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1. Januar 1897. Das Fahrrad und seine Fabrication. Stahl und Eisen. 7 das Fahrrad angenommen hat. * Die Verschieden heiten beziehen sich beinahe auf alle Details, und es giebt wohl kaum zwei Fabriken, welche die selben Räder bauen. Selbst die an sich so ein fache Art des Antriebes unterliegt grofsen Ver schiedenheiten, und die sinnreichsten Constructionen treten dem Vergleichenden entgegen. An der Fabrication nehmen hauptsächlich drei Länder theil: Amerika, England und Deutsch land. In geringerem Mafse sind Frankreich, Oesterreich und Italien daran betheiligt. In den Vereinigten Staaten hat die Herstellung von Fahrrädern während der letzten Jahre einen Aufschwung genommen, wie kaum ein anderer Zweig der Industrie ihn je zu ver zeichnen gehabt hat. Bis zum Jahre 1885 wurden noch alle in den Vereinigten Staaten gebrauchten Fahrräder aus Frankreich und England eingeführt. 1885 gab es dort erst 6 Fabriken, die jährlich zusammen nur 11 000 Maschinen herstellten. Die eigentliche Entwicklung dieser Industrie begann erst 1890. Damals gab es 17 Geschäfte mit einer Herstellung von 40 000 Rädern, 1894 wurde schon die Ziffer 100 000 bis 125 000, 1895 gar die Ziffer (>00 000 erreicht, welche Räder sich auf 500 Häuser vertheilten, von denen keines weniger als 1000 Maschinen lieterte. Gegenwärtig giebt es 800 bis 900 solcher Fabriken, das Kapital der 500 gröfsten ■ von ihnen dürfte sich auf 460 Millionen belaufen, und die Erzeugung für 1896 wird auf mindestens 1 Million Fahrräder im Werthe von 240 Millionen Mark veranschlagt. Wenn man noch die Nebenindustrien hinzurechnet, die das Material vorbereiten und die verschiedenen Gegenstände zur Ausstattung der Fahrräder (La ternen, Glocken u. s. w.) herstellen, so kann man annehmen, dafs der heutigen Fabrication von Fahrrädern in Amerika ein Kapital von nicht weniger als 650 Millionen zu Grunde liegt. Trotz dieser riesigen Production wurden seit einigen Jahren sogar noch aus England, Deutsch land und Frankreich Fahrräder nach Amerika eingeführt, was hauptsächlich mit dem in Amerika die Production immer noch übersteigenden Bedarf, sowie mit dem Preis zusammenhängt. Es giebt in Amerika reichlich drei, vielleicht sogar vier Millionen Radfahrer; nimmt man auch nur die erste Zahl als zutreffend an, so kommt auf 24 Einwohner der Vereinigten Staaten 1 Radfahrer, das ist ein Verhältnifs, welches z. B. dasjenige in Frankreich (in Deutschland giebt es unseres Wissens noch keine derartige Statistik) um das Zehnfache übertrifft, da in Frankreich erst auf 250 Einwohner 1 Radfahrer kommt. Wie ungeheuer der Gonsum in den Vereinigten Staaten ist, geht aus der That- sache hervor, dafs im letzten Jahr dort allein * Siehe u. a. „Dinglers polyt. Journal“ Nr. 256 Heft 8 und Nr. 301 Heft 8, sowie „Institutions of Mechanical Eng.“, Mai 1886. 263 427 Stück Gyklometer von einer einzigen Firma verkauft worden sind, ein Mefsapparat, der doch nur Luxus ist und im Verhältnifs von nur wenigen Radfahrern verwendet wird. Die amerika nischen Eisenbahnen können sich vorläufig noch nicht beklagen, sie haben von dem Transport der vielen Fahrräder sogar noch einen Vortheil. Es wird angegeben, dafs in den ersten 15 Tagen des Julimonats in der Ferienzeit durch die von New York ausgehenden Eisenbahnen etwa 75 000 Fahrräder transportirt werden. Natürlich nimmt die Ausfuhr amerikanischer Fahrräder auch schon beträchtliche Ausdehnung an, und in England befürchtet man, dafs im nächsten Jahre etwa 40 000 bis 50 000 amerikanische Fahrräder auf dem englischen Markte erscheinen werden. Nach der „Exporters Association of Amerika“ gingen im Mai dieses Jahres aus dem New Yorker Hafen Fahrräder im Werthe von nahezu 41/2 Millionen Mark nach dem Auslande. Davon kamen auf England 2 199 300, auf Deutsch land 604 060, auf die Niederlande 318100, auf Frankreich 205 260 und auf Belgien 140000 Jt. Der Rest vertheilt sich auf Rufsland, Oesterreich- Ungarn, Italien, Dänemark, Norwegen und Schweden, Griechenland, Bulgarien, Spanien und Portugal. Ueber die rasche Entwicklung der englischen Fahrradfabrication berichtet die „Times“, dafs die Gesammterzeugung auf 750 000 Räder für das Jahr geschätzt wird, was ungefähr einem Werth von 220 bis 240 Millionen Mark entspricht. Hiervon wird aufserordentlich viel ausgeführt. Im letzten Jahr belief sich die Ausfuhr auf 281/2 Millionen Mark gegen 241/2 Millionen Mark im Vorjahr. Schon das diesjährige erste Vierteljahr ergab über 9 Millionen Mark für exportirte Waare, gegen etwa 61/4 Millionen Mark im Vorjahre zur selben Zeit. Ende 1889 betrug das auf Fahr räder angelegte Actienkapilal für England etwa 120 Millionen Mark und wird heute auf 340 Millionen Mark geschätzt. Die deutsche Fahrradfabrication ist nicht viel älter als ein Jahrzehnt. Die ältesten Fahrradfabriken sind die von Seydel & Naumann in Dresden und von Dürrkopp & Go. in Bielefeld. Dann folgten Kleyer in Frankfurt a. M. und Gebr. Reichstein in Brandenburg a. H. Letztere, welche bereits vor 1886 Kinderwagen fertigten, nahmen die Fabrication eigentlicher Fahrräder erst 1888/89 in die Hand. Zur Zeit sind etwa 26 Fabriken, welche Fahrräder liefern, in Deutsch land in Thätigkeit, wozu eine grofse Zahl — etwa die Hälfte — von Fabriken tritt, welche sich nur mit Theilfabrication beschäftigen. — Allenthalben entstehen neue Fahrradfabriken. Im ganzen ist der Aufschwung der Fahrradfabrication auch in Deutsch land ein gewaltiger, so dafs bereits von verschiedenen Seiten Stimmen laut geworden sind, welche die Kapitalisten warnen, ihr Geld in Fahrradfabrication anzulegen. Da indessen das Fahrrad, wie wieder-