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Ueber Metallconstructionen der Zukunft. So lautet der Titel eines Vortrags, den Professor Steiner aus Prag am 3. Januar d. J. im Oesterreichischen Ingenieur- und Architekten- Verein gehalten hat.* Der Vortrag zerfällt in 2 Theile, von denen der erste sich mit der »Gonstruction« befafst und im wesentlichen Betrachtungen über die dynamische Wirkung der Verkehrslasten enthält, während der zweite Theil: »Das Material«, vorzugsweise die öster reichische Flufseisenfrage behandelt. An den Vortrag schlofs sich eine Besprechung, bei der manches Belehrende zu Tage trat, namentlich brachte Professor Radinger seine Ansichten über die zur völligen Entwicklung der Wider standsfähigkeit einer Gonstruction bei eintretender Belastung nothwendige Zeit, sowie über die durch diesen Zeitverbrauch unter Umständen geschmälerte Sicherheit der Gonstruction, in sehr anschaulicher Weise zum Ausdruck. 1. Ueber den ersten, mehr theoretischen Theil des Vortrags dürfte in diesem Blatte etwas flüch tiger hinweggegangen werden können. Denn einerseits würde dabei ein tieferes Eingehen auf die von Steiner entwickelten Formeln nicht zu vermeiden sein, andererseits sind die dabei haupt sächlich erörterten Fragen über die Erzeugung von Schwingungen durch Stöfse der Verkehrs last, sowie auch über den Einflufs der Schwingun gen im Verein mit der Geschwindigkeit der Last auf die Sicherheit der Gonstruction, heute noch zu wenig geklärt, um bei Berechnung von Brücken praktische Verwerthung finden zu können. Wir sind ja heute leider noch nicht einmal imstande, die unter der rein statischen Ein wirkung einer Last auftretenden Grundspannungen der Gonstruction in allen Theilen ganz genau zu ermitteln und sehen uns, mangels einfacher Be rechnungsarten, aufserdem noch gezwungen, Neben- und Zusatzspannungen und dergl. nur durch an nähernde Schätzung zu ermitteln. Um so mehr darf man vorläufig wohl davon absehen, auch noch die dynamische Wirkung der Verkehrslast — so lehrreich und bedeutungsvoll Untersuchungen auf diesem Gebiete in wissenschaftlicher Hinsicht sind — anders zu berücksichtigen, als es bislang allgemein geschehen ist, nämlich durch Einführung einer Stofsziffer, um welche die thatsächlichen Lastzahlen erhöht werden. Der von Professor Radinger im besondern erwähnte schädliche Einflufs der Fliehkraft der Gegengewichte der * »Zeitschr. des Oesterr. Ingenieur- und Archi- tekten-Vereins« 1892, Nr. 8 und Nr. 10. Locomotiven, ein Einflufs, der sich bei der Fahrt mit 2 Locomotiven dann noch steigert, wenn etwa ein böser Zufall ihre Kurbeln auf gleiche Winkel einstellt, mufs ebenfalls durch die Stofsziffer gedeckt werden. Ob es nothwendig sein wird, deshalb die bisher gebräuchliche Ziffer zu erhöhen, ist eine Frage für sich. Man be denke jedoch, dafs man aufserdem Brücken in der Regel mit 4- bis 6 facher Bruchsicherheit baut und dafs man bislang erfahrungsmäfsig keinen Anlafs hat, einen solchen Sicherheitsgrad nicht für ausreichend zu halten, um auch alle diejenigen nicht genau im voraus zu bestimmenden Erhöhungen der Beanspruchungen mit zu decken, welche durch Zufälle aller Art, wie die vorhin erwähnten, entstehen könnten. Denn seit 50 Jahren sind, Gott sei Dank, Brückeneinstürze unter der Verkehrslast, bei denen die Ursachen nicht klar zu Tage lagen, so gut wie gar nicht bekannt. Immer waren es starke statische Mängel der Gonstruction, oder mangelhafte Baustoffe und dergl., die den Einsturz der Brücke herbeiführten. Wenn Professor Steiner und Radinger es im Mönchensteiner Falle noch für nöthig halten, zu fragen, ob nicht etwa der Einflufs der Gegen gewichte der Locomotiven , sowie auch die Schwingungen der Gonstruction in Verbindung mit einer ungünstigen Geschwindigkeit der Loco- motive, Antheil an den Ursachen des Einsturzes der Brücke gehabt haben, so thun sie der Con- struction der Birsbrücke doch wohl zu viel Ehre an. Beschleunigend mögen derartige ungünstige Umstände wohl gewirkt haben, die Gonstruction hätte aber im Hinblick auf ihre offenbaren stati schen Mängel vor Jahren auch ohnedies schon einstürzen können, das haben die bisherigen Gut achten von zuständiger Seite klar genug dar- gethan. Sehr beachtenswerth erscheint uns die von Professor Radinger erläuterte Thatsache, dafs ein Träger bei eintretender Belastung eine gewisse Zeit braucht, um seine volle Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. „Nehme ich an,“ sagt Radinger, „ein Tragquerschnitt werde auf Biegung oder Abscherung belastet, so kann die Erweckung der Beanspruchung, von der durch die Einwirkung der äufseren Kraft getroffenen Stelle aus, im Innern des Querschnittes nur mit einer endlichen Geschwindigkeit fortschreiten. Die fern gelegenen Fasern benöthigen einer endlichen Zeit, bis sie sich getroffen fühlen und ihren Widerstand als Beihülfe entsenden können. Vor deren Einlangen hat daher der Querschnitt eine geringere Festig keit, als die statische Berechnung annimmt. Allerdings steigt nun in der Mehrzahl der