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April 1889. STAHL UND EISEN.“ Nr 4. 265 Hiermit ist der Schliff im wesentlichen fertig für die Untersuchung unter dem Mikroskop. Indessen der Vorsteher der mechanisch - technischen Versuchsanstalt, Herr Martens, hat dem Sorbysehen Verfahren noch das Anlassen der Schliffe zugefügt. Auf den ersten Blick war das ein so vortreffliches Mittel, dafs ich wohl sagen kann, bei allen meinen ersten Versuchen habe ich dies stets angewendet, aber bei näherer Betrachtung hat sich gezeigt, dafs es sehr vorsichtig benutzt werden mufs. Es hat sich nämlich herausgestellt, dafs die Erfahrungen, welche Sie aus »Stahl und Eisen« kennen, und die von den Franzosen Osmond und de Werth, Pionchon und dem Schweden Brinnell mitgetheilt worden sind, sich schon auf die ersten Anlauftemperaturen, also auf etwa 210 Grad, mitbeziehen lassen. Ich bin dazu durch den Unterschied gekommen, welchen mir oft dieselben Schliffe im angelassenen und im nicht angelassenen Zustande boten. Man weifs, dafs der Härtungskohlenstoff, der im plötzlich abgekühlten Eisen gebunden ist, sich durch langsames Erhitzen wieder als Carbidkohlenstoff abscheidet. Ein gehärteter Stahl kann, wenn er gleich- mäfsig ist (Tiegelflufsstahl) ein ganz gleichartiges Gefüge, kleine Körper, welche von einem sehr feinen, glänzenden Netzwerk umzogen sind, zeigen ; nach dem Anlassen aber erscheint eine porphyrartige Slructur. Schon Brinnell hat darauf hingewiesen, dafs diese Umänderung des Gefüges beim Gelbanlaufen beginne. Ich habe das bestätigt gefunden bei Versuchen, welche ich mit dem gleichartigsten Stahle, den ich finden konnte, angestellt habe. Der Apparat für die Versuche war folgendermafsen hergestellt: Auf einen gufseisernen, von unten durch Gas erhitzten Topf kommt als Decke eine mit Schnauze versehene Porzellanschale, welche mit einer in der Mitte durchbohrten concaven Glasschale bedeckt wird. Die Luft kann durch die Schnauze eintreten. Das obere Luftbad erleidet eine gleichmäfsige Erwärmung auf etwa 300 0 C. In dieses Luftbad brachte ich nun solche Eisenklötzchen von unter sich gleichem Gewicht, wie ich sie Ihnen hier vorzeige. (Die Klötzchen werden umhergereicht.) Die Klötzchen sind oben tief eingebohrt, so dafs die längliche Quecksilberkugel eines Thermometers ziemlich genau hinein- pafst.* Stellt man nun ein Klötzchen von Eisen mit ganz geringem Kohlenstoff (z. B. 0,05 %)in die Mitte des oberen Luftbades und steckt das Thermometer durch die Oeffnung der Glasschale in die Bohrung des Klötzchens, so steigt das Quecksilber im Thermometer ganz gleichmäfsig. Im vorliegenden Falle in 4 Secunden um je 1 0 G. bis auf etwa 220° C. Das Gleiche gilt für ausgeglühten Stahl. Um dies genau beobachten zu können, dazu habe ich mich natürlich des vortrefflichen Chronometers bedient, welches Sie, m. H. Mitglieder des Vereins deutscher Eisenhüttenleute, mir in so liebenswürdiger Weise zum Abschlufs meines fünfzigsten Lehrsemesters an der Bergakademie zu Berlin im vorigen Jahre gewidmet haben. Stellt man nun statt des weichen Eisens oder des geglühten Stahls ein gehärtetes Stahl klötzchen (von z. B. 1,10 % Kohlenstoff) auf, so steigt das Thermometer anfangs ebenso gleich mäfsig in 4 Secunden 1 0 C., bei 195 bis 196° dagegen beginnt eine (mir unerklärliche) Verzögerung bis auf zuweilen 12 Secunden auf einen Grad, um dann plötzlich bei 105 bis 106° C. einer plötzlichen Beschleunigung auf 2 Secunden für 1 0 C. Platz zu machen, worauf bei etwa 210° (nicht genau übereinstimmend bei verschiedenen Eisensorten) das Gelbanlaufen erfolgt. Nun könnte man fragen: Ist vielleicht das Anlaufen es gewesen, was diese Beschleunigung plötzlich herbeigeführt hat? Eine Oxydation fand statt, aber wenn man diese dünne Oxydationsschicht mit der Masse der Klötze vergleicht, dann zeigt es sich, dafs man daran gar nicht denken kann. Nun kam die mikroskopische Untersuchung, und es zeigte sich das, was schon Brinnell ver- muthet hatte, es waren nun wirklich Ausscheidungen von Kohlenstoff aus dem Härtungszustande in den des Cementkohlenstoffes erfolgt, und es hatten sich die Gefügetheile des Stahls ganz anders angeordnet. Wenn Sie nachher die Klötzchen sich unter der Lupe ansehen wollen, so werden Sie finden, dafs man bei gehärtetem Stahl, welcher nicht angelassen ist, die kleinen Körnchen ganz fein durch ein Aderwerk umgeben findet, während der Stahl, sobald er angelassen ist, ein ziemlich grobes Netzwerk um diese Carbidknoten zeigt. — Ganz ähnliche Erscheinungen finden sich bei weifsen Roheisenarten. Nun kommt der Punkt, von dem ich glaube, dafs er praktisch nutzbar zu machen ist. Der Uebergang vom Härtungs- zum Carbidkohlenstoff spielt bei allem Flufseisen von nicht ganz geringem Kohlenstoffgehalt eine so grofse Rolle, dafs ich meine, es dürfe kein Fabricant, namentlich nicht ein solcher von hoch kohlenstoffhaltigem Stahl, es versäumen, diese Dinge zu verfolgen. Man darf ja annehmen, dafs bei einer Temperatur von etwa 1000° im Stahl Carbidkohlenstoff überhaupt nicht mehr existirt. Kühlt man solchen Stahl plötzlich ab, so ist keine Gelegenheit mehr, den Carbidkohlenstof auszuscheiden, kühlt man ihn allmählich ab, so tritt diese Ausscheidung ein. Der * Hr. Director Haedicke aus Remscheid hat mich nach der Sitzung aufmerksam gemacht, dafs eine Füllung des zwischen Thermometer und Eisen bleibenden Raumes mit Quecksilber noch zuverlässigere Ergebnisse liefern würde. Ich werde so die Versuche wiederholen, obwohl bei der sehr dünnen Luftschicht, welche im Innern der Bohrung verblieb, kaum erhebliche Luftströmungen entstehen konnten. Dr. TF.