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Der neue Auszug der Bestimmungen für jugendliche Arbeiter. „Beim Ueberschauen aller dieser Schutzmafs- regeln wird man die Ueberzeugung gewinnen müssen, dafs für die sittliche, geistige und kör perliche Entwicklung der jungen Arbeiter in Deutschland nunmehr, soweit die Rechte der letzteren in Betracht kommen, bestens gesorgt ist. Die Pflichten, welche den jungen Arbeitern auferlegt werden, sind dagegen lange nicht so mannigfaltig, ja sie erscheinen, mit dem Mafs- stabe der jungen Leute in anderen Bevölkerungs klassen gemessen, sehr geringfügig.“* Diese beiden, einen ungeheuren Gegensatz kennzeichnenden Sätze des so treffend und trefflich geschriebenen Artikels über die neue Gewerbeordnung und die jungen Arbeiter fielen mir sofort bei, als mir der auf Veranlassung der preufsischen Central behörde herausgegebene, im § 138 Abs. 2 vor geschriebene Auszug aus den Bestimmungen für jugendliche Arbeiter in diesen Tagen zu Ge sichte kam. Derselbe ist, abgesehen von einigen wenigen, auch unerheblichen Aenderungen mehr redactioneller Natur, ein wortgetreuer Abklatsch des schon seit 1879 geltenden Auszugs. Für den Verfasser scheinen die in der Novelle vom 1. Juni 1891 enthaltenen Neubestimmungen über die jugendlichen Arbeiter gar nicht vorhanden gewesen zu sein, denn sonst ist es bei unbe fangener Würdigung der wirklichen Verhältnisse der jugendlichen Arbeiterwelt schier unbegreif lich, wie auch in der neuen Fassung dieses Auszugs wiederum nur die Rechte der jugend lichen Arbeiter erwähnt werden, nicht aber die Pflichten, obgleich solche durch das neue Gesetz endlich auch für die jugendlichen Arbeiter ein geführt worden sind, so hinsichtlich des Arbeits buches,' des Lohnes und des Zeugnisses. Es ist schon an der eingangs angeführten Stelle gesagt, dafs diese Pflichten nicht so mannigfaltig, ja vergleichsweise gering fügig sind; eben darum aber mufsten sie als nothwendige Ergänzung und gleichzeitig gewisser- mafsen als ein nicht zu unterschätzendes Gegengewicht in den Auszug mit aufgenommen werden. Darüber dürfte bei denjenigen, welche im praktischen Gewerbsleben mitten drinnen stehen, auch nicht der mindeste Zweifel herrschen. Unterläfst man aber die Aufnahme auch solcher Bestimmungen, so macht man .unwillkürlich aus dem Arbeiterschutzgesetz, eine übrigens nicht sehr glückliche und noch weniger passende Be zeichnung statt Arbeitsschutzgesetz, ein Arbeitervorzugsrecht. Selbstverständlich beab sichtigen unsere Behörden so etwas keineswegs; * Vergl. »Stahl und Eisen« 1892, Seite 239. V 111.12 aber darauf kommt es hierbei nicht lediglich an, sondern hier ist von Bedeutung und von zu be achtender Wichtigkeit, welchen Eindruck eine solche Unterlassungssünde auf die jungen Arbeiter macht. Dafs dieser für den socialen Frieden, für die Ruhe und Stetigkeit des Arbeils- und auch der Arbeiterverhältnisse kein günstiger ist, das wird kein Kundiger bestreiten können noch wollen. Es ist seinerzeit so viel über diejenigen Neuerungen, welche der jungen Arbeiterwelt nothwendige, weil in ihren Folgen heilsame Pflichten auferlegen, in und aufser dem Reichs tage, namentlich in den meist von unreifen Burschen besuchten socialistischen Versamm lungen, gestritten und geschimpft worden, und als nach heifsem Kampfe auch diese Neuerungen Ge setz wurden, söhnte sich mancher vorurtheilsfreie Mann mit der fast nur zu Gunsten der Arbeiter welt erfolgten Umbildung des Titels VII der nun ein Dutzend Mal „verbesserten“ Gewerbeordnung in dem Bewufstsein aus, dafs doch einige wichtige, wenn auch noch so wenige, Bestimmungen in dieser Neubildung enthalten seien, welche bei richtiger und, wie die Socialisten so gerne sagen, zielbewufster Handhabung seitens der staatlichen Organe die jugendliche Arbeiterwelt wieder zu Sitte und Ordnung zurückführen, mindestens aber vor dem weiteren Vergiften durch socialistische Irrlehren bewahren könnten. Nun aber wird diese Hoffnung durch die bemängelte Unterlassungssünde wieder zu schänden gemacht. Vorläufig können wir nur annehmen, dafs diese auf einem Versehen beruht, dessen Schaden recht bald ausgemerzt werden wird. Sollte jedoch die preufsische Centralbehörde wider Erwarten jene Unterlassung beabsichtigt haben, so dürfte man wohl mit Recht neugierig sein, die dafür geltend zu machenden Gründe kennen zu lernen, obschon wir uns trotz aller Unvor eingenommenheit nicht vorstellen können, dafs diese uns trotz entgegenstehender offenkundiger Thatsachen zu überzeugen vermöchten. Wir können nur der Hoffnung Ausdruck geben, dafs die hohe Behörde in dieser Beziehung recht bald Wandel schaffen möge. Es ist noch Zeit dazu. Sodann möchten wir den Wunsch aussprechen, dafs bei der neuen Fassung des Auszugs noch bemerkt wird, dafs nach Artikel 9 Abs. 4 des Gesetzes für die jugendlichen Arbeiter, welche vor Verkündung des Gesetzes (5. Mai 1891) in Fabriken oder ähnlichen Betrieben bereits be schäftigt waren, die alten Bestimmungen (also der alte Auszug) noch bis zum 1. April 1894, also noch volle zwei Jahre gelten, während, was 4