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Zur liinfü/uung: E3 gilt, den Blick wieder hinausschweifen zu lassen über die Grenzen Deutschlands, es gilt, die Kultur, die Kunst anderer Völker kennenzulernen, ihr wieder zu begegnen, wie es früher der Fall war, als wir teilhatten an dem großen geistigen Austausch der Nationen. Ein Blick in die Musik der nordischen Völker: sie haben seit den Tagen der Romantik ihre Eigenart entwickelt, im steten Gedankenaustausch mit der deutschen Musik, die für viele dieser nordischen Komponisten Schicksal wurde. Zu den Mitschöpfern der finnisch nationalen Musik gehört Armas Järnefeldt, der 1869 in Vijpuri geboren wurde. Er schrieb Klavierstücke, Lieder, Chorwerke mit Orchester, Männerchöre und Orchesterwerke, von denen besonders die sinfonische Dichtung „Korsholm" bekannt geworden ist. Sie trägt die charakteristische Handschrift dieses kultivierten Musikers, der eine gediegene Technik europäischen Zuschnitts mit einem nordisch gefärbten Idiom verknüpft. Auch dem, der die der sinfonische Dichtung ,,Korsholm" zweifellos zugrunde liegende ,,Handlung" nicht kennt, erschließt sich das Wesen des Werkes mühelos. In reicher Abwechslung zwischen lyrischen und dramatischen Elementen (jene repräsentiert vor allem durch das gleich zu Beginn ertönende schwermütige h-moll-Thema, diese bald, wie in dem Allegretto scherzando, tänzerisch beschwingt, bald von kämpferischen Tönen durchsetzt) wird es, knapp geformt, dem triumphalen Abschluß mit dem Zitat des liedes „Ein feste Burg" zugeführt. Der Norweger Edvard Grieg (1843—1907) nahm seinen kompositorischen Aus gangspunkt bei den deutschen Romantikern, die er während seiner Studienzeit in Leipzig kennenlernte. Bald aber regte sich in ihm die Eigenart, die aufs engste verknüpft ist mit der Musik seines Volkes. Das norwegische Volkslied, der norwegische Volkstanz waren die Quellen, aus denen er schöpfte. Und dieser frische Trunk befähigte ihn, Werke zu schaffen, die zugleich künstlerisch hochstehend und populär sind. Das ist wahrhaftig „Musik für alle", und Musik, deren sich keiner zu schämen braucht. Seine „Lyrischen Stücke für Klavier wurden einst zu Tode gespielt und sind heute zu unrecht in den Hinter grund getreten. Sie sind schönste Hausmusik. Und auch unter seinen. Liedern finden sich Perlen, die wieder hervorgeholt werden sollten. Griegs Musik hat ein ähnliches Schicksal erfahren wie die Mendelssohns. Auch an ihr ist einiges gutzumachen. Zu seinen be kanntesten Werken gehört die Schauspielmusik zu Ibsens „Peer Gynt", aus der einzelne Teile zu zwei Konzert-Suiten zusammengestellt sind. (Auch in einer Klavierbearbeilung erschienen.) Aus ihnen erfahren wir das Schicksal Peer Gynts. Wir erleben die „Morgen stimmung" des Tages, an dem Peer Gynt mit der geraubten Ingrid ins Gebirge kommt, hören die erschütternde Klage um seine Mutter, um „Ases Tod" (ein geniales Stück harmonischer Erfindungskunst — nur für Streichorchester), ergötzen uns an der feinen Exotik von „Anitras Tanz” (Anitra, die Tochter eines Beduinenhäuptlings, die den flatter haften Weltenbummler Peer Gynt kurze Zeit zu fesseln vermag) und sind Zeuge der Vor gänge „In der Halle des Bergkönigs", wo die Kobolde Peer Gynt in beängstigender Weise bedrängen (das Stück könnte mit seiner eigentümlichen Wiederholungstechnik das Vor bild von Ravels berühmten „Bolero" gewesen sein!). Die zweite Suite setzt mit dem „Brautraub" ein, wir hören aus den ersten Takten die Wut der Hochzeitsgesellschaft, vernehmen Ingrids ergreifende Klage und, von Grieg mit genialer Einfachheit gestaltet, die Schauer der Einsamkeit in den Bergen. Der zweite Satz ist ein anmutig-pikanter, lock^^ der „Arabischer Tanz", der uns wieder in Anitras Nähe führt. Der Satz „Peer Gv^H Heimkehr" führt den Untertitel „Stürmischer Abend an der Küste". Damit ist alles seinem Verständnis gesagt: ein wiid erregtes Seestück, ein Gescheiterter, ein Schiff - biüchiger des Lebens, kehrt Peer Gynt in die Heimat zurück. Hier erwartet ihn seine Jugendgeliebte. Aus „Solvejgs Lied" sprechen Sehnsucht, Treue, Verzeihen und fast mütterliche Liebe, die den müden Heimkehrer in die Arme schließt. — Daß Grieg auch in den großen Formen der Musik etwas zu sagen hatte, beweist sein Klavierkonzert, das wie (ine Huldigung an Schumann klingt und dennoch echt Griegsche, also nordische Musik ist. Neben Grieg und Sinding ist J. S. S v e n d s e n (1840—1911) der bedeutendste norwegische Komponist. Auch er war Schüler des Leipziger Konservatoriums, ein hochgebildeter, viel gereister Mann, der in seinem „Norwegischen Künstler-Karneval" (bekannt geworden auch unter dem Titel „Hochzeitsfest") den Rhythmus des polnischen Nationaltanzes (Polonaise) mit südländischer Melodik (ein lyrisches Mittelglied verarbeitet ein italie nisches Volkslied) und dem harmonischen Ausdruck seiner nordischen Heimat verbindet, zu einem sprühenden, übermütig tollenden Charakterstück. Dr. Karl L a u x