforderung, umgehend dem Land rat zu berichten: Wieviel Dünger — Kunstdünger, natürlicher Dünger, welcher Art und in welchen Mengen — ist im Dorf vorhanden? Da setzte sich der übermüdete und innerlich noch erregte Bürger meister hin und schrieb kurz und bündig: »Mist ist von der letzten Regierung noch genügend vorhanden!“ Aus Jurij Brezans Erzählung „Die alte Jantschewa' Ein Schnappschuß ... und schon ist wieder ein Bild, für den Fotowettbewerb des „Hochschul-Spiegels", „Mein schönstes Ferienbild" fertigt Denken Sie daran, daß letzter Einsendetermin der 15. Okto ber ist. (Bedingungen wurden in unserer Ausgabe Nr. 12 veröffentlicht.) ..Betreten verboten! Zuwiderhand lung wird mit 5 RM bestraft!“ Solch eine Tafel verbot auch das Betreten des Waldstückes, in dem die Jantschowa Astholz zu wldern pflegte. Daran konnte sich die Jantschowa natürlich nicht halten und, obwohl sie aufpaßte wie ein Wachhund, überraschte sie eines Morgens der Pächter. Glücklicherweise war sie gerade erst über die Schneise gewechselt und hatte nicht einmal einen Tan nenzapfen in der Hand. Da sie sich weigerte, die fünf Mark zu zahlen, bekam sie eine Strafverfügung der Polizei, die be reits höher w’ar, und weil sie immer weiter um Gerechtigkeit kämpfte, wurde ihr am nächsten Auszahlungs tag fast die doppelte Summe — näm lich neun Mark — von ihrer Witwen rente abgezogen. Das hatte zweierlei zur Folge: ein mal mußte der Enkel, der inzwischen schon das fünfte Jahr zur Schule ging, mit in den Wald fahren und aufpassen, daß sie der „verrückte Satan“ nicht wieder überraschte. Und zweitens passierte es in diesem Herbst zum erstenmal in der Ge schichte des Dorfes, daß eine Frau in einer politischen Versammlung auftrat. Und das kam so: Es waren wieder Wahlen im Lande. Im Wirtshaus fand eine Versammlung statt; die Rede sollte der Pächter halten. Der Wirtshaussaal war fast voll, weil die Gutsarbeiter und -angestell ten die Teilnahme an der Versamm lung als Überstunden bezahlt be kamen. Außerdem war der Kauf mann da mit allen, die von ihm Lohn erhielten, der Kantor und der Schneidermeister Wosol, der für sein Leben gern Uniformen schneiderte. Der Pächter sprach ziemlich lange von „Bonzenrepublik“, „eisernen Besen“, „nationaler Ehre“, „Vater land“ und ähnlichem, wozu der Kan tor. der Kaufmann, der Schneider und einige Rittergutsleute laut klatschten. Die Jantschowa verstand nicht sehr viel von der ganzen Rede. Aber eines wußte sie aus langer Erfah rung: Wenn die Reichen so lange und so freundlich zu Arbeitern reden, bereiten sie Schlimmeres vor, als wenn sie schimpfen, schreien oder drohen. Keiner der Gutsarbeiter wagte etwas zu erwidern, als gefragt wurde, ob noch jemand sprechen wolle. Deswegen stand die Jantschowa auf, lächelte die Arbeiter teils ver legen, teils zutraulich an und be gann: „ich kann ja nicht so gut reden wie der Herr Pachtmann. Ich bin eben bloß die alte Jantschowa, und der Herr Pachtmann weiß viel mehr als ich. Ich weiß bloß, daß Herren freundlichkeit so lange dauert wie Schnee zu Pfingsten. Und daß der, der den Herren Dornen aus dem Hin tern zieht, den Stock dafür be kommt.“ Hier fiel der Kantor mit fester Stimme ein: „Zur Sache, Jan- tschow’a!", und der Kaufmann ver langte, daß ihr das Wort entzogen werde. „Ich weiß ja, daß man sich die Zunge verbrennt, wenn man Herren die Wahrheit sagt“, fuhr die Frau tapfer fort, ohne auf die Einwürfe zu achten. „Ich will bloß noch sagen, daß der Herr Pachtmann soviel vom Vaterland geredet hat. Bloß, der Herr Pachtmann hat ein anderes Vaterland als wir. Das Vaterland der Reichen ist der Gendarm für die Armen.“ „Aufhören, aufhören!“ schrie der Schneidermeister. „Ruhe!“ zischte der Gutsschmied den Schneider an, daß der fast vom Stuhl fiel. „Dazu sind wir nicht hergekom men, uns solch ungereimtes Zeug vorschwatzen zu lassen!“ murrte laut der Kantor. „Wir haben auch in der Schule an hören müssen, was uns der Kantor erzählt hat“, entgegnete der „herr schaftliche“ Jan, und alle Arbeiter lachten schadenfroh. Der Pächter kaute unentschlossen an seinem Schnurrbart und überlegte angestrengt: Ist es besser, daß ich die Alte quatschen lasse oder daß ich ihr das Maul verbiete ... „Rede nur weiter, Marja!“ verlang ten jetzt die Arbeiter, ohne die Ent scheidung des Pächters abzuwarten. Die Jantschowa ließ sich nicht ver ¬ geblich bitten: „Und dann hat der Herr Pachtmann soviel von Ehre ge- sprochen", hier fiel die Alte auf ein mal aus ihrem mühsamen, holprigen Deutsch ins vertraute Sorbisch. Ob zwar der Kaufmann, der Kantor und auch der Pächter gut sorbisch ver standen (untereinander gebrauchten sie allerdings nicht die Sprache der Bauern und Arbeiter), empfanden alle, daß die Jantschowa jetzt nur noch für die Arbeiter sprach. „Ich weiß ja nicht, was seine Ehre ist. Ich weiß eben bloß, was Hunger ist. Da von hat aber der Pachtmann nichts gesagt, wail er Hunger nicht kennt. Ich weiß auch, was Frieren ist. Der Herr Pachtmann weiß bloß, wie er armen Leuten Holz wegnehmen kann. Und ein Beil für fünf Mark. Und neun Mark von der Rente, wo ich bloß siebzehn kriege!“ Hier klingelte der Pächter mit der Glocke und schrie: „Ich entziehe Ihnen das Wort!“ Das machte aber gar keinen Ein druck auf die Jantschowa. „Wenn wir vom Hunger reden und vom Frie ren und vom Unrecht, dann verbie ten sie uns den Mund“, sprach sie weiter. Der Pachtmann erhob sich und ver kündete: „Die Versammlung ist ge schlossen!“ Einen Augenblick lang schaute die Alte verblüfft zu, wte alle aufstan den, um heimzugehen. Aber sie hatte noch etwas auf dem Herzen: „Es gibt viel mehr arme Leute als Reiche. Die können uns nicht den Mund ver bieten“, rief sie, während der Päch ter und die anderen Dorfreichen schon an der Saaltüre waren und die Arbeiter noch vor ihren Stühlen standen. Die Arbeiter klatschten nicht. Aber der zweite Ackerkutschei’ Rohark sagte: „Jetzt trinken wir alle zu sammen einen Schnaps. Und für die Marja zahle ich.“ Dann meinte der eine oder der andere noch: ..Donnerwetter, Marja — du hast geredet wie ein Pfarrer!“ Oder: „Dich werden wir in den Reichstag w“ählen, Marja!“ Da lachten alle, und dann tranken sie ihren Schnaps und gingen in Trüppchen nach Hause. Keiner xon_ihnen_aber. dachte an das, was der Kaufmann aussprach, als er auf dem Heimweg zum Kan tor sagte: „Das alte Luder hat uns die Versammlung geschmissen! Nicht einen Pfennig Kredit kriegt sie mehr bei mir!“ Wochenlang erzählten sich die Leute von dieser Versammlung und stritten darüber, ob die alte Jan tschowa recht gehabt hätte mit dem, was sie von „Ehre“ und „Vaterland“ gesagt hatte. Es gab ja genug im Dorf, die Zeit zum Streiten hatten. Fast die Hälfte der Männer und die meisten jungen Burschen waren ar beitslos und hörten auf den Stem pelstellen in der Stadt manches, was gar nicht so weit entfernt von den Worten der alten Jantschowa war. Bisher hatten nur wenige im Dorf etwas davon wissen wollen. Aber das Auftreten der Jantschowa brachte sogar die Frauen in Bewe gung. Am Abend des Wahltages stellte sich heraus, daß die holprigen Sätze der alten Frau stärker gewesen waren als die wohlgesetzte Rede des Pächters: Zum ersten Male in der Geschichte stimmte die Mehrheit der Gemeinde für die Linken. Die Leute waren selbst überrascht von dem Ergebnis - und viele schämten sich ein bißchen, nun als „rotes Dorf“ in der ganzen „schw’ar- zen“ Gegend bekannt zu werden. Zugleich aber waren alle sehr stolz darauf, daß die Stahlhelmer nur ein rundes Dutzend und die Nazis sogar bloß zwei Stimmen in ihrer Ge meinde erhalten hatten. ^IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIH | „Hochschul-Spiegel" j E Redaktionskollegium: Dipl.-Leh- E E ter H. Model (Redakteur), Ing. = = Chr. Dölling. Dipl.-Ing. G. Eil- E = hauer, Dipl.-Sportlehrer G. Hauck, = E Dipl.-phil. A. Heidemann, Dipl.- = E Ing. Kempe, A. Lohse, Dipl.-Math. E = Mätzel, Dr. rer. nat. Schneider. = E Herausgeber: SED-Betriebspar- = = teiorganisation der Technischen = = Hochschule Karl-Marx-Stadt. Ver- E E öffentlicht unter Lizenz-Nr. 125 K = = des Rates des Bezirkes Karl- = = Marx-Stadt. Druck: Druckhaus E = Karl-Marx-Stadt. 1579 = liiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiii'iiiiiiiiiiiiiiiiiiiin