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502 Stahl und Eisen. Hängebrücken der Neuzeit. 15. Juni 1897. Zwei Windverbände, der eine zwischen den Obergurten, der andere zwischen den Unter gurten der Streckträger, schliefsen deren Gerippe mit ihren Querverbindungen und Fahrbahnen räumlich ab. Beide Windverbände (mit 35 m Trägerhöhe, gleich 1/26 der Mittelspannweite) liegen in den Thürmen wagerecht eingespannt, aber auf beweglichen Lagern, die den Tem peraturänderungen folgen. Dagegen sind die Windträger im Verankerungsgebäude derart fest gelegt , dafs sie dort Biegungsmomenten wider stehen können. Träger der senkrechten Brückenlasten, sowie der wagerechten Kabelzüge (bei einseitigen Be lastungen) sind die Thürme. Sie bestehen aus einem 150 m hohen Stahlkörper, der auf einem gemauerten Sockel verankert ist. Der Sockel ragt 10,7 m über das Hochwasser hinaus und führt 12,2 m tief unter Wasser bis zur Ober kante des eigentlichen Gründungskörpers, der im wesentlichen aus einem hohen Holz roste besteht, worin Brunnenöffnungen ausgespart sind, die mit Beton ausgefüllt werden (Abbildung 8). Der Holzrost lagert auf dem durch Beton ab geglichenen Felsuntergrunde; er wird auf der New Yorker-Seite 50 m, auf der New Jersey- Seite 28 m hoch sein. Unter der gewaltigen Last der Stahlthürme von 267500 t Gewicht, die, auf das Quadratcentimerter der Gründungs fläche bezogen, nur rund 6 kg ausmachen wird, werden sich diese Holzmassen schon während des Brückenaufbaues stark zusammenpressen. In welchem Mafse dies geschehen wird, darüber müssen Versuche vor Beginn des Baues Aufschlufs geben. Jedenfalls verspricht sich Lindenthal gute Erfolge von der Verwendung des Holzes als ela stisches Mittel zur Milderung von Stofswirkungen, namentlich für den vorzusehenden Fall des Ein trittes von Erdbeben. — Nachdem im Vorigen die allgemeine Anordnung des grofsartigen Entwurfes in aller Kürze erläutert worden ist, folgen noch Mittheilungen über das Material einschliefslich der den Querschnitts berechnungen zu Grunde liegenden Annahmen, und über die Herstellung der Brücke. Für alle Brückentheile, die (wie die Augenr Stäbe) durch Schmieden oder Pressen geformt werden müssen, auch für solche Theile, die stofs- artigen Wirkungen oder häufigen Belastungs wechseln unterworfen sind (Theile der Streck träger, Querverbindungen, Fahrbahnen u. s. w.), ist weiches Flufsmetall (Flufseisen) vor gesehen. Dagegen soll für Theile, die mehr ruhenden und selten in voller Stärke auftretenden Belastungen ausgesetzt sind (Thürme und Gurtungen der Windverbände), härteres Metall (Flufsstahl) verbraucht werden. Das härteste und zäheste Metall wird natürlich für die Kabel verwendet. Danach werden etwa folgende Materialsorten zu verzeichnen sein: Sorten Bemerkungen 1. Flufseisen . . 2. Flufsstahl . . 3. Martin - Flufs- stahldraht . . Streckträger-[ wandern. Fahr-, bahnträgern und Querver bindungen. Geschmiedete und geprefste Stücke Turmtheile u. Windgurte Kabeldraht 6,4 mm Durch ¬ messer, Nr. 3 der Birming- j hamlehre 128 Kaltbiegeprobe unter 1800 Kalt stanzen und Lochen am Rande, ohne Risse. Winden und Rückwinden kalt um einen Dorn von 1 cm Durchmesser ohne Risse. Mit Rücksicht auf die grofse Unwahrschein lichkeit, dafs bei der Inanspruchnahme der Brücken theile alle ungünstigsten Umstände gleichzeitig eintreten, ist durchschnittlich eine dreifache Sicherheit gegen Bruch für ausreichend erachtet worden. Das giebt eine zulässige Spannung für 1 qmm Querschnitt von 43 kg in den Kabeln, 30 kg in den Tragseilen, ±25,4 kg in den Windgurten, und 21 kg in den Verankerungen und Thurmtheilen. In der Regel werden diese äufsersten Spannungen bei weitem nicht erreicht werden. Schon dafs einmal die ganze Brücke voll belastet wäre, ist ein Fall, mit dem kaum gerechnet zu werden braucht. Um, z. B. wie es in der Berechnung angenommen worden ist, allein 8 Geleise der Brücke voll zu beladen, müfsten 1800 Locomotiven und 3000 Güterwagen zusammen kommen, d. h. mehr Locomotiven, als sie das gröfste Eisenbahn netz der Vereinigten Staaten, die Pennsylvannia- Eisenbahn, gegenwärtig besitzt. Auch ein der Berechnung zu Grunde gelegter Winddruck von durchschnittlich 3,6 t für ein Längenmeter der Brücke (230 kg/qm der Tragwandoberfläche) wird nur während eines Tornados oder Orkans vor kommen, die in New York zu den Seltenheiten gehören. Die Temperaturunterschiede sind mit 55°C.(130°F.) angesetzt. Die dadurch in den Kabeln hervorgerufenen Spannkräfte werden höchstens nur 19 Hundertstel der vom Eigengewicht der Brücke herrührenden Spannkräfte erreichen. Das wird eine Hebung oder Senkung des Scheitels der Mittelöffnung um 55 cm verursachen, abgesehen von den Formänderungen, die infolge einseitiger Belastung und des Ausbiegens der Thurmenden eintreten. Die Thurmenden werden zwar durch Temperaturspannkräfte der Kabel nicht beeinflufst, wohl aber durch die Temperatureinflüsse im Thurm selbst, wenn einige Thurmsäulen von der Sonne beschienen werden, während andere im Schatten bleiben. Die gröfste dadurch verursachte Aus biegung wird 5 cm nicht überschreiten. In der Richtung der Brückenachse können sich die Thurm-