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gurt und dazwischen liegendem Gitterwerk ausge bildet. Diese Anordnung hatte im vorliegenden Falle den grofsen Vortheil, eine sehr liefe Lage der Fahrbahn zu gestatten. Die grofse Zahl der Oeffnungen ist übrigens in beiden Entwürfen als ein Nachtheil zu bezeichnen, weil ja allgemein das Gewicht der Hängebrücken dem Gewicht gleich weit gespannter Balkenbrücken sich um so mehr nähert, je mehr Oeffnungen vohanden sind. Bislang sind — soweit bekannt — gröfsere, nach deutscher Art ausgebildete Hängebrücken in Mitteleuropa noch nicht zur Ausführung gekommen. Dem Vernehmen nach ist auf die dankenswerthe Anregung des Präsidenten v. Leibbrand allerdings eine kleinere derartige Hängebrücke, von 72 m Stützweite, in Württemberg im Bau begriffen. Sie überspannt die Argen bei Langenargen am Bodensee und erhält eine Strafsenfahrbahn mit Holzpflaster und Asphaltfufssteigen. Wenn nun auch für kleinere Weiten — namentlich was die Kosten anlangt — eine Hängebrücke keine besondere Vortheile bieten kann, so giebt es doch gewifs manche deutsche Stadt, wo trotzdem auch eine Hängebrücke kleinerer Weite wohl am Platze wäre, namentlich überall da, wo die Fahrbahn niedrig über dem Strome zu liegen kommen mufs und wo auf ein formen schönes Bauwerk mit freier Aussicht auf reizvolle Umgebungcu Werth gelegt wird. Der Bau gröfserer Hängebrücken wird in Deutschland seltener in Frage stehen. Die schönste Gelegenheit hat sich in Bonn und Budapest ge boten. Aber in Bonn hat bekanntlich die Bogen- brücke nach dem Plane der Gutehoffnungs- hütte über das Hängefachwerk den Sieg davon getragen. Und in Budapest scheint man sich noch immer nicht einig darüber zu sein, ob man den preisgekrönten Entwurf Küblers mit „Kabel“ oder „Kette“ ausführt. Verfasser möchte wün schen, dafs in Budapest die Entscheidung bald und zwar zu Gunsten des Kabels ausfallen möge. Eigentlich wäre es auch nicht recht zu verstehen, wenn dort die Wahl schliefslich doch noch auf die „Kette“ fallen sollte. Denn eine Oeffnung von etwa 300 m, wie bei der Schwurplatz-Brücke, kann — wie vorhin dargelegt wurde — mit einem Kabel am billigsten und ebenso sicher überbrückt werden, wie mit einer Kette. Die Mehr kosten bei Verwendung einer Kette würden im Budapester Falle (rund gerechnet) über 1 Million Mark betragen. Dafs man in Deutschland an den Bau grofser Hängebrücken nur mit einem gewissen Zagen herangehen wird, ist nicht zu verwundern. Man steht bei uns immer noch zu sehr unter dem Eindrücke vergangener Zeiten, in denen die Hänge brücken allerdings kein langes Leben bewiesen haben. Wenn man aber bedenkt, auf welche hohe Stufe der Vollendung heute die Eisengewinnung, besonders auch die Draht- und Kabelherstellung, gelangt ist, mit welcher Sicherheit wir heute die Spannkräfte selbst der statisch unbestimmten Con- structionen, auch unter dem Einflüsse des Wechsels der Luftwärme, zu ermitteln vermögen, welche ausgedehnten Hülfsmittel uns zu Gebote stehen, um eine gut versteifte Hängebrücke auf der Bau stelle, auch den theoretischen Anforderungen ent sprechend, genau so zusammenzubauen, dafs sie arbeitet, wie es bei der Berechnung Voraussetzung war: dann dürfte es wohl zu verstehen sein, wenn Verfasser am Schlüsse seiner Betrachtung dem Wunsche und der Hoffnung Ausdruck giebt, es möge recht bald einmal der Bau einer neueren gröfseren Hängebrücke deutscher Idee sich ver wirklichen. — Dresden, im März 1897. Praktische Arbeiterversicherungspolitik. Die Behandlung, welche der Reichstag den Vorlagen der verbündeten Regierungen über die Arbeiterversicherung hat angedeihen lassen, ist nicht nur ein Zeichen für die Geringfügigkeit der Arbeitskraft des Reichstags, sondern noch mehr ein Ausdruck der allgemeinen Stimmung, wie sie allmählich gegenüber der Arbeiterversicherung Platz gegriffen hat. Nicht, dafs die Vorzüge der staatlichen Arbeiterversicherung verkannt würden, im Gegentheil, man weifs es überall wohl zu würdigen, was es heifst,. wenn Hunderttausende von Arbeiterfamilien gegen Nothfälle des Lebens gesichert sind. Aber man wünscht doch allgemein, dafs nunmehr in der Arbeiterversicherung und in der Steigerung der Fürsorge für die Arbeiter eine längere Pause eintritt. Es ist gar keine Frage, dafs heutzutage der Ar beiter bezüglich seiner Versorgung und vielfach auch bezüglich seines Lohnes sich weit besser steht, als ein grofser Theil des Mittelstandes, Handwerker, kleine Beamte u. s. w. Daraus er- giebt sich aber mit NaturnothWendigkeit die Richtung, in welcher künftig die Arbeiterversicherungspolitik geleitet werden soll. Die Gesetzgebung darf nicht über eine allzulange Zeit hinaus einen einzelnen Stand bevorzugen, sie mufs sich vielmehr auf die verschiedenen Stände gleichmäfsig erstrecken, und nachdem der Arbeiter jahrzehntelang mit Wohl- thaten überschüttet ist, wird die Gesetzgebung nun auch mehr als bisher für den Mittelstand in