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des Eisenbüttenwesens, im Genüsse eines aus gebreiteten, wohlausgebildeten Prüfungswesens und haben auch hierin unseren Vorgängern gegen über einen grofsen Vorsprung. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn Aufgaben, die man früher nur den Händen weniger Auserwählten des Faches anvertrauen mochte, beute fast regel- mäfsig an jeden tüchtigen Ingenieur herantreten. Die gesammte Technik ist eben inzwischen in eine derart geläufige, wissenschaftliche Bahn ge treten, ihre einzelnen Zweige haben eine derart allgemein-wissenschaftliche Behandlung erfahren, dafs höheres technisches Wissen ein Gemeingut Aller geworden ist, die Anspruch auf den Namen eines Ingenieurs haben. Ungeachtet aber aller Fortschritte und un ablässiger Bestrebungen auf dem' Gebiete der Theorie und der Versuche sind wir in einem Punkte so ziemlich auf dem alten Fleck ver blieben und zwar insofern, als wir den Sicher heitsgrad unserer Constructionen oder die zu lässige Inanspruchnahme ihrer einzelnen Glieder immer noch nach einem wenig wissenschaftlichen, fast willkürlich zu nennenden Verfahren bemessen müssen. Ziemlich allgemein bestimmt man näm lich heute noch den Sicherheitsgrad einer Con- struction dadurch, dafs man die zulässige In anspruchnahme der Flächeneinheit eines Quer schnitts um ein Mehrfaches (in der Regel 4 bis 6 mal) kleiner wählt, als die Zugfestigkeit des verwendeten Materials für dieselbe Flächeneinheit. Dafs die ersten Erbauer gröfserer eiserner Tragwerke eine ähnliche willkürliche Annahme machten, war natürlich, da ihnen bei der Wahl des Sicherheitsgrades die Möglichkeit eines spä teren Bruches vorschweben mufste und ihnen aufserdem allein die Kenntnifs der durch Versuche ermittelten Bruchlast einen greifbaren Anhalt bieten konnte. Sie wendeten den für passend gehaltenen Sicherheitsgrad ohne Unterschied der Systeme und Weiten für alle ihre Bauten an, und erst später, als sie den empfindlichen, oft verderblichen Einflufs der Stöfse der Verkehrslast kennen gelernt hatten, nahmen sie auch auf diesen Umstand Rücksicht, indem sie z. B. bei weniger weitgespannten, kleinen Brücken einen höheren Sicherheitsgrad wählten, als bei weit gespannten, grofsen Brücken. Dasselbe thun wir auch heute noch, auch wählen wir aus dem nämlichen Grunde bei der Berechnung der Fahrbahntheile gröfserer Brücken, welche unmittelbar unter den Stöfsen der Verkehrslast zu leiden haben, einen höheren Sicherheitsgrad, als bei der Berechnung der Haupt träger, auf welche die Stöfse durch das Mittel der Querconstructionen in ab geschwächtem Mafse übertragen werden. Im Laufe der Zeit richtete man nicht mehr allein sein Augenmerk auf die Wirkung der Stöfse der bewegten Last, man begann auch zu untersuchen, welchen Einflufs gegenüber einer dauernden, gleichmäfsigen Beanspruchung ein häufiger Wechsel der Belastung auf die Haltbar keit eines Trägers oder eines Tragwerks äufsern könne. Fairbairn* war der Erste, der in dieser Beziehung vorging. Er begann seine Belastungs versuche mit gufseisernen und schmiedeisernen Trägern im Jahre 1849, führte sie später in den Jahren 1860 und 1862 zu Ende und kam zu ähnlichen Ergebnissen, wie später Wöhler. Ein Jahr später, im Jahre 1863 beim Bau der Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Mainz, trat Gerber, vormaliger Director der Süddeutschen Brückenbaugesellschaft, mit einem neuen Vor schläge zur sachgemäfsen Ermittlung des Sicher heitsgrades hervor. Er nahm an, dafs das Eigen gewicht sammt der dreifachen Verkehrslast das Eisen bis zur Elasticitätsgrenze (1600 kg a.d.qcm) anspanne. Seine Formel lautete danach, wenn f den Querschnitt eines Gonstructionstheiles, Po und P die Spannung desselben, hervorgerufen bezw. durch die eigene und die Verkehrslast, bezeichnet: _ Po + 3 P Po _P. 1600 1600 533 ’ Gerber hatte bei Aufstellung der Formel die Ab sicht, Brücken von verschiedener Spannweite in bezug auf den Sicherheitsgrad verschieden zu behandeln. Beispielsweise giebt seine Formel für ganz kleine Spannweiten (wo Po dem P gegenüber verschwindet): 533 und für sehr grofse Weiten (wo P annähernd dem Po gegenüber gleich Null ist): 1600 Gerbers Formel ist, soweit bekannt, die erste, in welcher, um den Einflufs der Stöfse für alle Spannweiten gebührend zu berücksichtigen, der Sicherheitsgrad für die Beanspruchung aus dem Eigengewicht besonders, und zwar kleiner, an gesetzt wird, als derjenige für die aus der Ver kehrslast herrührende Beanspruchung. Ob es aber gerechtfertigt ist, wie Gerber es gethan hat, die zulässige Inanspruchnahme für die Spannung aus dem Eigengewichte bis zur Elasticitätsgrenze zu treiben, ist mehr als fraglich. Jedenfalls giebt es wohl wenige Ingenieure, die es wagen würden, eine grofse Construction, welche nur ihre Eigen last zu tragen hätte, durchweg mit 1600 kg auf 1 qcm Querschnittsfläche zu beanspruchen, ebensowenig dürfte das für eine bedeutende Brücke geschehen dürfen, bei welcher der Einflufs der Verkehrslast verschwindend .ist. Ueberhaupt ist die Frage, ob eine dauernde, stets gleiche Belastung für die Haltbarkeit einer Construction weniger gefährlich ist, als eine in * »Givil-Engineer and Architects Journal« 1860, S. 257; 1861, S. 329. — The effect of time on wrought iron girders. The »Engineer« vom 2. Dec. 1864.