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ZUR EINFÜHRUNG 1823 wurde die „große heroisch-romantische Oper Euryanthe" op. 81 von Carl Maria von Weber in Wien uraufgeführt. Von diesem Werk, das Webers schon begründeten Ruf vertiefen half, hört man im Konzertsaal die Ouvertüre ziemlich häufig- Mit Recht! Weber hat sich in diesem Werke um eine Ton spräche und um eine Aussage bemüht, die an der Sprache seines großen Zeitgenossen Beethoven geschult ist. Die Ouvertüre ist klar und übersichtlich in der Sonatenform aufgebaut. Nach einleitenden, markanten Takten mit sehr lebendigen Triolen in den Streichern wird von dem gesamten Bläserchor das erste Thema hingestellt, dem als Gegensatz das nur von den Streichern getragene 2.Therna in seiner lyrischen Haltung gegenübersteht. Aus diesem Kontrast entwickelt Weber mit großer handwerklicher Kunst einen immer spannenden Durchführungsteil, in dem die Triolen des Anfanges und ein aus dem ersten Thema ent wickelter punktierter Rhythmus eine wichtige Rolle für den Aufbau des Werkes spielen. Eine sehr zarte Episode von gedämpften Streichern schiebt sich ein — um darauf einer stürmischen Entwicklung und einem feurigen Ablauf zu einem glanzvollen Schluß hin freie Bahn zu lassen. Strawinsky nannte Weber einen großen Fürsten im Reiche der Musik. Wahrscheinlich geht sein treffendes Urteil auf das Erlebnis zurück, das er beim Hören der Euryanthe-Ouvertüre hatte. Das d-moll-Klavierkonzert (Köchel-Verzeichnis Nr. 466) schrieb Wolfgang Amadeus Mozart im Jahre 1785, also sechs Jahre vor seinem Tode. Auf der Partitur steht als Abschlußdatum der 10. Feber. In dem d-moll-Konzert klingt die Welt des Don Giovanni, den er erst zwei Jahre später schreiben sollte, schon auf. Hier ist also nicht viel von dem Mozart zu spüren, als den ihn die Welt gern sehen will, als den heiteren, verspielten Götterliebling ohne Sorgen und Leid — hier ist der Klang aus einer von Dä monie erfüllten \Velt zu hören, hier ist schon ein menschliches Bekenntnis spürbar, hier meldet sich eine Persönlichkeit zu Worte. Interessant ist, daß Beethoven zu diesem Konzert Kadenzen für den ersten und dritten Satz geschrieben hat, wohl weil er in diesem Werke seines großen Vorgängers so viele Töne hörte, die ihm persönlich stark ansprachen. Im ersten Satz bringt eine große Orchestereinleitung die beiden Themen der Sonatenform, denen der Solist ein eigenes Thema gegenüberstellt, mit dem er figuren reiche Durchführungen auslöst. Die Romanze lebt vom Gesänge — jede Floskel hat in diesem Satz lyrischen Atem. Das Finale setzt mit dem heiteren Thema im Klavier ein, aber schon, sobald das Orchester das Thema übernimmt, erhält es einen Zug ins Große. Die Zwischenspiele geben dem Klavier Gelegenheit zur Entfaltung einer gewissen Virtuosität, die sich in perlenden Läufern, gebrochenen Akkordgängen, gesungenen Melodiebögen, manchen Trillern äußert. Über diesem Werk liegt der Hauch einer schon klassischen Vollendung, die Mozart ziemlich früh erreicht hatte, was auf eine reiche und vielseitige Persönlichkeit dieses Meisters und vielinteressierten Mannes hin weist. Peter Iljitsch Tschaikowskij (1840—1893) hat sich zu seiner fünften Sinfonie in e-moll einmal in einem Notizheft selbst geäußert, und man kann diese Bemerkung als Hinweis auffassen, gleichsam als das Motto, das über diesem Werke stehen könnte. „Vollständige Beugung vor dem Schicksal oder, was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung." Mit der Sinfonie, die seine drei letzten großen Sinfonien einleitet, war Tschaikowskij nicht zufrieden, weil sie dem Inhalt einen zu breiten Raum gönnt und dabei die künstlerische Form etwas vernachlässigt. Dafür spricht die Briefstelle: „Nach jeder Aufführung meiner neuen Sinfonie empfinde ich immer stärker, daß dieses Werk mir mißlungen ist. Die Sinfonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch. Wir wundern uns über die Schärfe des eigenen Urteils, wir bewundern seine schonungslose Selbstkritik, die wir heute nicht mehr teilen. Das Werk ist viersätzig. Im ersten Satz leitet ein Thema das Ganze ein, welches gewissermaßen als Leitmotiv in allen vier Sätzen immer wieder erscheint. Der eigentliche erste Satz bringt die beiden sehr gegensätzlichen Themen, die die Form der Sonate verlangt. Der zweite Satz versucht von dunklen Klängen zu lichten Höhen emporzuschwingen, der Schluß verklingt in Ruhe und Harmonie. Der dritte Satz heißt „Valse“, also ein eleganter, weltmännischer Walzer mit französischem Einschlag, der ein einziges Wiegen und Gleiten darstellt. Der Schlußsatz, das Finale, ist ein toller Wirbel der verschiedensten Stimmungen: ein aufreizender Tanz, ein eilig hastender Galopp, ein jauchzender Wirbel, ein hemmungsloses, brutales Gestampfe, das am Schluß in eine schmetternd-glänzende Fan fare mündet, die dem düsteren Werk einen überraschenden, aber um so wirkungsvolleren optimistischen Ausgang verleiht. Johannes Paul Thilman