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Herr H. A. Bueck schreibt: .Es mufs anerkannt werden, dafs der Ver fasser durchweg bemüht gewesen ist, das, was er gesehen und gefunden hat, mit Objectivität darzustellen und dafs es ihm gelungen ist, ein anschauliches und interessantes Bild der Verhält nisse, in denen er drei Monate hindurch sich bewegt hat, in seinen, von warmer Empfindung getragenen Ausarbeitungen, zu liefern. Ob indefs nicht doch das warme Herz des Verfassers wider dessen Willen hie und da der in wirthschaftlichen Dingen noth wendigen kühlen und verstandesmäfsigen Abwägung aller Factoren Eintrag gethan hat, mag vorläufig dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist festzuhalten, dafs, wie der Verfasser im Vor worte auch selbst hervorhebt, Alles, was von ihm berichtet wird, sich zunächst nur auf die sächsischen Industrie - Arbeiter, und wie wir meinen auf einen nur geringen Theil derselben, bezieht und dafs eine Verallgemeinerung der von ihm gefundenen Ergebnisse nur nach gründlicher Prüfung der Einzelheiten zulässig erscheint. Die Fabrik, in welcher der Verfasser thätig war, beschäftigt etwa 500 Mann; in tägliche Berührung gelangte er indefs eigentlich nur mit 120 bis 150 Mann, von denen die meisten mit ihm einer Abtheilung, dem Werkzeugmaschinen bau, angehörten. An diesen, unter denen 70 bis 75 Procent Sachsen waren, hat er vornehmlich die Erfahrungen gemacht, die von ihm mitgetheilt werden. Heber die materielle Lage seiner Ar- beitsgenossen äufsert sich der V erfasser dahin, dafs bezüglich des Einkommens von Noth keine Rede sein könne, allerdings anch nicht von Ueberflufs ; denn ein Durchschnittseinkommen von 800 bis 900 J(> gestatte bei den hohen Wohnungs- und Lebensmittelpreisen gerade, dafs ein Arbeiter mit einer nicht allzu zahlreichen Familie ohne schwere Nahrungssorgen leben könne. Bezüglich der Wohnungsverhältnisse wird con- statirt, dafs die Zahl der Familien, welche bei aller Beschränktheit auf Adrettheit hielten, die überwiegende war. Beklagt wird das Mifsverhält- nifs zwischen der Enge der Räume und der Zahl der Bewohner, sowie das Schlafstellen- und Kost gänger-Unwesen, welches der Verfasser als den Ruin der deutschen Arbeiterfamilie bezeichnet, obwohl er es als wirthschaftliche Nothwendigkeit anerkennt. Die Kleidungsverhältnisse unter den Arbeitsgenossen des Verfassers waren gute. Hin sichtlich der Ernährungsverhältnisse beklagt er, dafs durch die Arbeitsbedingungen vielfach die Mäglichkeit eines gemeinschaftlichen Essens für die Arbeiterfamilien beseitigt werde. Der Ver fasser glaubt am Schlüsse dieses Kapitels con- statiren zu können, dafs infolge der Engigkeit, der Bescheidenheit der Lebens Verhältnisse, der Nothwendigkeit, Schlafburschen und Kostgänger zu halten, der Unmöglichkeit für viele Familien, gemeinschaftlich zu essen, wie überhaupt ungestört beisammen zu sein, in weiten Kreisen unserer grofsstädtischen Industriebevölkerung die über lieferte Form der Familie schon heute nicht mehr vorhanden ist. Die verwandtschaftliche Neigung würde durch die wirthschaftliche Verpflichtung zurückgedrängt; diese aber sei in erster Linie Frucht der wirthschaftlichen Lage und keineswegs der socialdemokratischen Agitation, die hier nur die letzte Consequenz aus den Wirkungen der herrschenden Zustände ziehe. In der Fabrik waren ausschliefslich männliche Personen beschäftigt, und im ganzen Betriebe gab es noch nicht ein halbes Dutzend Knaben zwischen dem 13. und 14. Lebensjahr, und kaum ein paar Dutzend Lehrlinge von 14 bis 17 Jahren. Persönliche Erfahrungen über die Frauen- und Kinderarbeit hat der Verfasser daher nicht gemacht; dagegen gab die Zusammensetzung der Arbeiterschaft aus den verschiedensten Berufen und Handwerken ihm ein Spiegelbild des Charak ters unserer grofskapitalistischen Productionsweise. Der Verfasser schildert anschaulich die Organisation der Arbeiterschaft in der Fabrik und den Ar- beitsprocefs, er erörtert die Thätigkeit der einzelnen Arbeitergruppen und die Folgen der Theilarbeit, und hebt zugleich hervor, dafs die für die-Ar- beiter in mancher Hinsicht ungünstigen Rück wirkungen weitgehender Arbeitstheilung in der Abtheilung, welcher er angehörte, wesentlich ge mildert seien durch die Betheiligung Aller an ein und demselben Arbeitsproduct und durch die Befriedigung, welche einem Jeden gewährt wurde, wenn die Maschine, an deren Fertigstellung er mitgewirkt hatte, schliefslich fix und fertig dastand. Immerhin, meint der Verfasser, sei dieser relativ hochstehende Arbeitsprocefs, wie wohl kein grofs- industrieller Betrieb, nach der heutigen Form der Organisation nicht imstande, die Leute vor einer gewissen Unselbständigkeit des Charakters zu be wahren, die immer da eintrete, wo der Arbeiter nicht imstande sei, über sein Arbeitsproduct auf dem Markte frei zu verfügen. Es fehle ihm eben die persönliche Verantwortlichkeit für die Verwerthung und den Vertrieb seiner Producte. Gerade diese Sorge aber und die Freude am Erfolge seien es, wodurch der Wille, der Charakter, die geistige Fähigkeit eines Mannes gereift, ge klärt, gestählt werde. In dieser Beziehung befinde sich jeder grofsindustrielle Fabrikarbeiter immer und ewig auf dem unselbständigen Niveau des früheren Handwerksgesellen. Diese dem technischen Grofsbetriebe eigen- thümliche Wirkung wurde nach Ansicht des Ver fassers durch die in Geltung befindliche Arbeits ordnung, deren einzelne Bestimmungen von ihm eingehend besprochen werden, noch verstärkt. Von besonderem Interesse sind die Bemerkungen, welche der Verfasser über die die Kündigungs frist betreffenden Festsetzungen macht. Die