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auch die Beiträge ohne Rücksicht auf die Ver schiedenheit des Lohnes für Alle gleich zu be messen und dürfen nur zwischen den verschiedenen Berufszweigen insofern voneinander abweichen, als wegen der verschiedenen Invaliditätsgefahr in denselben nach versicherungstechnischen Grund sätzen mehr oder weniger an Beiträgen erforder lich wird, um die für Alle gleiche Rente zu decken. Eine solche Abstufung der Beiträge aber ist unabweisbar, weil ohne dieselbe die weniger gefährlichen Berufszweige (insbesondere die Land- wirthschaft) die gröfsere Invaliditätsgefahr anderer Berufszweige mit tragen und dadurch zur Unge bühr belastet werden würden. Nur für die ersten Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes werden die Beiträge zu den einzelnen Versicherungsan stalten in der Hauptsache auf allgemeine ver sicherungstechnische Berechnungen sich gründen müssen, weil zur Zeit die Unterschiede in den einzelnen Berufszweigen noch nicht ausreichend bekannt sind. Freilich werden hiernach hoch bezahlte Ar beiter der Industrie dieselbe Rente erhalten, wie niedriger gelohnte landwirthschaftliche Arbeiter. Indessen ist das öffentliche Interesse, welches den Beitrittszwang rechtfertigt, nur insoweit be- theiligt, als sämmtlichen Arbeitern die Möglich keit einer bescheidenen Lebenshaltung nach Fort fall ihrer Arbeitsfähigheit zu sichern ist, und in dieser Beziehung braucht ein Unterschied nach der bisherigen Lebensstellung nicht gemacht zu werden. Im übrigen ist es den Arbeitern, welche höheren Verdienst haben und deshalb mehr zahlen können und wollen, unbenommen, durch Betheiligung bei anderen Versicherungsanstalten, z. B. der Kaiser Wilhelm-Spende, sich eine Zu satzrente zu sichern. Dagegen wird wenigstens für jetzt davon Abstand genommen werden müssen, die freiwillige Versicherung höherer Renten auch bei den jetzt ins Leben zu rufenden Versiche rungsanstalten der Berufsgenossenschaften zu ge statten ; denn hierdurch würde die Verwaltung dieser Anstalten erheblich erschwert werden, und solche Erschwerungen sind wenigstens so lange, bis die neuen Einrichtungen sich eingelebt haben, thunlichst zu vermeiden. Ihrem Betrage nach wird die Rente so be messen werden müssen, dafs sie einerseits nicht eine nur theilweise Erleichterung der öffentlichen Armenpflege oder ein Taschengeld darstellt, an dererseits aber auch, wie schon angedeutet wurde, nur für nothdürftigen Lebensunterhalt an billigem Orte ausreicht. Letzteres wird dazu führen, dafs die Rentenempfänger thunlichst auf dem Lande ihre Wohnung nehmen, dadurch die Bevölkerung des platten Landes vermehren und letzterem neben dem Reste ihrer Arbeitskraft auch vermehrten Geldumsatz zuführen. Auch die nothwendige Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Arbeit geber und Arbeitnehmer, sowie auf die Export- i fähigkeit der Industrie nöthlgen dazu, wenigstens für den Anfang die Renten nicht zu hoch zu be messen, weil durch die Höhe der Renten die Kosten der ganzen Einrichtung bedingt werden. Eine spätere Erhöhung der Rentensätze, sobald eine • solche ohne Gefährdung anderer wichtiger Interessen ausführbar erscheint, ist dabei nicht ausgeschlossen. Umgekehrt aber würde eine spätere Ermäfsigung der einmal in Aussicht ge stellten Rentensätze, falls sich die letzteren als zu hoch bemessen herausstellen sollten, Unzu friedenheit erregen, mithin den socialpolitischen Zweck der ganzen Einrichtung vereiteln. Aus diesen Gründen kann die Alters- und Invaliden rente wenigstens zur Zeit die Höhe der Unfall rente, welche bei völliger Erwerbsunfähigkeit zwei Drittel des Lohnes beträgt, nicht erreichen. Eine solche Gleichstellung ist aber auch aus inneren Gründen nicht geboten. Denn die Unfallrente hat die Folgen der vorzeitigen, unvorhergesehenen, unmittelbar durch die Gefahren einer bestimmten Berufsthätigkeit verursuchten Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit zu decken und mufs deshalb relativ hoch sein. Hohes Alter dagegen und die nicht auf einem aufserordentlichen Betriebsunfall beruhende Einbufse der Arbeits- und Erwerbs fähigkeit sind in der menschlichen Natur be gründet; Abnutzung der Kräfte steht mit zu nehmendem Alter nach längerer oder kürzerer Frist Jedem bevor. Die staatliche Fürsorge für die von diesem allgemeinen Menschenloose Betroffenen braucht daher über das Mafs des zu einer be scheidenen Lebenshaltung Nothwendigen nicht hinauszugehen. Hiernach dürfte eine mit der Dauer des Ar beitsverhältnisses steigende Invalidenrente von jährlich 120 bis 250 Mark, welche bei weib lichen Personen auf 2/3 dieser Beträge zu er- mäfsigen wäre, ausreichend sein. Die Altersrente dagegen braucht den Mindestbetrag der Invaliden rente (120 Mark) nicht zu übersteigen, weil auch der bei der Arbeit alt gewordene Arbeiter, sobald er nicht mehr arbeitsfähig ist, sich für invalide erklären lassen und dann Invalidenrente beziehen wird. Wo Naturallöhnung üblich ist, wird, wie nach §9 des Gesetzes vom 5. Mai 1886 (Reichs- Gesetzbl. S. 132), auch die Gewährung der Rente in dieser Form zuzulassen sein. Eine nicht zu kurz bemessene Wartezeit (Garenzzeit) ist unentbehrlich und unbedenklich. Sie ist unentbehrlich, weil sonst, dem Zweck des Gesetzes zuwider, durch kurze Arbeit Jeder den Anspruch auf die Mindestrente würde erwerben können, und durch die hierbei unvermeidlichen Mehrkosten die eigentlichen Berufsarbeiter zu Gunsten von Müfsiggängern oder Vagabunden ge schädigt werden würden. Sie ist aber auch un bedenklich, weil die Voraussetzungen der Rente — Alter und nicht durch einen Betriebsunfall herbeigeführte Invalidität — bei den eigentlichen