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verschiedene Geschwindigkeit, die wir mit u und v bezeichnen wollen. Die Leitfähigkeit gestaltet sich nun einfach so, dafs k = u — v ist, wobei nur noch für richtige Wahl der Einheiten zu sorgen ist. Hittorf dagegen richtete seine Aufmerksamkeit auf das Verhältnifs e = I. Wenn nun sowohl v k als e gemessen werden können, so sieht man ein, dafs im Princip auch u und v berechnet werden können. Diese beiden Betrachtungen setzen voraus, dafs der Elektrolyt während des Stromes sich zersetzt, und dafs seine Bestand theile, die Ionen, sich einander entgegen bewegen. Soweit haben wir es noch mit althergebrachten Vorstellungen zu thun. Dennoch verlangt ein näheres Eingehen auf die energetische Erklärung eine Vertiefung der Betrachtung. Wenn nämlich der Strom fähig sein soll, Flüssigkeiten zu zersetzen, so leistet er dabei eine nicht geringe Arbeit, und es fragt sich, ob beim schwächsten Strome bereits eine Zersetzung denkbar ist, wie eine solche wirklich beobachtet worden ist. Diese Ueberlegung veranlafste schon Clausius im Jahre 1857, eine Dissociation der gelösten Substanzen anzu nehmen. Der schwächste Strom fände in einer Lösung von KJ z. B. stets einige getrennte Atome von K und von J vor, daher sei keine Energie zu verbrauchen, um Trennung zu bewirken, und es kann sofort eine Wanderung nach entgegen gesetzten Seiten eintreten. Diese in einer Lösung bereits vorhandene Trennung nennt man bekannt lich Dissociation. In ein ganz neues Stadium aber traten die Theorien, als 1887 van t’Hoff auftrat und eine neue Theorie der Lösungen aufstellte, und sogleich darauf Arrhenius seine Theorie der Dissociation anschlofs. Viel Material lag bei andern Forschern, so namentlich bei Ostwald bereit, um in ganz neuer Weise verwerthet zu werden. In aller Kürze müssen wir die Hypothese von van t’Hoff besprechen. Dieselbe läfst sich an die kinetische Gastheorie anschliefsen. In dieser wird bekannt lich der Druck der Gase auf den Stofs der Molekel zurückgeführt, und es gelang, auf Grund dieser Anschauung nicht blofs das Mariottesche Gesetz darzuthun, sondern auch das Gesetz von Gay- Lussac, demgemäfs das Product aus Druck und Volumen eines Gases stets proportional der absoluten Temperatur ist, sowie das Gesetz von Avogadro, demgemäfs alle Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur in gleichen Raumtheilen stets gleich viel Molekel haben. Van t'Hoff übertrug die kinetische Vorstellung auch auf Lösungen und stellte die Hypothese auf, es üben die gelösten Theilchen eines Salzes ihrerseits, sowie die Theilchen des Lösemittels andererseits ihren Druck auf die Gefäfswände aus. Solche Druckantheile nennt man Partialdrucke, und es erinnert die Hypothese an das bekannte D a 11 o n sehe Gesetz, demgemäfs beim Gasgemisch stets die Summe der Drucke der Bestandtheile gleich dem gesammten Druck ist. In gleicher Weise üben die gelösten Theile ihren Druck aus und zwar nach van t’Hoffs Hypothese genau in demselben Betrage, als ob die gelösten Theilchen frei in dem Raume als Gas herumschwebten. Dieser Partialdruck gelöster Partikel wird der osmotische Druck genannt. Unser berühmter Leipziger Botaniker Pfeffer hat denselben schon 1878 zu messen verstanden. Die bezüglichen Versuche erhielten indefs neue, erhöhte Bedeutung durch van t‘ Hoffs Lehren, denn Pfeffer hatte den osmotischen Druck lediglich gemessen, während van t’Hoff ihn vorauszuberechnen lehrte, und zwar nach der bekannten Formel für Gase: p . v = R . T, wobei auch für Lösungen sich zeigte, dafs die Gröfse R nur von der Anzahl gelöster Molekel abhängig war. So gelang es ihm, den Betrag des osmo tischen Drucks einer einprocentigen Zuckerlösung zu 0,649 Atmosphären zu berechnen und eine Steigerung dieses Werthes bei höherer Temperatur bis 0,691 vorauszusagen, Zahlen, welche genau mit Pfeffers Resultaten übereinstimmen. Uebrigens braucht man nicht den osmotischen Druck durchaus als Partialdruck aufzufassen im Sinne einer kinetischen Auffassung, denn es genügt, dem empirischen Resultate des Versuchs Ausdruck zu geben. Der Fundamental-Versuch besteht darin, dafs man eine einprocentige Zuckerlösung in eine poröse Zelle giefst, deren Wände durch eine leicht herstellbare Membran aus Ferrocyankupfer semipermeabel gemacht worden sind. Dieses Gefäfs wird in destillirtes Wasser gestellt und mit dem inneren Gefäfs ein Manometer verbunden, an dem der im Innern herrschende Druck abgelesen werden kann. Infolge des osmotischen Drucks ist die Zuckerlösung bestrebt, sich auszudehnen, weil, wie in einem Gase, die Zuckermolekel einen möglichst grofsen Raum einnehmen wollen. Die Wände der porösen Zelle gestatten keine solche Aus dehnung , daher steigt die Flüssigkeit nach oben an und Wasser dringt durch die Gefäfswände nach. Dieser Art steigt im inneren Gefäfse der Druck, und das geschieht so lange, bis ein Gleich gewicht eintritt, d. h. bis der Innendruck gleich wird dem Druck der gehobenen Flüssigkeit oder dem Gegendruck des angebrachten Manometers. Aus den Versuchen erhellt, dafs der osmotische Druck nicht von der Qualität der Molekel, sondern nur von ihrer Anzahl abhängt. Wie nun ferner ein Gas arbeitsfähig ist durch seine Expansion, so findet dasselbe statt für eine Lösung. Je con- centrirter dieselbe ist, um so mehr Arbeit kann aus derselben gezogen werden. Ebenso würde es Arbeit kosten, die verdünnte Lösung wieder zu concentriren. Der Betrag des osmotischen Drucks erscheint auffallend grofs, denn schon bei einer kaum zwei- procentigen Lösung beträgt derselbe eine Atmo sphäre. Eine Normallösung hat einen osmotischen