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Wir bedauern, offen gestanden, wenig den begonnenen Zersetzungsprocefs, sehen vielmehr darin lediglich einen nothwendigen Rückschlag früherer Ueberstürzungen und hoffen, dafs hier aus gesundere Verhältnisse als die bisherigen er wachsen. Die Vorwürfe treffen jedoch nicht allein den Ueberflufs an Hochschulen, sondern auch die dort eingeführten Lehrmethoden. Der ganze Streit dreht sich dabei um Wissen oder können. Die Industrie will lediglich Geld ver dienen. Soweit die Wissenschaft das unter stützt, ist sie willkommen, bleibt aber stets nur Mittel zum Zwecke. Einem ist sie die hohe, himmlische Göttin, dem andern eine tüchtige Kuli, die ihn mit Butter versorgt, bemerkte seiner Zeit sehr richtig unser Ehrenmitglied Herr Ge- leimrath Dr. Wedding. Die Schulen sind jedoch der Lernenden und keineswegs der Lehrenden wegen da, demnach soll das Wissen nur so weit getrieben werden, als es das Können unter stützt, darüber hinaus hat für künftige Prak tiker keinen greifbaren Zweck. Diese Voraus setzungen zugegeben, wäre der Nachweis bei den einzelnen Fächern zu führen, dafs die jetzt übliche Behandlung auf den Lehranstalten für die Mehr heit der Studirenden nützlich und nothwendig ist. Kein neuer Unterrichtsgegenstand, keine Verlängerung der Studienzeit dürfte ohne triftige Gründe geduldet werden, und hätten hierüber die Industriellen in erster Reihe zu entscheiden, da ihnen doch wohl füglich das inafsgebende Ur- theil über die Anforderungen an den technischen Nachwuchs anheimgestellt werden mufs. Für die Industrie scheint das grofse Geheim- nifs des wirthschaftlichen Erfolges in der Spe- cialisirung zu liegen. Nordamerika und England verdanken ihr hauptsächlich die grofsen Fort schritte und technische Ueberlegenheit in manchen Dingen. Ueberall findet man, dafs nur derjenige Erfolge erzielt, welcher seine ganze Geisteskraft auf einzelne Gegenstände beschränkt. Könnte der Techniker von vornherein eine bestimmte Specialität ergreifen, so wäre seine materielle Laufbahn wahrscheinlich gesichert, unmöglich erscheint das zwar keineswegs, bedingt allerdings einsichtige Rathgeber. Zweifellos gestattete dies eine wesentliche Abkürzung der theoretischen Studien, weil alles, was nebensächlich oder von geringer Bedeutung für die Specialität ist, weg fällt. Die Schulen treiben es gegenwärtig um gekehrt; die gesteigerte Entwicklung der Gewerbe- thätigkeit erlaubt die bisher übliche, specielle Be handlung der einzelnen Betriebszweige nicht mehr; die Lehrer stehen vor einer unüberwindlichen Schwierigkeit; durch Verallgemeinerung und Sche- matisiren des Lehrstoffes wollen sie aus der Sack gasse kommen und glauben damit nicht allein der Wissenschaftlichkeit ein grofses Feld zu er obern, sondern auch der nothleidenden Praxis wesentliche Dienste zu leisten. Die letztere han- | delt aber entgegengesetzt, indem sie selbst die I technische Ausbildung specialisirt; als Beispiel । führen wir die wachsende Zahl und Bedeutung der Lehranstalten für Textil- und verwandte Industrieen an, welche ganz und voll auf dem Bo den der Praxis stehen, deshalb sichtliche Erfolge aufweisen. Sobald bei den anderen Industrie zweigen die unausbleiblichen Zweifel an der heil samen Richtung der neuen Lehrsyteme beginnen, wird man rasch die Gründung von Anstalten ähnlicher Art ins Auge fassen. Sicherlich trägt die Einseitigkeit unserer tech nischen Erziehung einen Theil der Schuld, dafs Deutschland auf dem Weltmärkte seinen grofsen Nebenbuhlern nicht gewachsen ist. Das über triebene Bestreben nach Verwissenschaftlichung läfst die hausbackene Praxis lediglich als höheres Handwerk erscheinen, flölst dem Studirenden eine gewisse Verachtung dagegen ein und ist mehr geeignet, künftige Professoren als geldverdienende Industrielle auszubilden. Im Gegensatz dazu leistet die englische und amerikanische Erziehungsmethode, trotz ihrer anerkannten theoretischen Unvollkom menheit, in wirthschaftlicher und technischer Be ziehung sehr viel. Der Gesichtskreis der eng lischen und amerikanischen Ingenieure ist un zweifelhaft durchschnittlich beschränkter, weniger umfassend und wissenschaftlich als der unsrige, aber in seiner engen Specialität schlägt uns der englische oder amerikanische Concurrent, und das ist leider die Hauptsache. Wo wir eben bürtig sind, verdanken wir das meist einer ähn lichen Einschränkung und Einseitigkeit. Das Richtige liegt in der Mitte; Amerika und England müssen der theoretischen Vorbildung, Deutschland der praktischen Ausbildung gröfsere Aufmerk samkeit zollen. Für einen bedeutenden Theil unserer Techniker ist der Besuch einer technischen Hochschule entbehrlich und eine auf mäfsigere Ziele gerichtete, bescheidenere Vorbildung nicht nur ausreichend, sondern sogar geeigneter für die künftige Laufbahn. Die technischen Unterrichtsfragen erfuhren bis lang eine einseitige Behandlung am grünen Tische von Theoretikern und Doctrinären; die haupt sächlich dabei Beiheiligten wurden kaum gehört, während sie eigentlich die entscheidende Stimme haben sollten, vielleicht wäre der Wirthschaftsrath 1 die richtige Oberbehörde. Kurz gefafst gehen unsere Vorschläge dahin: | 1. Verminderung der Anzahl der technischen I Hochschulen. 2. Vermehrung und weitere Aus- i bildung von mittleren Fachschulen. 3. Abkürzung ' der Studienzeit und möglichst baldiger Eintritt in die Praxis. 4. Beschränkung der Lehrthätigkeit auf wirkliche, allgemein anerkannte theoretische i Grundlagen und Fernhalten von neuen, uner probten, zweifelhaften Lehrsystemen. 5.Gemischter [ Aufsiclitsrath, dessen Mitgliedermebrzahl aus Ver- j tretern der Industrie besteht. J. Schlink.