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nach Möglichkeit abzuhelfen, ist jedoch durchaus nicht geneigt, das bewährte alte System gänzlich zu verlassen, sondern will es nur verbessern. Im Augustheft des ersten Jahrgangs (1881) der Zeitschrift »Stahl und Eisen« habe ich den selben Gegenstand behandelt und einen Vergleich zwischen beiden Erziehungssystemen gezogen, ein paar bestimmte Fälle annehmend: „Zwei gleichaltrige und gleichbegabte Abi turienten einer Realschule I. Ordnung — damals trugen Ihre Anstalten noch diesen Namen — beabsichtigen Maschinentechniker zu werden. A besucht eine technische Hochschule und macht den jetzt gebräuchlichen vierjährigen Gursus durch, hört also beispielsweise nach dem Aachener Studienplane folgende Vorlesungen. 1. Jahr: höhere Mathematik I, darstellende Geo metrie, Mechanik I, Experimentalphysik, Elemente der Chemie, Elemente der Mineralogie, Elemente der Geognosie, Technologie I, Bauconstruction I. 2. Jahr: höhere Mathematik II, Geometrie der Lage und Graphostatik, Mechanik II, mechanische Wärmetheorie , beschreibende Maschinenlehre, Maschinenelemente, Maschinen zum Heben von Lasten, höhere Bauconstruction mit mathema tischer Begründung, technische Chemie. 3. Jahr: theoretische Maschinenlehre, Kinematik, Techno logie II, elektrische Telegraphie, praktische Geo metrie I, Construction einfacher Gebäude, Heizung und Ventilation, Bau der Dampfmaschinen und Kessel, Wasserräder, Maschinen zum Heben von Lasten. 4. Jahr: Bau der Dampfmaschinen und Kessel, Locomotivbau und Eisenschiffbau, Fabrik anlagen, eiserne Brücken, Wege- und Eisenbahn bau II, gewerbliche Betriebslehre, Figuren- und Landschaftszeichnen. Gelegenheit zum Maschinen zeichnen ist gegeben im 2. Jahre zwei Stun den, im 3. vier Stunden, im 4. sechs Stunden wöchentlich bei Anwesenheit eines Assistenten. Nach beendetem Studium soll der sofortige Eintritt in eine Maschinenfabrik gelingen. Das erste Jahr, vielleicht auch das zweite, wird sicher lich durch Einarbeiten in die praktische Beschäf tigung beansprucht, daher von einer erheblichen Leistung und entsprechenden Besoldung kaum die Rede sein kann. Der für die Düsseldorfer Gewerbeausstellung bearbeitete Specialkatalog der technischen Hochschule zu Aachen giebt Seite 37 an: „Die im weiteren zum Studium wie für Unterhalt und Wohnung erforderlichen Mittel be laufen sich, je nach den Ansprüchen, auf 900 •6 und darüber.“ Unter Berücksichtigung der Ferien und sonstiger, unvermeidlicher Auslagen dürfte 1250 •6 jährlich oder rot. 5000 •6 für das vierjährige Studium nicht zu hoch gegriffen sein. Dazu soll ein Zuschufs in den beiden ersten praktischen Jahren von im ganzen 1000 •6 kommen, so dafs vom Abgänge von der Realschule bis zur vollen Unterhaltungsfähigkeit sechs Jahre Zeit und ein Geldaufwand von 6000 •6 er forderlich wären. B tritt aus der Realschule in die Maschinen fabrik, wird während einer gewissen Zeit zur allgemeinen Orientirung in den Werkstätten be schäftigt und dann aufs technische Bureau ge nommen, um dort von der Pike an zu dienen. Die tägliche Bureauzeit von mindestens 8 Stunden mufs nolens volens eingehalten werden, für tüch tiges Arbeiten sorgen die bureauleitenden Ingenieure zur Genüge ; auf Sauberkeit, Richtigkeit und Deut lichkeit der Zeichnungen wird naturgemäfs ein viel gröfserer Werth als bei den Constructions- Übungen der Schule gelegt, daher dieser sehr wichtige Theil der technischen Erziehung den Polytechniken weit überlegen ist. Die unmittel bare Verbindung der Constructionsbureaus mit den Werkstätten befördert die Ausbildung der jungen Leute ungemein, vor deren Augen die Maschinen entstehen, zuerst auf dem Papier, dann in Modellen, Gufs- und Schmiedestücken bis zur vollen Fertigstellung. Jede Unklarheit über Einzelheiten kann sofort durch eigene An schauung und Erkundigung beseitigt werden. Die vollständige Ausbildung einer Realschule I. Ord nung befähigt den strebsamen Jüngling durch Selbststudium, alles das zu lernen, was er für seine spätere Laufbahn nothwendig hat, sogar darüber hinaus. Das Verständnifs der Lehrbücher über höhere Mathematik, Naturwissenschaften, Statik, Mechanik, Maschinenbau, Technologie, Ingenieur- und Bauwesen, allgemeine Wissen schaften u. s. w. unterliegt keiner Schwierigkeit, so dafs der Lernbegierige in der Lage ist, jede fühlbare Lücke durch eigenes Studium zu er gänzen. Mit einer vierjährigen Lehrzeit dürfte die volle Unterhaltungsfähigkeit erreicht sein, bei einem Geldaufwande von 1100 — 700 — 500 — 200 = 2500 •16. Der Lehrling würde an Gehalt em pfangen: das 1. Jahr nichts, das 2. Jahr 400 36, das 3. Jahr 600 •6, das 4. Jahr 900 46. Der Unterschied von 1250 — 1100 = 150des jährlichen Unterhalts gegen den Polytechniker ist durch den Wegfall der Studiengelder begründet, die Seite 37 des oben genannten Specialkatalogs auf 148 6 jährlich geschätzt worden. B ge braucht demnach zwei Jahre und 3500 6 weniger als A bis zur vollen Erhaltungsfälligkeit; auf Anratlien seiner bisherigen Vorgesetzten geht er nach England, wo gewandte deutsche Zeichner gern aufgenommen werden und bei bescheidenen Ansprüchen ihren Lebensunterhalt reichlich ver dienen, nach zweijährigem Aufenthalte kehrt er von dort zurück und bewirbt sich mit A gleich zeitig um eine etwas selbständigere, auskömmliche Stelle. Ich frage, wen wird man vorziehen, denjenigen mit vierjährigem theoretischen Studium und zwei jähriger Praxis oder den mit sechsjähriger Praxis, davon zwei Jahre im Auslande, mit vollständiger Be-