Volltext Seite (XML)
Mchnih-IeitW. lität Amtsblatt Verantwortlicher Redactmr: Carl Ikhne in Dippoldiswalde. 54. Jahrgang Dienstag, den 24. Juli 1888. Nr. 86. treten, der Ukas, die Verstärkung der russischen Wehr macht betreffend, veröffentlicht wurde. Freilich will die „N. P. Ztg." wissen, daß die Absicht einer De monstration gegen Deutschland fern liege. Die Ver öffentlichung habe bereits im Juni erfolgen sollen, gerade als die Nachricht vom Tode Kaiser Friedrichs nach Petersburg kam. So sei die Veröffentlichung 4 Wochen, bis zum Ablauf der Trauerzeit aufgeschoben worden, wo ein Termin für den Besuch des Kaisers noch nicht bestimmt gewesen sei. Eben so wenig kann aber die fortwährende „Missionsarbeit" der russischen Kirche an den Protestanten der Ostseeprovinzen be ruhigend und versöhnend wirken, umsoweniger, als die „Kurländische Gouvernementszeitung" charakteristisch genug kürzlich meldet: „Se. Majestät der Kaiser hat auf Antrag des Ordensrathes Allerhöchst genehmigt, die Geistlichen Postnykow, Landyschew und Ssokolew mit dem Annenorden 3. Klasse zu belohne», weil sie lOO protestantische Seelen zum herrschenden griechischen Glauben geführt haben." Lokales und Sächsisches. Dippoldiswalde, 23. Juli. In der am vorigen Freitag stattgefundenen Versammlung des Gewerbe- Vereins wurden außer andern Eingängen die Berichte der Handels- und Gewerbekammern von Chemnitz und Dresden überreicht und die erfreuliche Mittheilung ge macht, daß die städtischen Kollegien der Volksbibliothek, welche, bekanntlich aus der Gewerbevereinsbibliothek hervorgegangen, unter der Verwaltung des Vereins steht, wiederum einen Beitrag von 30 Mark gewährt haben. Daran knüpfte sich die Einladung des Vereins der Müllerschüler „Glück zu!" zu seiner für den 19. August angesetzten Fahnenweihe, von welcher man mit Dank Kenntniß nahm und sich am Festzuge zu bethei ligen beschloß. Bezüglich der Zuschrift eines Vereins mitgliedes, das Mißverhältniß der Frachtsätze unserer Bahnstrecke zu denen der Hauptbahnen betreffend, wurde der Vorstand beauftragt, in dieser Hinsicht ge eignete Schritte bei der kgl. Generaldirektion zu thun, weshalb der Vorsitzende an alle Mitglieder die Auf forderung richtete, ihm durch Mittheilungen aus ihrem Erfahrungskreise eine weitere Grundlage zu einer in dieser Angelegenheit zu erlassenden Petition zu ver schaffen. — Dem Anträge, das ehemalige, um den Verein treuverdiente Mitglied, Herrn vr. Theile in Lockmitz, anläßlich seines vor Kurzem begangenen 50jährigen Doktorjubiläums seitens des Vereins zu beglückwünschen, wurde mit Begeisterung ausgenommen und der Vorsitzende mit der Ausführung beauftragt. — Schließlich war man damit einverstanden, der schon mehrfach ausgesprochenen und vor Kurzem erneuten Einladung des Herrn Molkereibesitzer Pfund in Dres den zum Besuche seines Etablissements in nächster Zeit zu entsprechen und zu dieser mit Frauen zu unter nehmenden Exkursion nicht durch Cirkular, sondern nur durch die Zeitung einzuladen. Da die Benutzung eines sogenannten Theaterextrazuges wünschenswerth erscheint, so wurde der Vorsitzende beauftragt, wegen Stellung eines solchen bei der Bahnverwaltung Schritte zu thun. — 23. Juli. Heute hat sich die gesammte hiesige durch ihre auswärtigen Mitglieder verstärkte Schneider- Innung nach Dresden begeben, um an der Weihe der neuen Fahne der dortigen Schwesterinnung, welche Nachmittags 5 Uhr auf dem Schillerschlößchen statt findet, Theil zu nehmen und der Fahne einen goldenen Nagel zu widmen. — Wenn auch in Dresden, wie man von dort hört, der Anfang der Gerichts- und Hundtagsserien sichtbarer markirt worden ist durch Abgang von Extra- und Vergnügungszügen, so hat sich doch auch zu uns ein Seltenzweig des regeren Verkehrs gewendet. Schon preikg, uoch mehr aber am Sonnabend machte sich der Anfang der großen Sommerfrische bemerkbar. Außer der Schönfelder Ferienkolonie, die am Sonn abend hier durchkam, war jeder Zug mit buntfarbigen Mützen ausgestattet, und auch zu Fuß kamen ver schiedene Ferienkolonisten hier an. Der gestrige Früh zug brachte gleichfalls zahlreiche Zuzügler, die im Weißeritzthale bis nach Altenberg die schöne Mußezeit genießen wollen. Ihnen allen ein herzliches Will kommen in unseren Bergen und den Wunsch, daß die Ruhepause recht wohl bekommen möge! „Glück zu." Vor zahlreicher Versammlung hielt am Sonnabend Herr Bezirksschulinspektor Mus hacke in bekannter fließender, scharf bezeichnender, witzig würzhafter, Gemüth und Verstand gleich fesselnder Weise einen Vortrag über „die deutsche Dichtung in der ersten Hälfte des 18. Jahunderts." Versumpft wie das politische und sittliche Leben der Deutschen, ebenso versumpft und verkommen war auch die deutsche Dichtung jener Zeit, in der sich Deutsche schämten, deutsch zu sein und deutsch zu reden, sondern in allen Dingen Franzosen und Engländern als mustergiltige Vorbilder nachäfften. In dieser Zeit geistiger Fremd herrschaft ist es nun vor allen Dingen das Verdienst des Leipziger Professor Gottsched (f 1767) und der beiden Züricher Bodmer (f 1783) und Breitinger (i 1776), die deutsche Dichtung wieder in deutsche Bahnen und auf deutsche Stoffe hingeleitet und der deutschen Sprache wieder in der Literatur Eingang verschafft zu haben. Waren dieselben als Dichter auch gleich Null, so ließ der Herr Vortragende ihnen doch voll und ganz die Ehre, als Literaturhistoriker und Kritiker bahnbrechend in ihrer Zeit gewirkt zu haben. Von den Anhängern Bodmers, denn Gottsched war von allen jüngeren Talenten außer dem nüchternen, mittelmäßigen, hölzernen Freiherrn v. Schöneich ver lassen worden, erwähnte der Herr Vortragende theils mit günstiger, theils ungünstiger Kritik die beiden Schlegel, Kramer, Rabener, Zachariä und Gellert (f 1769). Für die gebotenen literarischen Klarstell ungen und das Versprechen künftiger Vorträge be zeigte die Versammlung mit lautem Beifall ihre Dank barkeit. Rabenau, den 23. Juli. Gegen 200 Sänger hatten sich gestern Sonntag hier vereinigt, um «in grobes Gesangs-Concert zu geben. Nachdem die fremden Vereine von den Rabenauern im Amtshofe mit einem „Grüß Gott!" empfangen worden, bewegte sich der Sängerzug durch die festlich geschmückte Stadt nach der Albertshöhe, in deren einfach aber sinnig dekorirtem Saale das Concert abgehalten wurde. Das herrliche, heitere Wetter hatte eine» zahlreichen Besuch begünstigt, so daß der große Saal nicht alle Zuhörer fassen konnte. Das Programm enthielt 7 Massenchöre, welche Herr Kantor Hellriegel-Dip poldiswalde als Mitglied der Musikkommission des Elbgausängerbundes dirigirte. Gesangsvorträge von Maffenchören sind von mächtiger Wirkung, und war diese besonders fühlbar, als in dem Lied „Durch den Wald" die Tenöre und zuletzt erster und zweiter Baß einstimmig einfielen: „Und ein Jubel erschallt rc." Wir kennen die Schwierigkeiten, die die Einübung der Massenchöre bietet, und freuen uns darum, unsere Anerkennung voll und ganz über die ausgesührten Vorträge im Allgemeinen aussprechen zu können; wollen aber auch nicht verschweigen, daß es einzelnen Sängern anzurathen ist, noch mehr auf Vortrags zeichen und Takt zu achten, denn es ist störend und oft bei den ernstesten Liedern lächerlich wirkend, wenn hier und da Einer die Pausen mit singt. Zur Ver meidung solcher Fehler ist weiter zu empfehlen, den Tritt für den Dirigenten noch mehr zu erhöhen. Es muß aber auch zugegeben werden, daß in diesem Jahre, verglichen mit dem vorjährigen Concert, ein gewaltiger Fortschritt zu verzeichnen ist, und Anregung zum Streben zu geben, ist der Hauptzweck solcher Vereinigungen, sowie neue Mitglieder in die einzelnen Vereine ^ind neue Vereine in den Bund zu werben. Jnjerate, welche bei der bedeutenden Auflage det Blattes eine sehr wirk same Verbreitung finde», werden init lv Psg. die Spaltenzeile oder deren Raum berechnet. — Ta bellarische und compkicirte Inserate mit entsprechen dem Aufschlag. — Einge sandt, im redaktionellen Theil«, di- Spaltenzeib» 20 PK- „Weißerib-Zeitung" erscheint wöchentlich drei mal: Dienstag, Donners tag und Sonnabend. — Preis vierteljährlich 1 M. 25 Psg., zweimonatlich 84 Psg., einmonatlich 42 Psg- Einzelne Nummern 10 Psg. — Alle Postan stalten, Postboten, sowie die Agenten nehmen Be stellungen an. für di- Königliche UmtshMptmamsch-st Dippoldiswalde, sowie für die Königlichen Amtsgerichte und die StadtrLthe zu Dippoldiswalde und Irauenstein Mukrrich mid die Kaiskrbrgtgnong im Ostcu. Während die Presse fast aller Länder sich schon seit Wochen mit der Bedeutung der nun zur Thatsache ge wordenen Zusammenkunft der Herrscher Deutschlands und Rußlands beschäftigte, hat die öffentliche Meinung Frankreichs von dem bedeutsamen Ereignisse bislang nur in ziemlich reservirter Weise Kenntniß genommen, aber aus dieser Reserve geht genugsam hervor, wie verstimmend die jüngste Monarchen - Begegnung auf Frankreich einwirkte. Die Panslavistenblätter Rußlands haben sich allerdings redlich Mühe gegeben, ihre fran zösischen Freunde zu trösten, indem sie versicherten, Rußland werde sich trotzdem und alledem in seiner auswärtigen Politik vollständig freie Hand bewahren, was, zwischen den Zeilen gelesen, natürlich bedeuten soll, Frankreich könne nach wie vor auf Rußland zählen. Diese tröstliche Versicherung ist zwar jenseits der Vo gesen dankend entgegengenommen worden, aber die französischen Beklemmungen und Verstimmungen ob der Kaisertage am russischen Ostseestrand sind hiermit offen bar nicht beseitigt worden und die Gleichgiltigkeit, welche man in Frankreich der Zusammenkunft zwischen Kaiser Wilhelm und dem Czaren gegenüber heuchelt, kann jene Verstimmung nicht verbergen. Im Grunde genommen, hätten die Franzosen durchaus keinen An laß, der Zusammenkunft mit — wenn auch nur vor geblicher — Gleichgiltigkeit, ja, kaum verfehlter Ab neigung gegenüberzustehen. Die Völker Europas in ihrer großen Mehrzahl haben das Ereigniß als eine neue gewichtige Friedensbürgschast von Anfang an freudigst begrüßt und an dasselbe die Erwartung einer endlichen, ruhigeren Periode für unseren Erdtheil ge knüpft und sicher würde letztere auch der politisch wie finanziell und wirthschaftlich bedenklich erschütterten französischen Republik zu Gute kommen. Aber in Frankreich betrachtet man die jetzige Konferenz zwischen dem deutschen Kaiser und dem Czaren von einem an deren Standpunkte aus; nach der Meinung unserer gallischen Nachbarn bedeutet sie die vollständige Ver nichtung der Träume von einer franco-russischen Allianz und mit dieser Auffassung schießen die Franzosen gerade nicht sonderlich über's Ziel hinaus. In den Kreisen der fränkischen wie der moskovitischen Chauvinisten und Kriegsfanatiker hat man dieses Projekt ohne Zweifel ernstlich erwogen; bei aller Abneigung Alexanders III. gegen das Treiben jenseits der Vo gesen hätten schließlich die russisch-französischen Be ziehungen vielleicht doch den angedeuteten Entwicke lungsgang nehmen können, und dann wäre es um den Weltfrieden geschehen gewesen. Nun, der Verwirk lichung dieser französisch - russischen Verbrüderungs theorien hat die persönliche Aussprache zwischen den Herrschern Deutschlands und Rußlands unstreitig bis auf Weiteres einen Riegel vorgeschoben, und dies empfinden auch die Franzosen, denn sonst würde ihre Presse mit ihren Kommentaren zu der Peterhofer Monarchenbegegnung nicht so bezeichnend hinter dem Berge halten. Es steht freilich nicht zu erwarten, daß unsere westlichen Nachbarn in der Erkenntniß des wiederhergestellten freundschaftlichen Einvernehmens zwischen Deutschland und Rußland auf ihren, ihnen zur zweiten Natur gewordenen Revanchegedanken ver zichten werden, sie werden jedoch auch schwerlich wagen, denselben ohne Aussicht auf einen europäischen Ver bündeten in Thaten umzusetzen. Diese Aussicht ist durch die Kaiserbegegnuug an der Newa immer un sicherer geworden und hoffentlich wird die Zusammen kunft diese ihre abkühlende Wirkung auf die Wünsche und Hoffnungen der französischenMevancheschreier noch auf lange Zeit hinaus äußern. — Zu den an die Kaiserzusammenkunft geknüpften Hoffnungen auf freund lichere Beziehungen Rußlands zu Deutschland stimmt eS freilich übel genug, daß gerade an dem Tage, wo Kaiser Wilhelm seine Reise nach Petersburg ange-