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196 Stahl und Eisen. Bericht an die am 5. f'ebr. 1900 abgehaltene Hauptversammlung etc. 15. Februar 1900. Begehrlichkeit? Etwa darin, dafs wir niemals gegen einen neuen Verkehrsweg in anderen Pro vinzen Widerspruch erhoben, niemals „Compen- sationen“ gefordert haben? Man nenne doch einen einzigen Fall, in dem dies geschehen wäre! Wir haben uns im Westen stets auf den Stand punkt der Allgemeinheit gestellt; wir haben ge meint, im Interesse der Verkehrsentwicklung des ganzen Landes auch gegen diejenigen neuen Ver kehrswege niemals Widerspruch erheben zu sollen, die eine Verschiebung zu unseren Ungunsten herbeizuführen geeignet waren. Haben wir etwa Widerspruch erhoben gegen die Kanalisirung der Oder? gegen die neueren Bahnen im Osten, die gröfstentheils aus den im Westen verdienten Ueber- schüssen der Staatseisenbahnen gebaut worden sind? Haben wir etwa Widerspruch erhoben gegen den Ausbau des Grofsschiffahrtsweges Berlin- Stettin? Und doch würde derselbe grofse Ver schiebungen zu unseren Ungunsten hervorbringen. Er wird das früher dem Hrn. Grafen Henckel i v. Donnersmarck gehörige „Kraftwerk“ bei Stettin in die Lage bringen, sein Giefsereiroheisen auf | directem Wasserwege nach Berlin zu verfrachten | und dort das gleiche rheinisch-westfälische Product i noch viel intensiver als bisher zu bekämpfen. Ist das etwa Begehrlichkeit, wenn wir keinerlei Wider- j sprach gegen diesen neuen Verkehrsweg geltend ■ machen, keinerlei Gompensation fordern? Was wir wünschen, besteht einzig und allein darin, j dafs auch unsere westlichen Verkehrswege dem ; bestehenden Bedürfnifs gemäls unterhalten und j ausgebaut werden. Millionengeschenke sind der rheinisch-westfälischen Industrie niemals gemacht, | sondern es ist aus ihrem Steuererträgnifs und aus dem Erträgnifs der bei ihr zum gröfsten Theil I verdienten Eisenbahnüberschüsse das gebaut worden, was gebaut werden mufste, und auch das noch nicht in genügendem Mafse. Es ist doch keine Begehrlichkeit, wenn wir wünschen, dafs einer ' wirklichen Verkehrsnoth in Zukunft gesteuert werde. Und dafs im Westen sich allmählich eine Verkehrsnoth herausstellen wird, das dürfte doch nach den autoritativen Ausführungen der Herren Minister der öffentlichen Arbeiten und der Landwirthschaft eines Beweises nicht mehr be dürfen. Wird dieser Verkehrsnoth nicht recht zeitig begegnet, dann wird der Staat und die Wohlfahrt des ganzen Landes den schwersten Schaden davon haben. Nun ist gesagt worden, dafs die Eisenbahnen, wenn man den Kanal baut, einen grofsen Einnahmeverlust haben würden, { und der letztere ist „rechnungsmäfsig“ auf 53 j Millionen Mark beziffert worden. Es ist aufser- ordentlich zu bedauern, dafs nach dieser Richtung i eine Zahl genannt worden ist, für deren Richtig keit doch niemand eine Gewähr übernehmen kann und von der es schliefslich im Gommissionsbericht j heifst: „Der Verlust werde also thatsächlich vor aussichtlich gar nicht in die Erscheinung treten“. Es ist überhaupt nicht verständlich, wie man bei 67 000 000 •% Bruttoverlust auf 53000000 Netto-Einnahmeverlust kommen konnte. Und dann zeigen die Erfahrungen beim kanalisirten Main das gerade Gegentheil; nach der Kanalisirung sind die Einnahmen der dortigen Bahnen ganz wesentlich gestiegen. Beim Rhein ist es nicht anders. Zunächst setzte man dort den Untergang der Schiffahrt voraus, als die Bahnen gebaut wurden, und dann befürchtete man von der Strom- correction eine Verminderung des Frachtgeschäftes der Eisenbahnen. Dafs diese Befürchtungen nicht eingetroffen, ist allgemein bekannt; neben dem Rheinschiffahrtsverkehr blüht der Eisenbahnverkehr auf beiden Ufern des Rheines. Was die Befürchtung betreffs der Leutenoth anbelangt, die der Kanalbau im Gefolge haben soll, so verwickeln sich die Kanalgegner in einen eigenthümlichen Widerspruch, wenn sie laut Be- schlufs der Commission das Abgeordnetenhaus auffordern, „der Staatsregierung seine Bereitwillig keit zur Bewilligung der für die Vermehrung und Erweiterung der Ausrüstung und Anlagen der Eisenbahnen erforderlichen Mittel auszusprechen, um die Leistungsfähigkeit der Staatsbahnen ent sprechend dem stetig wachsenden Verkehr zu erhöhen.“ Denn es bedarf keines Nachweises, dafs der Bau neuer Eisenbahnen der Landwirth schaft viel mehr Kräfte entziehen würde, als es der Bau des Mittellandkanals jemals thun wird. Auch dagegen mufs Widerspruch erhoben werden, dafs man in weiten Kreisen der west lichen Industrie Gegner des Kanals sei. Das Gegentheil beweisen die an das Abgeordnetenhaus gelangten Darlegungen der Handelskammern Mül heim a. d. Ruhr, Duisburg, Ruhrort und Bochum. Gerade diejenigen Städte und Bezirke, welche einen unmittelbaren Nutzen von dem Kanal nicht haben würden, haben sich dennoch auf den Standpunkt der Allgemeinheit gestellt und den Ausbau des Kanals dringend befürwortet; denn obwohl der Kanal den Städten Duisburg, Ruhrort und Mülheim a. d. Ruhr nicht direct nützen, sondern den beiden ersteren sogar betreffs des Umschlagsverkehrs Abbruch zu thun geeignet erscheint, kann man dennoch aus den Eingaben der betreffenden Handelskammern ersehen, dafs diese Bezirke durchaus für den Kanal eintreten. Ganz vortreff lich sagt z. B. die Ruhrorter Handelskammer: „Auch hier im Westen und speciell in unserem Bezirk werden sich die directen Vortheile des Kanals ungleich vertheilen, hier und da sogar Sonderinteressen sich benachtheiligt fühlen. Wir würden es für das verkehrteste halten, hier kleinlich die kritische Sonde anzulegen, wo ein vitales Interesse der gesammten nationalen Wirthschaft in Frage kommt.“ In demselben Sinne hat sich auch die Handelskammer in Bochum ausgesprochen, obgleich auch Bochum nicht direct vom Kanal berührt wird. Diesen Standpunkt theilt ebenfalls