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August 1888. STAHL UNI) EISEN.“ Nr. 8. 515 Stellung kostet Mühe und Zeit; die Billigkeits rücksichten, welche früher galten, sind infolge der auf Grund des U.-V.-G. gewährten Entschä digung weniger mafsgebend , und fallen ganz fort, wenn diese Entschädigung zu hoch festge stellt ist und über das Mafs der verlorenen Er werbsfähigkeit hinausgeht. Trotzdem ist zu er warten, dafs die Werke der Rh.-W. H.- u. W.-B. ebenso wie bisher einen bei ihnen verletzten, wenigstens einen ordentlichen Arbeiter, der ohne grobes Verschulden einen Unfall erlitten hat, bei Zuweisung von Arbeit möglichst berücksichtigen; aber es wird dem eine grofse Schwierigkeit ent gegenstehen, die früher nicht vorlag: viele Ver letzte wollen nicht arbeiten. Auf dem letzten Berufsgenossenschaftstag stellte die Müllerei-Berufsgenossenschaft den wohl gemeinten Antrag, Verletzte, namentlich an den Beinen Verletzte, in einer gemeinschaftlichen An stalt auf Kosten der Berufsgenossenschaften zum Korbflechten, zur Cigarrenfabrication u.s.w. auszu bilden, nach erfolgter Ausbildung zur Arbeit zu schicken und dann die Rente entsprechend zu kürzen. Der Antrag fiel, hauptsächlich in der Erwägung, dafs das Gesetz gar keinen Anhalt dazu gebe, einen Verletzten zu einer derartigen Ausbildung und der damit verbundenen Arbeit zu zwingen. Ein zweiter Einwurf wäre ebenso gerechtfertigt gewesen: Nach den bisherigen Ent scheidungen des R.-V.-A. ist nicht anzunehmen, dafs bei einem in jener Weise ausgebildeten Ver letzten, der also wieder erwerbsfähiger gemacht ist, die Kürzung der Rente geduldet würde, we nigstens ist bei einer Reihe von Entscheidungen der Nachweis, dafs ein Verletzter ebenso viel verdient, wie früher, unberücksichtigt geblieben. Es gehört mit zu den bedenklichen Conse quenzen des U.-V.-G, dafs ein Betriebsunfall unter Umständen einem Arbeiter geradezu eine Erhöhung seines Einkommens verschafft. In einzelnen Fällen dieser Art erscheint auch die Zuerkennung einer Rente gerechtfertigt und dem Sinn des U.-V.-G. entsprechend. Wenn z. B. ein Arbeiter durch Betriebsunfall ein Auge ver liert und nachher noch genau die gleiche Arbeit verrichten, also ebenso viel leisten kann wie vorher, so ist die Zuwendung einer mäfsigen Rente gerechtfertigt, weil der Arbeiter in seiner Annahmefähigkeit auf anderen Werken, also in seiner Freizügigkeit, beschränkt ist. Allein dieses letztere Moment scheint doch auch bei sehr vielen Rentenfeststellungen herangezogen zu sein, bei denen es nicht zutreffend ist; bisher wenig stens hat kaum irgend ein Werk die Annahme eines Arbeiters und namentlich eines tüchtigen Facharbeiters, der z. B. einen Finger verloren hatte, aus diesem Grunde abgelehnt, sobald der selbe nachwies, dafs er, wie sehr häufig der Fall ist, durch diesen Verlust in seiner Leistungs fähigkeit nicht beschränkt ist. Mag nun aber in solchen Fällen, in denen die Leistungsfähig keit nicht beeinträchtigt ist, die Zuerkennung einer Rente gerechtfertigt sein oder nicht, jeden falls ist es Aufgabe eines jedes einzelnen Werks, jener bedenklichen Consequenz des U.-V.-G. mög lichst entgegenzutreten; es ist das freilich nur möglich, so lange der Verletzte in demselben Werke beschäftigt wird, und zwar dadurch, dafs ihm, so lange er ebenso leistungsfähig ist, der Lohn um den Betrag der Rente herabgesetzt wird. Ein solches Verfahren ist durchaus ge rechtfertigt , weil das U.-V.-G. nicht etwa ein Schmerzensgeld, sondern nur eine Entschädigung für den durch Verminderung der Arbeitsfähigkeit entstehenden Ausfall im Verdienst gewähren will, und liegt jedenfalls mehr im Sinne des U.-V.-G., als wenn — wie nach Zeitungsnachrichten in der Textilindustrie vorgeschlagen sein soll — in solchen Fällen das durch den Unfall erlangte Mehreinkommen für die Rentenbezieher in die Sparkasse gebracht und damit geradezu eine Prämie auf Betriebsunfälle gesetzt wird I Das U.-V.-G. wird Berufsgenossenschaften oder einzelne Werke oder Verbände derselben zu manchen Unfallverhütungsmafsregeln ver anlassen, an die ursprünglich nicht gedacht war und die auch nicht in den officiellen Unfallver hütungsvorschriften erscheinen werden. Einige sind bereits angedeutet; wenn hier nochmals an Mafsregeln gegen ein »taubenschlagartiges« Wechseln der Arbeitsstelle erinnert wird, so geschieht es, weil gerade auf diesen Punkt be sonderes Gewicht zu legen ist. Einige Werke haben bereits in dieser Beziehung — nicht ohne Erfolg — die Anordnung getroffen, dafs dem länger in Dienst stehenden Arbeiter bei der Betriebs krankenkasse gröfsere Rechte (längere Ver pflegungsfrist oder dergl.) gewährt werden. Aber wahrscheinlich werden sich für den gleichen Zweck noch andere Mafsregeln als nothwendig herausstellen, auch auf die Gefahr hin, dafs sie bei manchen sogenannten Arbeiterfreunden keinen Beifall finden. — Ueber eine anderartige Unfall- verhütungsmafsregel giebt eine Entscheidung des R.-V.-A. (Arntl. Nachrichten des R.-V.-A. N. 281) einen Wink, der die weitgehendste Beachtung verdient: Ein jugendlicher Arbeiter hatte trotz wiederholter Warnungen Turnübungen an einer Welle angestellt, war dabei schliefslich gepackt worden und hatte schwere Verletzungen erlitten. In der Begründung der Entscheidung, welche Betriebsunfall annimmt, wird besonders hervor gehoben, dafs die Genossenschaft ihre Mitglieder dazu anhalten kann, anhaltenden Leichtsinn oder Unvorsichtigkeit durch unnachsichtliche Entlassung zu ahnden. Es wird damit darauf hingewiesen, dafs zur Verhütung von Unfällen bei nachlässigem Verhalten, unachtsamer Nichtbeachtung der ge troffenen Anordnungen, ebenso aber auch conse- quenterweise bei Ungeschicklichkeit rücksichtslos