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So führte noch kürzlich das freisinnige »Ham burger Fremdenblatt« aus, dafs Colonieen, abge sehen von ihrer allgemeinen Gulturbedeutung, dadurch besonderen Werth haben, dafs sie dem nationalen Handelsverkehr neue Wege eröffnen, die ihm in erster Linie und mit dem höchsten Gewinn vor dem Handel anderer Nationen zu gänglich sind. Die Colonieen sollen den Boden für ein neues Wachsthum der nationalen Handels bewegung bilden, gleichgültig, ob sie Auswan- derungscolonieen sind, d. h. Colonieen, die der nationalen landwirthschaftlichen Arbeit eine Stätte bieten, oder Plantagencolonieen, wo mit Hülfe der Eingeborenen unter der Leitung weniger Europäer der Boden ausgenutzt wird, oder drittens blofse Handelsniederlassungen, wo die nationale Unternehmung sich lediglich darin bethätigt, dafs sie die Producte der eingeborenen Wirthschaft sammelt und gegen Erzeugnisse der heimathlichen Industrie eintauscht. Aus dem colonialpolitischen Interesse entwickelt sich also ein mercantiles, wie die Aussicht auf ein solches denn auch die Anregung zu colonialen Unternehmungen bildet. Insofern ist sogar der mercantile Werth des Ver kehres nach eigenen Colonieen höher zu schätzen als nach fremden, weil erfahrungsmäfsig die Handelsgewinne darin gröfser sind, und der nationale wirtschaftliche Werth im allgemeinen, die Resultate der Anlagen in eigenen Colonieen ganz und gar — auch in Hinsicht auf den Gewinn aus den landwirthschaftlichen und com- merziellen Unternehmungen in den Colonialplätzen selbst — dem heimatlichen Wirthschaftswesen und dem nationalen Kapitale zufliefsen. Der Handel nach eigenen Colonisationsstätten verdient an sich darum sogar eine gröfsere Aufmerksam keit und Sorgfalt, als der nach fremden. Allerdings kommt daneben die quantitative Bedeutung des vorhandenen oder noch zu er reichenden Handelsverkehrs in Frage. Dafs derselbe nach Ostasien ein ungeheuer viel gröfserer ist als nach Ostafrika, und wohl auch immer gröfser bleiben wird als dieser, läfst sich nicht bestreiten. Der Charakter und die Dichtigkeit der Bevölkerung, Klima und Bodenbeschaffenheit bedingen Unter schiede, die niemals ganz zu beseitigen sind und welche die träumerische Vorstellung von einem zweiten Indien auf dem schwarzen Continente ins Reich der unerfüllbaren Illusionen verweisen. Allein darf man deshalb, weil Ostafrika voraus sichtlich niemals die ungeheure Ergiebigkeit Indiens erreichen wird, die cultivatorische Arbeit und deren Früchte in jenen Gebieten geringschätzen und ihr jede Förderung durch allgemeine Mittel versagen? Nichts beweist deutlicher, dafs ein solcher Standpunkt ein durchaus verkehrter sein würde, als dafs die Engländer, deren Findigkeit und Feinfühligkeit für commerzielle Aussichten mit Recht fast sprichwörtlich geworden sind, eine fast leidenschaftliche Thätigkeit entwickeln, innerafrikanische Gebiete zu erwerben und zu bearbeiten, und dafs sie dabei einen Opfermuth zeigen, an den der der deutschen Colonialbewegung nicht entfernt heranreicht. Kann man sich vor stellen, dafs dies geschehen würde, wenn unsere handelsklugen britischen Vettern nicht überzeugt wären, vielfach die Kosten ihrer politischen, wirth- schaftlichen und mercantilen Investitionen infolge der Entwicklung der neu erworbenen und be arbeiteten Gebiete wieder zu erhalten ? Kann man glauben, Englend würde „um ein Stückchen Afrika“ sich ein wirthschaftlich so bedeutendes Volk, wie das portugiesische, mit dem es einen Handelsumsatz von 150 Mill. Mark pflegt, auf das heftigste verfeinden, wenn es nicht wüfste, dafs das „Stückchen Afrika“ in einer nicht so fernen Zukunft ein wichtiges Gebiet zur Erwerbung britischer Wohlstandsgüter repräsentiren mufs? Es fällt den Engländern nicht ein, bei ihren Unternehmungen zu fragen: wie grofs oder wie klein ist der Handelsumsatz im Nyassalande oder nördlich vom Tana in der Gegenwart? Würden sie danach rechnen, so würden sie hübsch zu Hause bleiben und ihr Geld im Kasten lassen müssen. Sie betrachten nur die mögliche zu künftige Entfaltung von Cultivation und Handel, und darum verschmähen sie es nicht, obwohl sie das vielgerühmte Indien besitzen, in Afrika eine rege und kostspielige Colonialpolitik zu betreiben und durch staatliche Mafsregeln zu unterstützen und zu sichern. Im Hinblick auf diese Thatsache hält es denn auch das genannte Hamburger Organ nicht für richtig, ängstlich auszurechnen, was jetzt der Handel zwischen Deutschland und Ostafrika werthet und danach über die colonialpolitischen und die damit in Verbindung stehenden verkehr- liehen Projecte abzuurtheilen. Ein Blick auf die Entwicklung des Handels von Hamburg mit Westafrika sollte darüber belehren. Derselbe ist im Verlaufe des Decenniums von 1878 bis 1888 von rund 182 000 auf rund 1 169 000 Clr. auf der Importseite, und auf der Exportseite von 496 000 auf 1 122 000 Ctr. angewachsen, ohne dafs diese Ziffern den über England, Frankreich und Portugal gehenden indirecten Verkehr ent hielten. Es ist naturgemäfs, dafs der Handel in einem uncultivirten Lande anfangs ganz unergiebig ist, während er ungeahnte Dimensionen annimmt in dem Mafse, als die cultivirende Arbeit in dem selben sich festsetzt und vorschreitet und der Verkehr mit dem Innern erleichtert und ent wickelt wird. Der Handel mit Indien hat anfangs auch nicht nach Milliarden gezählt, und vollends nicht der nach den übrigen ursprünglich völlig uncultivirten Colonieen Englands, und doch bildet heute die Ausfuhr nur von britischen Producten nach den englischen Colonieen ein reichliches Drittel der englischen Industrie-Ausfuhr überhaupt, und wenn man die Vereinigten Staaten, die ja