Volltext Seite (XML)
' ' ' " -- Nr. Lös Seklage zum -tzner Tageblatt. Mittwoch, -en 17. November 1-2- Der -ritte Tag Im Leipziger Kriminalprozetz. Leipzig, IS. November. Der dritte BerhandlungStag im Rouvel-Prozetz brachte wiederum im Zuhörerraum de- Schwurgerichts- saale» großen Andrang. - Der Vorsitzende wendet sich dem Angeklagten Ani st er -u und fährt in dessen Vernchmung fort. Amster will Rouvel in einem Restaurant im Frühjahr 192S kennengelernt haben. Zur Frühjahrsmesse 1928 ist Amster in Leipzig gewesen und will Ludwtgstraße 4 unter dem Namen Wehner gewohnt haben. Vorsitzender: Warum haben Sie auf fal schen Namen gewohnt? Amster: Mein Paß war nicht in Ordnung. Vorsitzender: Vielleicht sagen Sie heute die Wahchett. Amster: La- kommt noch — überhaupt, wa- ich noch erwähnen wollte: heute vormittag hat der An geklagte Srebnik zum Wachtmeister gesagt: „Dicker, komm mal her." Ich habe bet meiner Vernehmung gesagt, ich! hätte Beker meister kennengelernt. Mit Bekermetster habe ich eigentlich gar nichts Wetter zu tun gehabt. Aber es gibt einen Boxer. Dieser Boxer hat noch einen Kom plizen gehabt. Beide waren in Hast. Bet der Befrei ung des Boxers sind mehrere tausend Mark verdient worden. Mit Bekermetster bin ich nur einmal zu Dir. Neugebauer gegangen. Bekermetster behauptete, ntcht Deutsch zu können, ich sollte ihm als Dolmetscher die nen. Tr. Nerlgebauer habe aber gesagt, wir dürften nur eintreten, wenn wir 250 Mark hätten. Ich habe Rouvel damals noch nicht gekannt, aber wer Rouvel war, wußte doch alle Welt. Vorsitzender: Hier kommt es nur darauf an, ob zur Frühjahrsmesse 1928 bereits in Wien und Buda pest allgemein von Rouvel als „Platt" gesprochen wurde. Amster: Tas ist wenigstens insofern richtig, als mein Vetter Altstädter mir gesagt hat, ich könne in Leipzig machen, was ich wolle. Ach könnte stehlen, und wenn mir etwas passiere, wolle e.c die Verantwortung übernehmen. Vorsitzender: Wer war denn Altstädter? Amster: Das war eine Kolonne von vier Mann. Altstädter hat mir von Kriminalbeamten erzählt und mir Rouvel vorgestellt. Ich habe aber nicht geglaubt, daß Rouvel ein Kriminalbeamter ist. Der steht doch gar nicht wie ein Kriminalbeamter aus. Altstädter wurde vor Pfingsten mit noch vier Mann verhaftet. Er wurde dann wieder freigelassen und ist verschwunden. Ich habe nichts wieder von ihm gehört. Vorsitzender: Wer hat denn Altstädter und die Pier Mann freigelassen. Amster: Krimtnalrat F. Won Kriminalrat F. ist viel gesprochen worden. Vorsitzender: Nun mal eins, Herr Amster. Sind Sie wirklich so völlig schuldlos an Taschendieb stählen? Amster: Herr Präsident, ich werde noch alle» zu geben aber eine Kolonne habe ich nie geführt. Ich bin gewiß kein Engelein, aber die angeklagten Beamten haben ja keine Ahnung gehabt, wa» vorangegangen ist, al» sie noch nicht „Platt" waren." Vorsitzender: Von wem ist Ihnen nahegelegt worden, Rouvel zu schonen? Amster: Ich kann «« nicht sagen. Mein Ehrge fühl sagte es mir. Dieser Prozeß ist bisher nicht ge recht geführt worden. Aber ein» muß ich sagen: wenn Srebnik nicht existiert hätte, wären diese Beamten nicht auf der AnNagebank. Vorsitzender: Herr Srebnik, Sie haben gehört, wa- Ihnen eben vorgeworfen worden ist. Srebnik: Herr Vorsitzender- ich werde mich nicht drehen und winden wie ein Wurm, ich werde die Wahr heit sagen. E» Ist immer wieder der Name des Krimi- nalrateS y. gefallen. iJch schwöre hier vor Gericht. Herr Krimtnalrat F. ist sauber, er ist ein einwandfreier Beamter. Wenn ich jemals mit y. ein Wort gespro chen habe wie mit Rouvel, dann bitte ich, mir die größt mögliche Strafe aufzuerlegen. Vorsitzender: Nun kommen Sie einmal auf Mre Bekanntschaft mit Rouvel. Srebnik: Sofort. Ich bekam als Ausländer einen Auswetsbefehl aus Leipzig. Ich war ein ein wandfreier Mensch, betrieb ein ehrliches Geschäft und — nun ich hatte deswegen viel auf der Polizei zu tun. Herrn Rouvel habe ich durch einen Herrn Richter im Jahre 1922 kennengelernt. Rouvel war Richter» Ft- ncmzmann und geheimer Kompagnon. Richter war Fellhändler. Gr ist später von Leipzig abgerückt. Rouvel finanzierte auch noch einen Brillanthändler. Ich freundete mich mit Rouvel an. Ich bekam jeden Betrag von ihm. Meine Freundschaft mit Rouvel war eine rein idyllsche Freundschaft. Vorsitzender: Sie meinen wohl „ideale"? Srebnik: Jawohl, ideale. Ich habe niemals für Rouvel Spitzeldienste geleistet. Die anderen, die hier sitzen, da» sind Taschendiebe und von einer Größe, daß sie in der ganzen Welt bekannt sind, Meine Freund schaft mit Rouvel war so ideal, daß wir uns auch immer geküßt haben, wo wir uns gesehen haben, auch vor dem Untersu chungsrichter. Rouvel hat sich mir gegenüber stets als treuer Freund erwiesen. Vorsitzender: Hat Rouvel Ihnen Briefe ge zeigt, die er an Srebnik geschrieben hatte. ÄS ist davon die Rede gewesen, daß Rouvel die Kolonne Dia mant unterstützte und Anteile erhielt. Srebnik: Ja, 20. 40, 50 pnd 60 Prozent sind ihm gegeben worden. Ich selbst war nur Macher. Ich habe niemals Diebstähle auSgeführt. Mir wurde da mals gesagt, Amster sei besonders gefährlich. Rouvel gab mir eines Tages 160 Mark und bedeutete, daß 80 Mark für mich, 80 Mark für den Beamten bestimmt seien. Gelegentlich habe ich dann noch zehn oder fünf Mark bekommen. Im Monat mögen es drei bis vier hundert Mark gewesen sein, wovon ich die Hälfte be halten durfte. Acht Tage vor der Herbstmesse 1924 zeigte mir Rouvel eine offene Postkarte von Eisekowicz, er möge sofort nach Berlin kommen. Er bat mich, für ihn zu fahren, gab mir Geld für die Spesen und eine Adresse. Ich habe im Hotel bis tief in die Nacht hin ein auf Ätsekowtez warten müssen, der mir darin er» zählte, e» wollten über sünszig Berliner Taschendieb« Leipzig aufsuchen. Er bekomme viel Geld von Diamant, den er, wenn er nicht bezahle, in Leipzig verhaften lassen wolle. Sifekowtez ist eigentlich kein Taschendieb Aber er ist auch kein anständiger Mensch. Man könnte sagen, er ist ein Erpresser, der an Taschendieben ver dient. Ich hatte den Eindruck, daß er ein Monopol für Diamant und Genossen erreichen wollte, damit er zu seinem Gelbe kam. Zur Herbstmesse gckb e» so viel Taschendiebe auf «dem Hauptbahnhof, daß man bei starkem Andrang kaum unbeftohlen durchkommen könnt» lleber eine Urkundenfälschung befragt, di« im Bü ro de» Rechtsanwalt» Neugebauer vorgenannten ist, er klärt der Angeklagte, er habe für einen Verhafteten Sa- rowskt bet Neugebauer hinterlegte» Geld unter fal schem Namen abgenommen, um e» einem Verwandten von Garowskt zu übergeben. ES kommt Nunmehr zur Vernehmung de» Ange klagten Rubin. Al» er gefragt wird, ob er darüber orientiert sei, was ihm vorgeworfen würde, erklärt er, er wisfe gar nicht». Vorsitzender: Ja, haben Sie denn nicht di« Anklageschrift gelesen? Rubin: Ich kann ja gar nicht lesen. Vorsitzender: Also e» wird Ihnen zur Last gelegt, im Juni 1924 und zur Herbstmesse 1924 in der Kolonne Diamant Taschendiebstähle auSgeführt zu haben. In einem Etnzelsall sollen Sie Ü00 Mark ent wendet haben, zur Wache gebracht und dort entlassen worden sein. !Jm Oktober 1924 sollen Sie in dersel ben Kolonne im Hauptpostgebäude gearbeitet haben und zur Herbstmesse 1924 sollen Sie abermals in Leipzig gewesen und Gelder zur Bestechung der Beamten ge geben haben. Wie kamen Sie überhaupt nach Leipzig und was wollten Sie hier? Sehr umständlich erklärt Rubin, er sei nur -ter durchgereist und wann da» gewesen sei, daß wisse er ntcht. Auf Genaueres könne er sich überhaupt nicht besinnen. Er habe sich die Messe anschauen wollen. Vorsitzender: Welchen Beruf haben Sie denn eigentlich? Rubin: Kaufmann bin ich. Vorsitzender: Und mit wa» handeln Gt«? Rubin: Bijouterie. Vorsitzender: Wo befindet sich Ihr Laaer? Rubin: Wo mein Lager sich befindet: Ich habe ein Paar Steine in der Tasche, und da» ist mein Lager. Vorsitzender: Sie sollten also Spitzel spielen? Rubin: Kein Spitzel, nur anzetgen sollte ich die Ausländer. Nach Leipzig bin ich am 80. August ge kommen, abends um 7 Uhr. Wer ntcht da war, da war Wuschniak. In den Bahnhofsanlagen habe ich zwei Bekannte au» Mailand getroffen. Vorsitzender: Wer war da» denn? Rubin: Zwei Taschendiebe. Vorsitzender: Und wer war e»? Rubin: Ich habe doch gesagt: zwei Taschendiebe. Hören Sie doch hin! Vorsitzender: Diesen ungehörigen Ton muß ich mir verbitten. Ich wollte wissen, welche Namen diese Leute führten. Rubin: EharloS und Ladrejo». Eine« sagte zum andern: schmeiß Sb, wa» du da in dvr Lasch« hast. Dar- MM - — II» I » MM I I» Onbeerenrt sincl clie vielseitigen Ver- st g g Ivl6l3lII)3UlL38I6N „IvlAI'lLllN ven-iun8»mö5licli!-eitenclie-esvunciei-- ll I 1 I H bsren Konstruktion» - gsuksstens unä RRRLL I R SR RG MvtsIIbsuItS8tvn „Siabil" äus I. Lr-ssd. Vie mit Oänen säen... Roman von Ernst Herzog. (4. Fortsetzung.) Ein hereindampfender Zug brachte einen Schwarm eilig dahinlaufender Reisender heran. Heddt starrte in die Menge, stand wohl eine halbe Stunde auf dem selben Platz, begriff nichts, fühlte nicht» al» ein« un endliche Leere in sich. Nun sah sie sich im Theater. Während der Vor stellung war sie gekommen. Wa» dort auf der Bühne vorgtng, rollte wie ein sarbeleerer, wesenloser Film an ihren Augen vorüber. Die Beifallskundgebungen der begeisterten Menge schreckten sie aus und taten ihr weh. Was wollte sie hier? Jetzt, wo da» Schicksal die Schlin ge um sie geworfen hatte? Geschminkte», künstlich auf gebaute» Leben sehen, wo da» nackte Leid an ihre Her- -en-tür pochte? Dann plötzlich stand deutlich die Frag« vor Heddt: habe ich denn einen Grund zu den trüben Ahnungen, die mich quälen? Sie fuhr sich mit der Hand über« Gesicht und hatte da» Gefühl, al» wäre mit dieser Be wegung da» Gespinst einer häßlichen Spinn« um ihren Kopf zerrissen. Doch die Ahnungen kamen wieder, legten sich noch schwerer auf sie. Heddt wartete ntcht da» Ende der Vorstellung ab. Während der letzten Pause verließ sie da» Theater. Langsam ging sie durch die grellen Strahlenbün del de» Platze», durch mondbeschtenene still« Straßen. Ueber die Brücke — — Ja, di« Brücke! wie kam thr doch diese Gvgend bekannt vor! Dort der steinern« Löw«! Bewegt« er nicht di« zottige MLÜne, fletscht« «r ntcht s«tn« gewal tigen Zähn« g«g«n st«? Spreizt« «r nicht f«in« lang krallig« Tatze, wie um sie ntederzuschmettern? Da saß nun das Mädchen an ihrem Fenster. Stils lag die Stadt, vom Silbergeringel de» Mondlichtes überflutet, zu ihren Füßen. Tort drüben die Türme! Neben dem schlankspitzen Kirchturm, durch dessen fein maschige» Ornamentgewebe e» wie der Blick au» einer anderen Welt leuchtete, wohnte er. Wohnte er? Nein, nein, er wohnte ntcht mehr dort. Fort, fort war er, verloren für immer. Still legte Heddt den Kopf auf ihre Arme. Ver wundert schaute der einsame Mond auf thr Fenster, auf da» in Leid erschütterte Menschenkind, auf die Trä nen, die wie Tautropfen suchender Sehnsucht auf glänzten, wenn sie ihm ihr verzagte» Gesicht zuwandte. ES war gut so, daß schon jetzt der Kummer mit scharfem Messer seine Runen in da» Gefühlsleben dtese- jungen Mädchen» etngrub. Wie hätte sie sonst da» Leid ertragen können, da» da von irgendwo auf schwarzen Fittichen aus sie zuschwebte, ein Leid, wie e» nur ein in Gram gefestigte» Gemüt zu überleben vermochte. . V. Die verhängnisvolle VekanntjchoU Einige Tage seit diesem Abschied waren vorüber gegangen. Ost hatte Heddt den Versuch gemacht, sich von ihren alten lieben Komponisten am Klavier er zählen zu lassen. Aber schon nach den ersten Akkorden mußte sie die Tasten bedecken. Jetzt spielen? Unmöglich. „Willst du ntcht mit mir kommen?" fragte die Mutter, während die Familie eine» Abends im Zim mer der Kranken — e» war der Tag vor der Abreise in» Moorbad — versammelt war. „Laß nur, Mama. E» muß doch eine Frau Un Hause sein, die nach dem Rechten steht." „Papa würde e» wohl erlauben. Gelt, Alterchen?" „warum nicht? Nur" — die Wolken um seine Stirn verdichteten sich — „vielleicht im nächsten Jahr. Di« Kosten wären —" „I," warf der alte Erdmann glucksend dazwischen, „ist» das? Zwar, wenn mir mein Engelchen davon flattern wollte, wär» um mein Ltcht geschehen. Aber dennoch — ein Vierteljahr Pension hab ich übrig. — Soll» gelten?" „Aber Vater Erdmann," sagte Heddt fast ärgerlich, „was reden Sie für krause Sachen. Papa wird schon wissen, wie ers etnzurichten hat. Ich bleibe hier." Damit war die Anregung der Mutter abgetan. Sie hatte die erste Karte von ihrem neuen Aufent haltsort geschrieben. „Geh auch zu Marie," stand darin, „und grüß mir die Kinder. Die nächste Karte kriegen Stüben». Ich bin schreibfaul." Und Heddt ging zur Schwester und richtete den Auftrag der Mutter au». „Ich muß dir etwa» gestehen," sagte Heddt im Laufe der Unterhaltung. „ES bewegt mich schon die ganze Zett. Wie wär», wenn ich Felix bäte, mich in seinem Geschäft Mitarbeiten zu lassen?" Diese Frag« schien Marte freudig zu überraschen. „Du Mitarbeiten? Weißt du, Heddt, ich -ah sch»» oft an etwa» Aehnltche» gedacht. Ntcht an dein« Mit arbeit. Nur — wenn irgend jemand, der e» treu und gut mit ihm meint, um ihn wäre, dachte ich mir, wäre ich tausendmal ruhiger. Aber du — da» wt»d wohl nicht gehen." „Warum soll» ntcht gehen? Ich bitt abkömmlich, und wer weiß, ob ich meine Erfahrungen, di« ich hier sammeln kann, nicht einmal zu meinem eigenen Vorteil gebrauche. E» kommt nur darauf an, ob Felix will." „Da müßtest du einmal mit ihm sprechen. Gr ist eben im Büro. Ich werde ihn rufen lassen." „Ntcht doch, Marte. Geschäftlich« Ding« werd«» am besten in den Geschäftsräumen abg«wtck«tt. Ich geh« zu ihm hinüber." Und Heddt ging. Der Schwager saß in «tner mächtigen TaLakSwolk« vor seinem Schuld tisch und schnipprrt« mit seine« Messer an einer -albenttorrten Weinflasche herum.