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15. Januar 1901. Das Ärtiilerwmaterial (auf der Pariser Weltausstellung). Stahl und Eisen. 71 haben. Man scheint dabei von dem Grundsatz ausgegangen zu sein, alle Bewegungen des Ver schlusses zum Oeft'nen und Schliefsen mittels Zahnradübertragungen durch ununterbrochenes Drehen eines Handrades bewirken zu lassen. Dieser Grundgedanke ist in der Weise zur Aus führung gekommen, dafs der Tragearm, mit dessen einem Ende der Verschlufsblock drehbar ver bunden ist, mit dem anderen Ende um einen Gelenkbolzen in den am Rohre befestigten Gelenk ösen dadurch zu schwenken ist, dafs mittels Schneckenantrieb das Drehen des Gelenkbolzens j erfolgt. Beim Oeft'nen besorgt derselbe zunächst durch ein Schraubenradgetriebe das Entriegeln des Verschlusses, indem er durch Vermittlung eines Knickgelenks die Verschlufsschraube um ihre Achse dreht und daran anschliefsend aus dem Rohre herumschwenkt. Beim Schliefsen gehen die Bewegungen umgekehrt vor sich. Der Verschlufs wird vorwiegend für plastische Liderung eingerichtet, läfst sich aber auch für Metall-Kartuschliderung verwenden. Bei Ver schlüssen ersterer Art kann mittels elektrischer oder Frictionsschlagröhre abgefeuert werden. Für diesen Zweck ist der Verschlufstragearm mit einer besonderen Abfeuerungsvorrichtung ver sehen, die beim Oeft'nen des Verschlusses die leeren Schlagröhren auswirft. Bei Verschlüssen mit Kärtuschhülsenliderung kommt eine Ein richtung zur Anwendung, die sowohl zur elek trischen als zur Schlagbolzen-Abfeuerung dient; im letzteren Falle mufs der Schlagbolzen durch Zurückziehen mit der Hand gespannt werden. Diese Abfeuerungs-Einrichtung soll aus nicht weniger als 20 Theilen bestehen, so dafs der ganze Verschlufs aus mehr als 70 Theilen zusammengesetzt sein dürfte. Wenn wir von den bekannten Mängeln ab sehen, die dein System der Schraubenverschlüsse anhaften und ihm durch die Versehlufsmechanik nicht genommen werden können, so darf man wohl um die zuverlässige Gangbarkeit eines aus so vielen Theilen bestehenden Mechanismus be sorgt sein, zumal seine Beanspruchung auf Halt barkeit beim Schiefsen eine sehr grofse ist. Hat man bei der Construction dieses Verschlusses wirklich Erfahrungen verwerthet, so scheint die Verschlufsmechanik hinsichtlich ihrer Verein fachung dabei zu kurz gekommen zu sein. Diese Bedenken scheinen nach Vorkommnissen in jüngster Zeit nur allzusehr berechtigt zu sein. Hierbei setzen wir voraus, dafs die Berichte englischer Zeitungen* über die entdeckten Fehler an den neuen 15,2-, 23,4- und 30,5-cm Kanonen sich auf neue Schnellfeuerkanonen von Vickers beziehen, weil ausdrücklich gesagt wird, dafs die 30,5-cm Kanonen die für die neuen Schlachtschiffe be- * „Daily Mail“ vom 24. October 1900, „The Times“ vom 4. November 1900. stimmten sind. Aus den Berichten erfahren wir, dafs über die Art der Fehler zwar strengste Verschwiegenheit bewahrt werde, jedoch sei es bekannt, dafs sich die Fehler am Verschlufs- mechanismus befinden. Diese Fehler seien aber so bedeutend, dafs die Geschütze aus den Be festigungen von Dover zurückgezogen und durch andere ersetzt worden seien. Es erscheint kaum zweifelhaft, dafs es sich um die vorstehend kurz beschriebenen Vickers-Verschlüsse mit Stufen schraube handelt, die sich auf der Ausstellung in Paris sowohl in der 19-cm als in der 30,5-cm (hölzernen) Kanone befanden. Seitdem man Anfang der achtziger Jahre in England zum Hinterladungssystem der Geschütze zurückkehrte und für diese den Schrauben- verschlufs annahm, ist man unausgesetzt um die Verbesserung desselben und Beseitigung seiner Mängel bemüht. Während aber eine gesunde Entwicklung in der Technik vom Complicirten zum Einfachen fortzuschreiten pflegt, scheint es hier umgekehrt geschehen zu sein. Nicht selten gewinnt man beim Verfolgen des Entwicklungsganges den Eindruck, als ob man bei der Abstellung von Mängeln den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben habe, denn ein neuer Verschlufs, aus mehr als 70 Theilen bestehend, erscheint nicht ohne weiteres als ein Fortschritt zum Einfachen und Besseren. Es drängt sich uns dabei unwillkürlich die Erinnerung an jene Zeit auf, als man in England die merkwürdigsten Spitz findigkeiten erdachte, um den gezogenen Vorder ladungskanonen aufzuhelfen, die in der ganzen übrigen Welt (Nordamerika ausgenommen) bereits den historischen Waffensammlungen einverleibt waren. Man hielt mit dem den Engländern eigenen Starrsinn an dem einmal angenommenen System fest und suchte seine Mängel mit Pflästerchen zu verkleben, anstatt es gegen ein besseres aufzugeben, was doch über kurz oder lang geschehen mufste und Anfang der achtziger Jahre auch geschah. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dafs die Firma Vickers seit der Absorbirung der Maxim-Cy. der Entwicklung des Selbstlader systems, um das Maxim anerkannt sich verdient gemacht hat, eine besondere Pflege zuwendet, und dieses System vom Maschinengewehr auf das 3,7-cm Kaliber als Maschinengeschütz über tragen hat. Wenn in der mehrerwähnten Ausstellungspublication von den „automatischen“ 47-, 62- und 76,2-mm Kanonen als einer Weiter entwicklung des Maschinengewehrs und Maschinen geschützes gesprochen wird, so ist das nur theilweise zutreffend, da ihr Verschlufs zwar selbstthätig durch den Rückstofs geöffnet wird, dann aber stehen bleibt und das Einsetzen der Patrone mit der Hand verlangt. Diese Geschütze können daher nur Anspruch auf die Bezeichnung „halbautomatisch“ machen und damit zufrieden