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Ludwig van Beethoven hat seine 3. Sinfonie ursprünglich Napoleon gewidmet, dessen Taten damals die Welt erschütterten. Auf der Kopfseite der in Wien befindlichen Abschrift kann man heute noch undeutlich die von Beethoven geschriebenen Worte „intitolata Bona parte“ lesen. Warum nur noch undeutlich? Beethoven hat sie später entfernt. Er wollte mit der Sinfonie Napoleon als den großen Helden der Freiheit feiern, der gleich einem römischen Konsul das Volk in Freiheit regieren würde. Anfang Mai 1804 war die Partitur fertig. Am 20. Mai erfolgte die feierliche Proklamation der Krönung Napoleons zum Kaiser von Frank reich. Als Beethoven dies erfuhr, geriet er in Wut. Er rief aus: „Ist der auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeiz frönen, er wird sich nun höher wie alle andern stellen, ein Tyrann werden“. Für Beethoven, der sich nicht vor Fürsten beugte, der es Goethe verübelte, daß er allzu respektvoll den Hut vor der Hofgesellschaft zog, für Beethoven, der den „Fidelio“ schrieb, diesen Weheruf wider alle Despotie und Diktatur, war der Gedanke unerträglich. Und so zerstörte er die geistige Verbindung, die zwischen einer bestimmten Person und seinem Werk bestand. Es blieb eine Sinfonie, die dem heldischen Menschen überhaupt gewidmet war. Und sie erhielt auf dem neugeschriebenen Titelblatt den Namen „Eroica“. Heroische Sin fonie. Helden-Sinfonie. » Beethoven wollte damit aber keineswegs den Lebenslauf eines Helden schildern. Er war kein Programmusiker. Er hatte nicht den Straußschen Ehrgeiz, einen Helden oder gar sich selbst als Helden porträtieren zu wollen. Ihm ging es um die Idee des Heldischen. Die Be schäftigung mit dem heldischen Gedanken mag es bewirkt haben, daß diese dritte seiner Sinfonien gegenüber den beiden vorausgegangenen einen so gewaltigen Schritt bedeutete, eine so unerhörte Vertiefung, eine solche Revolutionierung der Form, daß die Zeitgenossen Beethoven nachsagten, seine Phantasie würde sich „ins Regellose verlieren“. Dabei hat er gerade die Regel erfüllt. Es ist eine echt sinfonische Tat, wie Beethoven das erste Thema ver arbeitet, ein Thema, das an die harmlose Spielerei von Mozarts Ouvertüre zu „Bastien und Bastienne“ erinnert. Hier aber wird es zum Ausdruck des Heldischen, besonders auch in den starken Spannungen der Durchführung, die den eigentlichen Inhalt des Satzes ausmacht: kein Wunder, da sie Spiegelbild des Kampfes ist. Der zweite Satz als Trauermarsch wäre am ehesten noch als Stück eines „Helden- lebens“ zu verstehen. Der dritte Satz aber als Scherzo läßt sich nur aus der Form der Sin fonie, aus dem in ihr waltenden Prinzip des Gegensätzlichen erklären. Ebenso wie das Finale, das in seiner Mischung von Sonaten- und Variationenform geradezu ein musikalisch-formales Experiment darstellt. Beethoven arbeitet mit zwei Themen, dem Thema der Variation und dem Thema des Sonatensatzes. Das erstere ist ein Baßthema, der ganze Satz eine, allerdings nicht konsequent durchgeführte Passacaglia (= Variationen über einem gleichbleibenden Baß). Nach verschiedenen Variationen verarbeitet Beethoven in einer ersten Durchführung das Material der beiden Themen, wobei die Fugentechnik eine große Rolle spielt. Es folgen zwei weitere Variationen, dann eine zweite Durchführung und schließlich die beiden Varia tionen, deren Eintritt leicht zu erkennen ist: das Tempo verlangsamt sich (Poco Andante), in einem weichklingenden fünfstimmigen Satz der Holzbläser schwebt das Gesangsthema vorbei. In der letzten Variation erscheint es als Baßthema. Daran anschließend die Coda; die —in ein Presto übergeführt — den Satz mit rauschendem Siegeslärm beschließt und auf diese Weise wieder „gegenständlich“ wird: das Leben des Helden endet mit Sieg und Triumph über alle Feinde. Die Komposition der „Eroica“ fällt in eine Hochblüte des Beethovenschcn Schaffens, der auch die „Coriolan- Ouvertüre“ entstammt. Auch sie ein Heldengedicht, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Denn Coriolan (es ist nicht der Coriolan Shakespeares) ist eine zwiespältige Seele und zerbricht an seinem Schicksal. Diesen Zwiespalt schildert Beet hoven. Im ersten Thema mit seinen unruhig drängenden Achteln und den scharfen Akkord schlägen (die schon in der kurzen Einleitung vorausgenommen werden) erkennen wir den Willensmenschen, der sich der Rache weiht, im zweiten Thema mit seiner eindringlichen Melodik hören wir die besänftigenden Stimmen der Frauen, zugleich aber auch ein Bild jenes anderen Coriolan, der sich von seinen Plänen abbringen läßt. Schnell gewinnen die negierenden Gedanken wieder die Oberhand. Der Ausklang der Ouvertüre und ein Vergleich mit der „Eroica“ lassen uns nicht im Zweifel darüber, daß dieser Mensch sein Schicksal nicht meisterte, sondern sich von ihm bezwingen ließ. Dr. Karl Laux