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/luer Tageblatt /ss^r^ßtU fTAU VUV L-Wr-LL »»^-mo« ralhalteftt tl, amNlch»»0«>amttmaAofts»v -«»r^ott» Uat, mit Knürgrrtcht» ^aft. ft« ,1^,1, n,. I«, Nr. 30 Dienstag» äen 5. Februar 1924 19. Jahrgang Ium Toäe Wilsons, das Ende -er Trag-Üle. Um der Bedeutung des verstorbenen amerikanischen Präsidenten gerecht zu werden, bringen wir unfern Lesern den Aufsatz, den James Simon im „Ber. liner Tageblatt" veröffentlicht. Gerechtigkeit mutz an der Bahre, vor der Leiden schaften zu schweigen und aufstetgende Bitterkeiten zu. rückzutreten haben, anerkennen: ein tragischer Tod hat ein tragisches Leben geendet. Das Leben Wilsons ist tragisch gewesen, weil der Mann, her in glänzendem Aufstieg zum umjübelten Führer einer Nation geworden, der sich schließlich in der Rolle des moralischen Lenkers und Besserns der ganzen Menschheit, als eine der größ ten historischen Figuren fühlte, .dem weiten Abstand zwischen seinem philosophischen Wollen und seinem staatsmännischen Können rasch, moralisch, politisch und physisch, zum Opfer gefallen ist. Und fein Tod ist tra gisch, weil er ihn, der auch nach seinem sähen Absturz sich selbst nicht aufgegeben, .in dem Augenblicke abries, da er Aussicht batte, daheim und draußen, in gewissem Matze eine Rehabilitierung zu erleben. Die Ursache seines großen Mißerfolges lag tatsäch lich im tiefsten Wesen des Mannes begründet. Er ist obgleich er volle acht Jahre lang, von 1913 bis 1921, mit fast autokratischen Vollmachten verwaltend und handelnd a n der Spitze des größten Gemeinwesens der Erde gestanden, doch im Grunde immer mur der Ge lehrte und der Lehrer gewesen, als der er begonnen hat und zu Ruhm und Ansehen gelangt ist. Tie Festig keit der moralischen Ueberzeugung, die fortreitzende Kraft des aus ihr geborenen lebendigen Willens reichte auch hin. ihm im Bereich der inneren Politik eine be geisterte Gefolgschaft zu sichern. Ter Kamps.gegen Un recht und Eigennutz, .die Forderung entschiedener Refor men, die der Staatsrechtstheoretiker und Geschichtsphilo- soph als eines der radikalsten Mitglieder der demokra tischen Partei, .zuerst als Schriftsteller gegen Trustun wesen und Partetkorruption, dann auch als Versamm lungsredner, vertrat, bezeichnen die Anfänge seines po litischen Aufstieges. Das amerikanische Volk hat.wie auch das Beispiel Roosevelts zeigt, das Bedürfnis, mach solchen Führern, die mit einer gewissen pädagogischen Energie ihm feweils die Wege vorzeigen, die sein Inter esse und der allgemeine politische Instinkt zu wandeln verlangt. So *am es, daß der Mann, der ein Werk über das amerikanische Rogierungsshstem und eine sechsbändige Geschichte der Union geschrieben, der zwölf Jahre lang Professor und noch zehn Jahre lang Präsi dent an der Princeton-Universität gewesen, sich,, mit Er folg um den Gouverneurposton des Staates New Jersey beworben und als solcher, als „Reiniger" dieses Staates! ausgezeichnet bewährt hat. So kam es dann zu seiner Kandidatur für die Präsidentschaft der Union, .zu sei nem Siege über Taft und Roosevelt bei der dreieckigen Wahl des Jahres 1912 und,.nach einer ungewöhnlicb er giebigen Reformtätigkeit in wirtschaftlicher und sozialer Gesetzgebung in seinem ersten „Term" Vier Jahre spä ter zu seiner Wiederwahl. Tie glänzende Beredsamkeit, die Macht über die Massen., die ihm eigen war, erhöhten dann noch den Glanz seiner Stellung, als er im Kriege, an der Spitze der größten neutralen Macht, deren un geheures materielles und moralisches Gewicht zu nie dagewesener Stetgeruna »ihres Ansehens zu benutzen ver stand. Sein eigenes Ansehen wurde zugleich so stark daß es ihm, der wtedergewählt war, „weil er das Volk aus dem Kriege berausgehalten hatte", keine Schwierig keit bot wenigs Monate später diese» selbe Volk aktiv in den Krieg hineinzuführen. Man darf Mm ruhig zu gestehen, daß er fest daran glaubte, den Krieg gegen Ge waltherrschaft und Militarismus, .für Freiheit, Zivili sation und Demokratie zu führen, und daß auch sein Volk fest daran glaubte. .Soll man heute an die Geschichte seiner vergeblichen Friedensbemühungen in den Mona ten vor seiner Kriegserklärung erinnern,.soll man an all da« erinnern was von unserer Sette dazu beigetragen hat, diesen Glauben zu verbreiten? Genug, Wilson hat den Krieg »entschieden. Er hat den Krieg gewonnen. Aber nicht gegen Gewaltherrschaft und Militarismus. Beide hat er fester al» zuvor aufgerichtet. Er hat den Krieg gewonnen, aber den Frieden verloren. In dem Augenblick, da, auf.sein Wort vertrauend, di« geschlagene deutsche Arme« die Waffen niederlegte und es sich darum bandelte, der Welt den Friede^ — den Frieden, den er mit allen Einzelheiten auSgemalt hatte — wiederzugeben, begann in seinem Leben mit einem Schlage die wahrhaft klassische Peripetie. Der Absturz zu völliger persönlicher Machtlosigkeit und Schattenbaftigkett ist furchtbar gewesen von dem hohen Piedestal. auf den er sich al» Lehrer und Schiedsrichter der Welt und al» Mose» mit den Gesetzestafeln de» prak, tischen Leben« fühlen durfte. I» kürzer Frist ist,er vom Wegweiser fast -um Gespött der Menschheit geworden. Zwei historische Tatsachen sind es, die seinen Ruf, seine staatsmännische Existenz, dann offenbar auch seine kör perliche Gesundheit und Lebenskraft geknickt haben. Die einer der Vertrag von Versailles brach das von Wilson gegebene feierliche Versprechen. Die anderer sein eigene» Volk hat ihn, als er ihm diesen Vertrag »zur Unterschrift vorlegte. im Stiche gelassen.. Man darf diese beiden Tatsachen nicht miteinander vermengen. Das amerikanische Parlament hat nicht wegen der eigent lichen Frtedensstipulationen, sondern wegen der ihm zu weit gehenden Bindungen der Vülkerbundsatzung das Vertragswerk abgelehnt. Heute ist sicher, daß diese Ab lehnung Wilson doppelt schmerzhaft war, da das ganze Dokument von Versailles für ihn schon ein ungeheures Opfer des Gewissens und des Verstandes bedeutet hatte. Er hat unter diesem Opfer furchtbar, gelitten. Gr hätte es nicht bringen müssen. Er hätte, .ohne sich der Zähig keit und Verschlagenheit der Clemenceau und Tardieu und ihrer Marschälle und Generale zu beugen, Paris verlas.? en können. Unbefleckt wäre sein Andenken als das des Verkünders der vierzehn Punkte undi> des Urhebers anderer ebenso lauterer, eines Washington > würdiger Dokumente in die Geschichte eingegangen. Aber er hat es nicht getan, seine staatsmännische Kraft ist der j Washingtons nicht ebenbürtig gewesen, und das ist,seinem tragische Schuld. Der große Sittenlehrer war ein Di-! lettant auf.dem unsittlichen Kampfplatz der Diplomatie, i verkörpert." Auch Clemenveau hat an die Witwe Wil sons ein Beileidstelegramm gerichtet. Protestnote gegen me Pfalzverbrecher. Wegen der .Zustände in der Pfalz ist -er französi schen Negierung abermals eine Note übergeben worden, in der zunächst 'festgestellt wird, datz die Entwicklung in der Palz von der deutschen Bevölkerung und Regie rung nicht länger ertragen werden kann. Tie Note schildert im einzelnen das von den französischen Be satzungsbehörden mittelbar und unmittelbar unterstützte hochverräterische Unternehmen der Separatisten, .deren Banden nachgewiesenermaßen in überwiegender Zahl aus nichtpsälzischen Elementen zusammengesetzt sind», und zeigt an zahlreichen unwiderleglichen Beispielen die aktive Unterstützung der separatistischen Banden durch das französische Militär. Die Note stellt ferner fest daß Pas terroristische Treiben der bewaffneten Separa tisten gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages und die Verordnungen der Rheinlandskommission ver stößt. Trotzdem sieben französische Soldaten neben be waffneten Separatisten und unternehmen mit ihnen ge meinsame Patrouillengänge. Die sogenannten separa tistischen Truppen werden sogar aus französischen Hee- resbeständen verpflegt und mit Unterstützung der Fran- Es ist eine Zeitlang in Deutschland Mode gewesen, von Wilson als dem „Verräter" zu sprechen. Jetzt hat das von St. Baker herausgegebene Memoirenwerk, noch mehr als früher schon Lansings Berichte, auch den Uebel- wollendsten belehrt, .daß er höchstens ein Verräter wi der Willen gewesen ist. Es ist geradezu erschütternd zu lesen wie verzweifelt und in voller Erkenntnis! seiner! Ohnmacht er für die Durchsetzung.seiner Grundsätze und für die Bewahrung seines Rufes als Anwalt eines un eigennützigen Volkes, als Staatsmann und als Ehren mann gekämpft hat. Er hat. in der Hoffnung auf künf tige heilende Entwicklungen, diesen Ruf geopfert, er hat Deutschland geopfert, um wenigstens das letzte sei ner Ideale, den Völkerbund, zu retten. Für dieses Ideal bat er auch, .seinem eigenen Volke langsam wie der näher tretend, bis in seine letzten Lebenstage hin-' ein gekämpft Aber auch der Völkerbund Wilsons ist ein Gezeichneter, die Geschichte schreitet über ihn hin weg, und über dem frischen Grabe erscheint hezrte der Völkerbund Macdonalds als das ausgehende Gestirn. Amerikas Trauer um Wilson. Präsident Coolidge hat anläßlich des Hinscheidens von Wilson an das amerikanische Volk einen Aufruf.ge richtet, in dem er die Verdienste des Verstorbenen wür digt. Er hat weiter angeordnet, daß sämtliche Fahnen für die Tauer eines Monats auf Halbmast gesetzt und Wilson bei seiner Bestattung militärische Ehren erwiesen werden. Die Beisetzung! des Expräsidenten hängt von den Wünschen seiner Frau ab, die noch nicht bekannt sind. Präsident Coolidge Kat der Witwe Wilsons eine Beerdigung auf Staatskosten auf dem Kapitol vorge schlagen. Man rechnet aber damit, daß die Beerdigung Wilsons in seiner Heimatstadt Stanton stattftnden wird. Tie letzten Worte, die Wilson äußerte, waren die fol genden. die er an seinen Arzt richtete: „Ich bin ein ge brochener Mann eine gebrochene Maschine". Der Tod trat nach zweiundzwanzigstündigem schlafartigen Zu stand schmerzlos ein. ZranMsche Verherrlichungen. Ter Tod Wilsons wird von der französischen Presse in langen Artikeln besprochen, die alle an die Tatsache erinnern, daß Präsident Wilsott der «iigent- ltche Urheber der Teilnahme der Vereinig ten Staate am Kriege gewesen sei. Teilweise ftn- det man sogar eine Verteidigung der sonst in Frank reich nicht gerade bewunderten vierzehn Punkte des Präsidenten. Insbesondere wird hervavgehoben,. daß die vierzehn Punkte zum ersten Male unumwunden die Rückgabe Elsatz-LothrtngenS an Frankreich, sowie die vollkommene Räumung de» französischen Bodens durch die deutschen Soldaten forderten, wa« nicht einmal ein verantwortlicher alliierter Politiker bisher in dieser Schärfe zu formulieren gewagt hätte. Im übrigen wird auch daran erinnert, daß da» in den vierzehn Punkten zum Ausdruck gebrachte Programm bis zum Jahre 191» da» gemeinsame Frtedensprogramm der Alliierten ge wesen sei. Voincare erklärte den Vertretern der ame rikanischen Press« u. a. folgende» r Frankreich wisse, von welch hohen und edlen Gedanken dieser Mann be- seelt war, der leidenschaftlich von Idealen erfaßt war und in welch edle» Worten er von Frankreich bi» zu dem Tage gesprochen hab«, an dem er von der Krank- kett ntedergebeugt wurde. „In ihm war wirklich dasi freibeitbrfngende Amerika und der siegreiche Frieden ! zosen untergebracht. Auch soll die französische Regie rung der Rückkehr der von den Separatisten Vertriebe- , neu Einwohner keine Hindernisse in den Weg legen und sich in Zukunft feder Einmischung in deutsche inner- ! politische Verhältnisse insbesondere feder unmittelbaren oder mittelbaren Unterstützung aufrührerischer Elemente . in den besetzten Gebieten enthalten. Die „Republik Rheinland". Der „Tag" berichtet über zwei wichtige Geheim dokumente aus der rheinischen Separatistenbewegung. Es handelt sich um Briefe der Vereinigungen „Comttee de politiaue nationale" und des „Komitee helgo-rhenane" an einen Herrn V. Klee in Bonn. In dem ersteren Schreiben wird ein genauer Plan aufgestellt für die Bildung eines Bundesstaates „RepublikRhein- land" bestehend aus den drei Ländern Unterrhein, Lberrbein und Ruhrstaat mit einer gemeinsamen Zen tralregierung in Köln. Dieser neu zu bildende Bun desstaat würde, .so heißt es, auch in England eine Geg nerschaft nicht zu fürchten brauchen. Schauderhaft« Zustand« in Pirmasen». Die gesetzlosen Zustände, die hier infolge der Ver haftung und Verschleppung der städtischen Polizeibe amten herrschen, haben sich dadurch ernstlich verschärft, daß die städtischen Beamten an der ordnungsmäßigen Geschäftsführung behindert sind und datz keine Erwerbs- losenunterstützung ausgezahlt werden kann. Erwerbs lose und Gesindel mit roten Armbinden besetzten unter Führung pon Separatisten, die gleichfalls! rote Armbin den trugen, das Stadthaus. Die noch ausgxwiesenen Stadtratsmitglieder wurden in das Rathaus geschleppt zwölf. Stunden festgehalten und mit äußersten Zwangs maßnahmen bedroht, falls sie nicht die.sofortige Aus zahlung der Unterstützungen anordneten. Da die Stadt räte nicht beschlußfähig waren und Gelder zur Auszah lung nicht zur Verfüguna standen, wurden die Beamten auf ibren Protest hin wieder entlassen. Ter französi sche Bezirksdelegterte erklärte auf ihre Vorstellungen, er sei bet der geringen Besatzung von dreißig,Mann sol chen Zuständen gegenüber machtlos. Ein« separatistisch« Mordtat. Ter au» dem besetzten Gebiet auSgewtesene Emil Herbert hatte sich aus bis fetzt noch unbekannten Grün den nach Speyer zurückbegeben. Sonntag nachmittag wurde er von Anhängern der Autonomiebeweguna gr- tannt. Er versuchte, sich der Verfolgung.und Verhaf tung durch die Flucht zu entziehen, wurde fedoch auf.der Hauptstraße nachmittags nach zwei Uhr von bewaffne ten Separatisten durch einen Herzschutz getötet. T>ie Leiche wurde von den Separatisten in da» Spital ge schafft. Kundgibangrn für di« Pfalz. Am Sonntag, den 17. Februar, werden im ganzen Reiche grob« Kundgebungen für die Pfalz stattsinden. GS handelt sich dabei um eine Volkskundgebung für di« bedrängten Pfälzer, die schwer unter dem Terror der Separatisten und Franzosen leiden. Gleichzeitig sollen Mittel gesammelt werden, um da» .deutsche VolMum in der Pfalz tatkräftig unterstützen -u können. In Berlin sind mehrere Veranstaltungen vorgesehen, . u. a. eine Kundgebung im Ztrku» Busch, .bei der auch die Mini ster Stresemann und HM« sprechen werden.