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Fortschritte in der Befestigungskunst. Ueber den Einflufs der mit Dynamit, Melinit, Pyroxilin u. s. w. geladenen Granaten gezogener Mörser auf die Befestigungskunst, mit besonderer Berücksichtigung der Eisenbauwerke. Von 0. v. Giese, Königl. Preufsischem Oberst a. D. (Hierzu Tafel XII.) Die französische Zeitschrift »Le gnie civil« hat in ihrem 12. und 13. Band diesen Einflufs, sowie die Broschüre des französischen Ingenieur- Major Mougin »Les nouveaux explosifs et la fortification «, und die eines ungenannten Verfassers »Les forts et la mlinite«, besprochen. Die Wirkung der Melinitgranaten scheint seitens der französischen Ingenieur-Offiziere, trotz ihrer ungünstigen Versuche, übertrieben zu werden; sie übersehen, dafs diese Granaten kleine Ziele nicht sicher treffen; wenigstens wurden die zwei Versuchspanzerthürme bei Bukarest, trotz aller Friedensvorbereitungen, von den gezogenen Mörsern auf 2500 m durch 164 Würfe nicht getroffen; es ist wohl möglich, dafs damals der Nebel, das Schneegestöber und das für die deutschen Mörser fremde Pulver von nachtheiligem Einflufs waren; wenigstens hatten letztere früher besser geworfen; so war z. B. 1882 die Versuchspanzerlafette des Oberstlieutenants Schumann bei Kummersdorf durch eine 21 - cm - Mörsergranate (ohne erheblichen Schaden) getroffen worden. Bis jetzt handelt es sich, einzelnen Panzerthürmen gegenüber, wohl nur um Zufalltreffer, um keine plan-' mäfsige Zerstörung. Da indefs treffende Sprengstoffgranaten furchtbar wirken, mufs der Ingenieur-Offizier doch auf diese zufälligen Treffer Rücksicht nehmen, und wird sich ihre Zahl, gröfseren Zielen gegenüber, so häufen, dafs z. B. die Höfe und Wallgänge der kleinen Forts bald ungangbar und unbesetzbar, die grofsen, bisher für bombensicher gehaltenen Hohlräume bald ein geschlagen sein werden. Die Anwendung der Sprengstoffgranaten seitens der Festungsmörser wird im »Genie civil« nicht besprochen ; ihre Wirkung ist selbstverständ lich gröfser als die des Belagerers, weil die Festungsgeschütze die Entfernungen besser kennen, also leichter treffen, und der Belagerer seine Ge schütze bis jetzt nur durch Erde, Strauchwerk und Holz decken konnte, diese aber leichter zu zerstören sind als Betonirungen und Panzerungen; auch sind die offenen Erdbatterieen des Belagerers gröfser als die kleinen Panzerconstructionen. In dem Kampfe zwischen den Belagerungs- und Festungsmörsern, werden, gleiche Rohre, Geschosse, Ladung und Bedienung vorausgesetzt, gewifs die Festungsmörser anfangs im Vortheil sein, trotzdem aber schliefslich doch unterliegen, weil dieGesammt- wirkung des Belagerers gröfser und der Ersatz in der Festung schwerer ist. I. Die im »Genie civil« angedeuteten Vorschläge. Die auf das regelmäfsige Treffen aller Sprengstoff granaten gegründeten Schlufsfolgerungen und Vor schläge der fremden Ingenieure scheinen uns ebenfalls zu weitgehend. 1. Der belgische Oberst Gamb relin will,, aus Besorgnifs vor der minenartigen Wirkung der über den gemauerten Grabenrändern einschlagen den und hinter denselben zerspringenden Spreng stoffgranaten, diese beiden Bekleidungsmauern ganz unterdrücken und durch leichte Eisenconstructionen ersetzen, die aber, weil nur gegen den gewöhn lichen Erddruck und Granatsplitter berechnet, den Sprengstoffgranaten gewifs nicht widerstehen wür den, am wenigsten die oben, nach dem Graben zu, vorspringenden Gonstructionen (Fig. 1). 2. In der Broschüre »Les forts et la melinite« wird die bisher übliche dichte Zu sammenstellung und Anhäufung verschiedener Ver- theidigungskräfte und Mittel in den kleinen Forts getadelt, deren Vertheilung, behufs Verkleinerung des Ziels für die feindlichen Wurfbatterieen em pfohlen und gerathen, statt jener Werke und ihrer Panzerthürme nur kleine offene Feldbatterieen zu 4 Geschützen zu erbauen, dieselben durch ver stärkte Schützengräben zu verbinden und diese durch 30 m breite Hindernifsmittel zu decken. 1/3 der Besatzung soll eingegraben werden, 2/s weiter zurück in Baracken liegen und eine offene Gürtelbahn diese Befestigungen verbinden. Das Verlangen nach einer weiteren Auseinanderstellung der Vertheidigungs- mittel scheint wohl begründet; viele der kleinen Forts sind wirkliche »Granatnester« ; die vorgeschlagene Abhülfe genügt aber nicht, weil dieser einfache dünne Befestigungsgürtel, nach einem Durchbruch bei Nacht oder Nebel, wider standslos nach beiden Seiten hin aufgerollt werden kann. Es fehlen die Stützpunkte einer nach haltigen Vertheidigung. 3. Dieselbe Furcht vor den Melinitgranaten führte den französischen Ingenieur-Major Mougin gerade zu den entgegengesetzten Vorschlägen.