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.STAHL UND EISEN.* Mai 1893. Gebieten über den Haufen warfen und eine neue Zeit ins Leben riefen: die Erfindung des Schiefs- pulvers und der Buchdruckerkunst. In Deutschland hatte die Geschützkunst ihre eigentliche Heimath. Die erste Verwendung des Eisengusses war die Herstellung von Kanonen kugeln. Auch der belebende Einflufs der Buch druckerkunst machte bei der Darstellung des Eisens sich geltend. Als ein Handwerk war bis dahin das Eisenhüttengewerbe betrieben; kümmer lich war die vorhandene Literatur über diesen von der Wissenschaft bis dahin wenig beachteten Zweig der Gewerbthätigkeit. Im Anfänge des 15. Jahrhunderts hatte der Uebergang vom Stückofenbetriebe zum Hochofenbetriebe begonnen; gewaltiger, bedeutsamer als früher erschienen auch dem Auge des Laien die Anlagen der Eisen werke. Man fing an, auch durch die Druck schriften die Bekanntschaft mit dem Eisenhütten betriebe zu verbreiten. Eins der ältesten Zeugnisse hierfür ist ein lateinisches Gedicht des Nikolaus Bourbon aus dem Jahre 1517, welches von Beck in wortgetreuer Uebersetzung wiederge geben wird.* Bald folgten verschiedene Schriftsteller mit gröfseren Werken, die zwar nicht allein die Eisenhüttenkunde behandeln, aber doch werth- volle Mittheilungen über das Eisenhüttenwesen des sechzehnten Jahrhunderts enthalten. Ihre Bedeutung wird durch Beck ausführlich be sprochen. Der berühmteste unter jenen Schriftstellern war Georgius Agricola, eigentlich Georg Bauer, 1494 zu Glauchau geboren. Nachdem er bereits die Stelle als Rector extraordinarius für griechische Sprache bei der „grofsen Schule“ in Zwickau bekleidet hatte, nahm er 1522 eine Stelle als Lector bei dem Professor Petrus Mosellanus in Leipzig an und benutzte diese Gelegenheit zum Studium der Arzneiwissenschaft und Chemie. Zwei Jahre später ging er nach Italien, erwarb dort den medicinischen Doctorhut und liefs bald darauf sich als Arzt zu Joachims- thal im böhmischen Erzgebirge nieder. Ein eigenthümliches Treiben hatte sich in dieser erst kurz zuvor gegründeten Stadt entfaltet. Schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts waren auf der sächsischen Seite des Erzgebirges reiche Silber erzgänge erschürft worden und infolgedessen blühende Städte — Schneeberg, Annaberg, Marien berg — entstanden; aus allen Ländern strömten Abenteurer nach dem Erzgebirge, welche der Ruf der Silberfunde anlockte. Es waren ähnliche Zustände, wie wir sie im jetzigen Jahrhunderte in Galifornien und Australien erlebt haben. Aber der sächsische Silberbergbau war schon im zweiten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts erschöpft. * Ein kurzer Auszug aus dem Gedichte in deutscher Uebersetzung ist in „Stahl und Eisen“ 1891, S. 223, enthalten. Die reichen Erzmittel waren abgebaut, die Aus beute liefs nach, die fahrenden Bergleute sahen sich nach lohnenderer Arbeit um. Da erklang plötzlich die Kunde von reichen Silberanbrüchen „im Thal“. Noch halte der Platz keinen andern Namen. 1515 bildete sich in Karlsbald eine Gewerkschaft zur Ausbeutung der Erzgänge; unter dem Rasen, unter Baumwurzeln fand man, wie später in Peru und Bolivia, gediegen Silber und Rothgiltigerz. Schaarenweise strömten die Berg leute herbei. „Im Thal, im Thal, mit Mutter und All“ war der Ruf, der durchs Erzgebirge scholl. Der Name „Thaler“ für die ersten dort geprägten Silbermünzen, welche bald in alle Welt gingen, hat sich bis heule erhalten. 1517 war schon eine Ortschaft mit einer Kapelle entstanden; 1518 wurde das erste Schulhaus erbaut; 1520 erhielt der Ort den Namen Joachimsthal und wurde zur freien Bergstadt erhoben. In dem selben Jahre wurde auch schon die später be rühmt gewordene Lateinschule daselbst eröffnet. 1827 wurde Agricola als Stadtarzt nach Joachims thal berufen, und hier fand er reiche Gelegenheit, seinen Neigungen zu Naturwissenschaften, ins besondere zur Mineralogie, Folge zu geben. Einen mächtigen Eindruck aber machte auf ihn das rührige Treiben in der neuentstandenen Stadt. Im täglichen Verkehr mit bergwerkskundigen ge bildeten Männern sah er, welche mannigfachen Kenntnisse der Bergbau undHüttenbetrieb erfordert, und mit dem ganzen Feuer seines strebsamen Geistes erfafste er diese Seite der angewendeten Naturwissenschaft. So entstand die Anregung zu seiner Thätigkeit als metallurgischer Schrift steller, welche seinen Ruf begründete. 1828 erschien die Schrift „Bermannus sive de re metallica“, in welcher in Gesprächsform die wichtig sten, auf Bergbau und Hüttenkunde bezüglichen Fragen erörtert werden. Bermannus, dem hier der Verfasser seine eigene Worte in den Mund legt, war der Joachimsthaler Hüttenschreiber Lorenz Bermann und Agricolas Freund. Ver schiedene Schriften über Mineralogie und ver wandte Gegenstände reihten sich an; sein Haupt werk aber „De re metallica-libri XII“ erschien erst 1556 in Basel, nachdem der Verfasser, der inzwischen nach Chemnitz übergesiedelt und hier mehrmals zum Bürgermeister gewählt worden war, bereits 1555, während eines heftigen münd lichen Zwistes über religiöse Dinge vom Schlag- flufs getroffen, seine irdische Laufbahn be schlossen hatte. Der wesentliche Inhalt seiner Schriften, ihre Vorzüge und zumal alle seine Mittheilungen über die Gewinnung des Eisens sind in Becks Geschichte des Eisens in gebührende Beleuchtung gestellt worden. Ach Luthers Freund und Tischgenosse Mathesius, später Pfarrer zu Joachimsthal, fand sich durch das hier herrschende Treiben