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Nikolai Rimsky-Korssakow: Scheherazade In Nikolai Rimsky-Korssakow tritt uns eine der stärksten Persönlichkeiten aus der Musikwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts entgegen, ein Schaffen der, dessen Einfluß noch bis in unsere Zeit spürbar ist. Seine malerische Phan tasie und sein seltener Farbensinn offenbaren sieh besonders deutlich in der ,,Sinfonischen Suite Scheherazade“, op. 85. Die Dichtung knüpft an die Er zählung von der schönen Prinzessin Scheherazade an. Der grausame Sultan Schahriar hat mit vielen Frauen seines Reiches das Glück einer Nacht ge nossen, um sie dann in einem wilden Blutrausch umzubringen. Scheherazade begibt sich freiwillig in die Gefahr des Zusammenseins mit dem Despoten, weiß aber durch die Macht des Märchenerzählens alle bösen Triebe des Mannes in tausend und ein Nächten zurückzudämmen und befreit durch ihre erlösende Hingabe das Land von dem Fluche des Tyrannen und diesen selbst vom Elend seiner Blutwildheit. Von zwei Themen werden alle Teile der Suite beherrscht. Denn das Bild der schönen Märchenerzählerin und ihres Partners bleibt hinter den vier eigent lichen Erzählungen, d. h. den vier Suitensätzen, immer erhalten, so wie im Rondosatz der Sonate das Hauptthema immer wiederkehrt und zum eigent lichen Rückgrat der Musik wird. Die Einleitung, Largo maestoso, bringt die Hauptsituation, den herrisch grausamen Sultan in seinem sehr markanten Hauptthema, und das zarte Gegenstück dazu, die einschmeichelnde, ganz frauliche Scheherazade mit ihrem Lentothema, das über begleitenden Llarfenakkorden von liebenswürdig spielerischen Kadenzen der Solovioline gegeben wird. Das eigentliche Mär chen des Satzes behandelt die abenteuerliche Fahrt Sindbads, des See fahrers. Wichtig für den Aufbau der Themen ist aber der Wechsel, der mehr mals von dieser Erzählung zurückführt zu der Auseinandersetzung zwischen Sultan und Großwesirstochter. Das Kräftespiel der beiden Charaktere Sultan und Scheherazade wird im wechselnden Farbenklang des Orchesters spürbar, bis — bezeichnenderweise — die Sultansmelodie den Ausklang bildet, aber nicht mehr rauh und herrisch, wie am Anfang, sondern leise verklingend. Der zweite Satz wird wieder von einem, diesmal kurzen, Lento des Schehe razademotivs eingeleitet. Dann bringt ein Andantino die Erzählung des selt samen Prinzen Kalender. Die Variationen dieser phantastischen Gestalt des orientalischen Märchens, eines schnurrigen Eulenspiegels, werden jäh ab gebrochen: der Sultan mischt sich mit seinem barschen Thema ein (allegro moderato und allegro molto), aber auch hier antwortet die Stimme Schehe- razades (Klarinette) und leitet die bange Stimmung sogar in ein Vivace scherzando hinüber. Den Ausklang des Satzes bildet wieder die Erzählung vom Prinzen Kalender, die in eine kraftvolle Steigerung hineingeführt wird. Der dritte Satz bringt die lyrische Erzählung vom „Jungen Prinzen und der jungen Prinzessin“. Es ist eine Andante-Melodie von heiterem, anmutigem