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nachzuweisen sein müssen, vorausgesetzt, dafs die Verwaltung gut geleitet ist — weil es sich um ganz klar liegende Verhältnisse handelt. Anders liegt die Sache bei den auf der Kün digungsfrist beruhenden Klagen; auch die beste Verwaltung kann, wenn sie nicht auf die An wendung von § 123 sowie § 124b bezw. § 134 Absatz 2 der Gewerbeordnung gänzlich verzichten will, es nicht verhindern, dafs derartige Klagen gegen sie erhoben werden und zwar in manchen Fällen mit Erfolg. Hat der Arbeitgeber z. B., seiner Ueberzeugung nach mit vollem Recht, einen Arbeiter sofort entlassen, weil dieser sich beharrlich geweigert hat, seinen Verpflichtungen nachzukommen, oder sich einer vorsätzlichen Sachbeschädigung schuldig gemacht hat, so wird es ihm doch vielleicht nicht möglich sein, vor dem Gewerbegericht den stricten Nachweis zu führen, dafs ein solcher Fall vorgelegen hat, und in irgendwie zweifelhaften Fällen ist das Gewerbegericht naturgemäfs, und bis zu einem gewissen Grade mit Recht, eher geneigt, zu gunsten des Arbeiters zu entscheiden. Handelt es sich ferner darum, dafs ein Arbeiter eines Werks, welches eine längere als 14 tägige Kün digungsfrist hat, auf Grund von § 124 a der Gewerbeordnung sofortige Aufhebung des Gewerbe verhältnisses »aus wichtigen Gründen« verlangt, so ist absolut nicht im voraus zu beurtheilen, was das Gewerbegericht als wichtigen Grund anerkennt. Die Sache liegt also so, dafs bei Wegfall der Kündigungsfrist Klagen vor dem Gewerbegericht vollständig oder fast vollständig vermieden werden können, und gerade dieser Grund dürfte in Zukunft für manchen, namentlich kleineren Arbeitgeber, für die Aufhebung der Kündigungsfrist entscheidend ins Gewicht fallen, wenn er einmal die Erfahrung gemacht hat, was eine derartige Klage an Geld und weit mehr noch an Zeit und Aerger kostet. Zu den durch das Gesetz vom 1. Juni 1891 hinzugekommenen neuen Momenten, welche die Beibehaltung der Kündigungsfrist erschweren, dürfte auch der Schlufspassus von § 135 b der Gewerbeordnung zu rechnen sein, weil hiernach die sofortige Entlassung in manchen Fällen, in denen sie in früheren Arbeitsordnungen in Aussicht genommen war, in Zukunft nur noch dann zulässig ist, wenn die Kündigungsfrist in dem betreffenden Werk abgeschafft ist. Die oben angeführte Bestimmung der Gewerbeordnung macht im übrigen, wenn man sie näher ansiebt, fast einen komischen Eindruck. Zunächst tritt auch hier, ebenso wie bei § 134 d Absatz 2 der Gewerbeordnung, das Bestreben hervor, den Arbeitgebern die Errichtung eines Arbeiteraus schusses, welche man doch Bedenken trägt gesetzlich zu verlangen, indirect nahe zu legen; man gewährt ihnen eventuell den gewaltigen Vortheil (!), mit Zustimmung des Arbeiter ausschusses Vorschriften über die Benutzung der Wohlfahrtseinrichtungen und über das Verhalten minderjähriger Arbeiter aufserhalb des Betriebs in die Arbeitsordnung aufzunehmen. Hieraus dürfte dann weiter der grofsjährige Arbeiter den Eindruck gewinnen, dafs ihm gesetzlich das Recht zugesprochen sei, sich aufserhalb der Beschäftigung zu verhalten, wie er wolle, ohne dafs der Arbeitgeber irgendwie eingreifen dürfe. Die Bestimmung ist ein Schlag ins Wasser; trotz derselben wird, auch ohne Arbeiterausschufs, kein Arbeitgeber, wenn er es sonst für angezeigt hält, auch nur einen Augenblick Bedenken tragen, einen Arbeiter, der die Wohlfahrtseinrichtungen des Werks gröblich mifsbraucht, oder der durch ein von ihm selbst oder seiner Frau in Neben beschäftigung betriebenes Waaren - Abzahlungs geschäft, eine Schenkwirthschaft seine Mitarbeiter ausbeutel, wie schon öfter vorgekommen ist, odr der durch agitatorische Verhetzung einen ver- derblich'en Einflufs ausübt, oder der sich den Pflichten gegen seine Familie in gemeiner Weise entzieht, einen Trinker, auch wenn dieser bei der Arbeit niemals betrunken getroffen ist, einen Raufbold, einen Lumpen, der sich an ge setzlicher Strafe vorbeizudrücken weifs — einerlei ob es sich um einen grofsjährigen Arbeiter oder einen jugendlichen Taugenichts handelt — zu entlassen, und zwar zu entlassen aus Gründen, die aufserhalb der Beschäftigung liegen. Allerdings zwingt jene Bestimmung dazu, falls mit Kündigungsfrist gearbeitet wird, diese auch in den genannten Fällen innezuhalten oder Schadenersatz zu leisten (denn selbst einen Trinker wird manches Werk nicht gern ohne vorherige Kündigung oder Schadenersatz entlassen wollen, weil es dabei riskirt, zunächst vor dem Gewerbe gericht den »liederlichen Lebenswandel« des Arbeiters — Gewerbeordnung § 123 Nr. 2 — nachweisen zu müssen). Es kann also jene Bestimmung in § 134 b der Gewerbeordnung nur dem Arbeitgeber ein weiteres Motiv zur Ab schaffung der Kündigungsfrist geben; denn dafs in den genannten Fällen, wenn einmal die Ent lassung beschlossen ist, die sofortige Entlassung im Interesse des Werks liegt, ist wohl selbst verständlich. Was nun auf der anderen Seite die Gründe betrifft, welche für Beibehaltung der Kündigungs frist geltend zu machen sind, so hat hierbei zunächst der gewohnheilsgemäfse Gebrauch nicht unerhebliche Bedeutung; es ist von Wichtigkeit, dafs gerade das Arbeitsverhältnifs ein constant gleichmäfsiges bleibt; an dem bestehenden Ge brauch sollte ohne Noth nicht gerüttelt werden, das Wort „quieta non movere“ gilt auch hier. — Vielfach bewahrt die Kündigungsfrist vor übereilten Entschliefsungen ; es kommt oft genug vor, dafs der Arbeiter, dem zuerst eine über nommene Arbeit schwer fällt, kündigt und nach