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Lassen diese Gründe eine gleichmäfsige ge setzliche Regelung der Beisitzerwahl für alle Gewerbegerichte als geboten erscheinen, so ist damit noch nicht entschieden, ob die Wahl auf dem directen oder auf einem indirecten Wege zu vollziehen sein wird. Diese Frage ist von geringer Bedeutung für die Wahl von seilen der Arbeitgeber, welche bei ihrer kleineren Anzahl und ihrem Bildungsgrade die geeigneten Personen bei jeder Art von Wahlverfahren leicht und ohne Unzuträglichkeiten für die Allgemeinheit zu finden wissen werden. Um so wichtiger ist es, dafs für die Wahl der aus den Arbeitern zu ent nehmenden Beisitzer ein zweckmäfsiges Verfahren eingeschlagen wird. Der Reichstag hat bekanntlich in seiner Re solution vom 12. Januar 1889, durch welche die verbündeten Regierungen um Vorlegung eines Gesetzentwurfs, betreffend die Einführung von Gewerbegerichten, ersucht wurden, ausdrücklich den Wunsch ausgesprochen, dafs die Wahl der Beisitzer in unmittelbarer, gleicher und geheimer Abstimmung erfolgen solle. In der vorher gegangenen Debatte wurde zwar von verschie denen Rednern betont, dafs sich über das zweck- mäfsigste Wahlsystem streiten lasse und dafs sie sich ihre Entscheidung hierüber trotz Annahme der beantragten Resolution vorbehalten müfsten. Ueberwiegend sprach man sich aber für die all gemeine und directe Wahl aus unter Hervor hebung der günstigen Erfahrungen, welche man mit derselben bei mehreren der bestehenden Ge werbeschiedsgerichte gemacht habe. Wir sind jedoch der Meinung, dafs bei einer gesetzlichen Regelung auf der Grundlage des Entwurfs die bisherigen Erfahrungen zur An nahme des directen Wahlsystems weder nöthigen noch berechtigen. Zu den Stadtgemeinden, welche auf Grund des § 120a der Gewerbeordnung besondere ge werbliche Schiedsgerichte gebildet haben, gehören um nur die hervorragendsten zu nennen — Frankfurt a/M., Breslau, Leipzig, Dresden, Karls ruhe, Stuttgart, Erfurt, Nürnberg, Liegnitz. Die Berufung der Beisitzer für diese Gerichte weist eine bunte Mannigfaltigkeit verschiedener Systeme auf.* In Frankfurt a/M., Leipzig, Stuttgart und Nürnberg gilt das allgemeine, directe und geheime Wahlrecht, wie es auch die Sladt Berlin durch ihr in der Vorbereitung begriffenes Statut ein zuführen beabsichtigt. In Karlsruhe dagegen werden die Beisitzer durch den Stadtrath er nannt, in Breslau und Erfurt wird die Wahl von der Stadtverordneten-Versammlung vollzogen, in Dresden von einer aus drei Rathsmitgliedern und drei Stadtverordneten bestehenden Commission. * Vgl. Mittheilungen des Abg. Baumbach in der Reichstagssitzung vom 12. Januar 1889 und das neu erschienene Werk: W. Stieda, Das Gewerbegericht, S. 85 und 48. In Liegnitz endlich werden die Beisitzer stets nur für den gerade zur Verhandlung stehenden Streitfall von den Parteien gewählt. Eine diesen gewerblichen Schiedsgerichten ganz analoge Be hörde besteht landesgesetzlich in Hamburg; die Beisitzer aus Arbeitgebern und Arbeitern werden von den Gewerbekammern gewählt. Ziehen wir schliefslich noch die seit Anfang dieses Jahr hunderts bestehenden rheinischen Gewerbegerichte heran, was bei ihrer sachlich gleichartigen Com- petenz durchaus zulässig ist, so finden wir, dafs hier die Mitglieder gemeinsam von allen Wahl berechtigten gewählt werden und dafs von den Arbeitern nur diejenigen wahlberechtigt sind, welche mindestens drei Thaler Klassensteuer zahlen. Dafs sich bei irgend einer dieser Berufs arten besondere Mängel herausgestellt und die Thätigkeit des betreffenden Gewerbegerichts be einträchtigt hätten, ist nicht bekannt geworden, man darf also zunächst annehmen, dafs jedenfalls die directe Wahl sich nicht als das einzig und allein geeignete Verfahren herausgestellt hat. Wir gehen jedoch weiter und behaupten, dafs es bei den bisherigen Verhältnissen überhaupt ziemlich gleichgültig sein konnte, in welcher Weise die Beisitzer gewählt wurden, weil die bisherigen Gewerbegerichte auf eine rein richterliche Thätigkeit beschränkt waren. Dafs letzteres der Fall war, dafs insbesondere die gewerblichen Schiedsgerichte die ihnen in einigen Ortsstatuten übertragene Function als Einigungsamt in irgend erheblichem Mafse nicht bethätigt haben, wird kaum bestritten werden. Liegen doch Berichte über eine solche Thätig keit von keinem Orte vor und klagte doch sogar — im Juni 1889 — die »Frankfurter Zeitung«, »dafs von den Theilnehmern an den vielen Streiks, die in letzter Zeit in unserer Stadt ausbrachen, fast noch keine Partei daran gedacht hat, das eigens zu diesem Zweck geschaffene Einigungs amt des städtischen Schiedsgerichts um Vermitt lung anzugehen“. Hatten aber die bisherigen Gewerbegerichte den Charakter ausschliefslich richterlicher Behör den, so erklärt es sich leicht, warum es auf die Form der Beisitzerwahl wenig ankam und die verschiedensten Wahlsysteme mit gleichem Erfolge friedlich nebeneinander bestehen konnten. Als Mitglieder eines Gerichtscollegiums sind die von Arbeitgebern oder Arbeitern gewählten Beisitzer nicht in der Lage, mit grundsätzlicher Einseitig keit ihre Standesinteressen zu vertreten, jeder agitatorischen Thätigkeit ist durch die Schranken des materiellen Rechts und des zu beobachtenden processualischen Verfahrens der Boden entzogen. Es hat deshalb nichts Auffallendes für uns, dafs z. B. die Gewerbeschiedsgerichte in Frankfurt a. M., Leipzig und Nürnberg nach übereinstimmendem Zeugnifs zur Zufriedenheit der Interessenten fun-