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334 Nr. 8. 15. April 1894. „STAHL UND EISEN.“ für die Staatsfinanzen bedenkliche Er scheinung zurückzuführen sei. Zur Beurtheilung dieser Frage erschienen besonders die Verhältnisse bei der Verwaltung der Reichseisenbahnen in Elsafs-Lothringen geeignet, . da dort örtliche Betriebsbehörden nicht bestehen. Verwaltung und Betrieb werden vielmehr in ähn licher Weise, wie früher in Preufsen, unmittelbar von | der Eisenbahndirection geleitet; die unterstellten i örtlichen Beamten sind nur ausführende Dienst stellen der Direction. Es wurden daher die organi satorischen Einrichtungen der Reichsbahnen und ihre Wirkungen auf die wirthschaftliche Gestaltung des Betriebs durch Gommissare an Ort und Stelle einer eingehenden Prüfung unterzogen, nachdem schon vorher Ermittlungen in gleicher Richtung bei einzelnen gröfseren Preufsischen Eisenbahn- directionen stattgefunden hatten. Demnächst wurde eine besondere, aus Mitgliedern des Mini steriums, der Eisenbahndirectionen und der Eisen bahnbetriebsämter zusammengesetzte Commission beauftragt, zu untersuchen, ob und inwieweit die [ bestehenden Verwaltungseinrichtungen Mängel auf weisen, und welche Aenderungen eventuell in Aussicht zu nehmen sein möchten. Nach dem Ergebnifs dieser Ermittlungen kann । nicht geleugnet werden, dafs die Verwaltung der Preufsischen Staatseisenbahnen, im Vergleich zur | Verwaltung der Reichsbahnen und auch für sich betrachtet, zu theuer wirthschaftet, und dafs dieses Ergebnifs, wenn nicht ausschliefslich, so doch in erster Linie auf die Decentralisation der Verwaltung durch Vertheilung der Verwaltungs geschäfte zwischen den Directionen und Betriebs- j ämtern zurückzuführen sei. Auch konnte nach j den an Ort und Stelle vorgenommenen Ermitt- | lungen und den Untersuchungen der Gommissare nicht bestritten werden, dafs die gegenwärtigen Verwaltungseinrichtungen der Preufsischen Staats eisenbahnen neben vereinzelten Vortheilen über wiegend Nachtheile ergeben und die Leistungen der Verwaltung in ungünstiger Weise beeinflufst ' haben. Durch die Theilung der Geschäfte zwischen den Directionen und den Betriebsämtern ist das Schreibwerk aufserordentlich vermehrt, die sach- gemäfse Bearbeitung der Geschäfte erschwert und die Erledigung der Sachen gerade in den wichtigsten und dringendsten Fällen zum Nach theil der Verwaltung und des Publikums verzögert worden. Infolge der Vertheilung der Verwaltungs befugnisse auf zwei Instanzen sind weder die Directionen noch die Betriebsämter imstande, das gesammte Gebiet der Verwaltung zu übersehen und in allen ihren mannigfaltigen, sich gegen seitig berührenden und durchdringenden Beziehun gen zu regeln. Die Betriebsämter, welchen im allgemeinen eine gründlichere Kenntnifs der ört lichen Verhältnisse beiwohnt, sind gleichwohl in allen wichtigeren Entscheidungen, bei welchen es auf diese Kenntnisse vorzugsweise ankommt, in ihrer Zuständigkeit beschränkt und an die Genehmigung der Direction gebunden; letztere, obwohl die mafsgebende Instanz, ist fast durch weg auf die Berichte der Betriebsämter angewiesen und entscheidet in den seltensten Fällen aus eigener Anschauung und Kenntnifs der Verhält nisse. Diese Unselbständigkeit beeinträchtigt die Arbeitsfreudigkeit und das Gefühl der Ver antwortung bei beiden Behörden, namentlich bei den Betriebsämtern, denen jede Möglichkeit be nommen ist, ihren oft wohlbegründeten Vorschlägen gegenüber abweichenden Ansichten der Directionen Geltung zu verschaffen. Andererseits wird es von den Directionen als schwerer Uebelstand empfunden, dafs sie gerade von der wichtigsten Aufgabe der Eisenbahnverwaltung, der Leitung des Betriebes, durch die bestehenden Zuständig keitsverhältnisse abgeschnitten sind. Daher er klärt es sich, dafs bei den Directionen sich viel fach das Bestreben geltend gemacht hat, in die Geschäftsführung der Betriebsämter einzugreifen, was nicht nur zur Vermehrung des Schreibwerks, sondern auch zu einer Herabdrückung des dienst lichen Interesses der Betriebsämter führen mufs. Dieses Streben der Directionen wird noch dadurch unterstützt, dafs die Betriebsämter nach ihrer Besetzung und Bezirksabgrenzung vielfach aufser stände sind, die ihnen organisationsmäfsig ob liegenden Geschäfte sachgemäfs selbst zu bearbeiten, da zahlreiche Vorgänge des Betriebes weit über den Bereich des einzelnen Betriebsamtes hinaus gehen oder einheitlicher Regelung für einen gröfseren Bezirk bedürfen. Ferner werden die Betriebsämter zu häufiger, oft fortlaufender Bericht erstattung auch in den ihrer ausschliefslichen Zuständigkeit unterliegenden Angelegenheiten da durch veranlafst, dafs die Directionen sich über den Gang der Verwaltung innerhalb ihres Be zirkes im allgemeinen sowie über die wichtigsten einzelnen Vorgänge unterrichtet halten müssen. Viele besonders zeitraubende und kostspielige Arbeiten, wie die Aufstellung der Bauentwürfe, werden jetzt vielfach doppelt gefertigt. Wenngleich zur Vermehrung des Schreib werks mit die Aufgaben beigetragen haben, welche der Staatsverwaltung inzwischen durch die sociale Gesetzgebung gestellt worden sind, so ist doch ein wesentlicher Theil desselben auf das ge schilderte Berichtswesen zurückzuführen. Was besonders die Frage betrifft, ob die für das Publikum von der Einrichtung der Betriebs ämter erwarteten Vortheile eingetreten seien, so ist zwar anzugeben, dafs in den gröfseren Städten, in denen sich Betriebsämter befinden, die Mög lichkeit eines directen Verkehrs mit der Behörde vom Publikum angenehm empfunden wird. Dieser Vortheil kommt indefs doch nur für den ver einzelten Ort in Betracht und verliert wiederum erheblich an Bedeutung durch die beschränkte Zuständigkeit der Betriebsämter, namentlich auf