Volltext Seite (XML)
vielleicht sogar ermuthigt worden sei, weil die Ablehnung beider leichter war, als die des einen allein gewesen wäre. Hätte das Realgymnasium das Universitätsrecht erhalten, so wäre es auf die Dauer auch der Oberrealschule nicht zu verweigern gewesen. Das ist nun aber nicht mehr zu ändern, die Entscheidung ist noch einmal wieder aufgeschoben und in die Ferne gerückt, aber die Reaction gegen diese Verschleppung ist eingetreten, die Bewegung, das Drängen nach Reform und Ordnung wächst von Tag zu Tag und demnächst tobt der Kampf nur noch »um die Schiffe«! Gegenüber der abwehrenden Haltung der zur Lösung der Frage und zu den nöthigen Reformen berufenen und verpflichteten Instanz ist schliefslich Nolhwehr eingetreten und die in ihrer Ehre gekränkten Mathe matiker, Naturwissenschaftler, Ingenieure u. s. w. haben die von der Regierung versäumte Initiative ergriffen und an Stelle der nicht gehauenen und nicht gestochenen »Einheitsschulidee«, welcher auch die Prüfungsordnung von 1882 zusteuert — obgleich sie für dieselbe ebensowenig einen Lehr plan zustande bringen kann wie andere Leute — Reformvorschläge gesetzt, welche, auf einer bereits vor 30 Jahren von Ostendorf vertretenen Idee aufgebaut, den fremdsprachlichen Unterricht mit Französisch und Englisch beginnen und hinter der Secunda die Gabelung eintreten lassen wollen, wo sich klassische Sprachen und Realia scheiden. Dafs der Gedanke an sich gesund ist, kann wohl nicht bestritten werden, die Einheit der höheren Schulbildung wenigstens bis etwa zum 16. Jahre wäre gerettet und zwar mit einem sehr viel werthvolleren Kenntnifsschatz als zur Zeit. Statt eines sechsjährigen Lateinunterrichts, dessen Gesammtresultat wenig, und eines vierjährigen griechischen Unterrichts, dessen Resultat gar keinen Werth hat, hätte der mit dem einjährigen Zeugnifs abgehende Schüler dann einen fünfjährigen englischen, einen sechsjährigen französischen Unterricht und damit wenigstens die Bildung einer ordentlichen Mittelschule hinter sich. Dagegen liefert jetzt das unverdaute und unvollständige lateinisch-griechische Material, an welches er ungefähr die Hälfte seiner besten Kraft gesetzt hat, dem armen Kerl nicht mehr als einen schmerzlichen Dünkel, der mit seiner Leistungs fähigkeit in ebenso lächerlichem Widerspruch steht wie mit den Aufgaben und Beschäftigungen, die ihm das praktische Leben bringen. Eine fünf- resp. sechsjährige Schulung in Französisch und Englisch ist dagegen eine werth- volle Vorbildung für das geschäftliche Leben, welches direct an sie anknüpft und sie vervoll ständigt, während der lateinisch-griechische Torso verfällt und versandet wie die Tempeltrümmer des Alterthums unter den Füfsen der über sie hinbrausenden Völkerwanderung. Hätten wir ganz freie Bahn und nicht mit den gewordenen und gewachsenen Verhältnissen zu rechnen, so würde sich nicht viel Stichhaltiges gegen diese Idee einwenden lassen. So aber müssen wir mit der sehr schwerwiegenden That- sache rechnen, dafs: 1. diese Reform der absolute Tod von neun Zehnteln der Gymnasien sein würde und dafs das zehnte Zehntel nur kümmerliche Gewächse zeitigen könnte; 2. dafs wir in Preufsen etwa 4 bis 5000 Gymnasiallehrer haben, von denen ein grofser Theil für eine solche Reorganisation der Schule an Haupt und Gliedern nur sehr schwer verwendbar sein dürfte, während das nöthige Lehrermaterial für neuere Sprachen und Naturwissenschaft ebenfalls nur sehr nach und nach in geeigneter Qualität zu beschaffen sein dürfte, und dafs 3. für die Berechtigungsfrage, die uns hier in erster Linie beschäftigt, da sie eine Ehren sache ist und den Ausgangspunkt der ganzen Bewegung bildet, auch die Durchführung dieser grundstürzenden Schulreform keine Lösung bringen würde, denn es handelte sich dann immer noch um die Principien- frage, ob die Abiturienten der Realgymnasien ebenbürtig sein und Zutritt zur Universität haben sollen oder nicht. Durch die Schulreformfrage ist die Real schulfrage also nur verwickelter geworden und es hat sich aus der ebenso ungerechtfertigten wie gelegentlich auch recht wenig geschmackvollen Zurückweisung, welche die alte Philologie ihrer jüngeren Schwester und den Naturwissenschaften seit Jahren hat zu theil werden lassen, eine Be wegung entwickelt, die nicht wieder verschwinden wird, bis ihren gerechten Klagen Abhülfe gewährt ist. Dieselbe bedroht schon seit 1882 die Gym nasien in ihrem Princip und in ihrem wissen schaftlichen Niveau. Wenn es so fortgeht, wird die Zeit nicht mehr fern sein, wo sie die Dämme, die man ihr zur Zeit noch entgegengebaut, überfluthen und dann neben sehr Vielem, was nichts Besseres mehr werth war, doch wahrschein lich auch Manches mit hinwegspülen wird, was wir Alten ungern in den Gedankengängen unserer Söhne vermissen dürften, weil wir fühlen, wie werthvoll es uns selbst gewesen ist. In dieser sehr gespannten Lage machen sich schon lange und bis zur vielfachen Uebersättigung geltend die öden Phrasen über die magische Heil- und Erziehungskraft von Buttmann & Zumpt, über die echt religiöse, nationale und namentlich con- servative Wirkung der Geschichte der griechischen und römischen Demokratenkämpfe gegen das Königthum und des so tief sittlichen und er hebenden Cäsaren- und Imperatorenthurns in dem ersten halben Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Dagegen wird mit einer Unbefangenheit, die einigen Anspruch auf Classicitäl hat, der Realschul-