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Diese» Blatt Pro« fit, erscheint täglich Abend« und ist durch alle Post, ankalte» de«Z». und Auslände« zu beziehen. Dresdner Journal. da« Diertelsahr Thlr. Znsertion»gebsth. ren für den Nau» einer gespaltene» Zeil. Pf. Herold für sächsische und deutsche Interessen. Redigirt von Karl Biedermann. Anzeigen aller Art für da-Abends erscheinende Blatt werden bis 12 Uhr Mittags angenommen. Inhalt. Dir Bedeutung des Wahlgesetzes (Schluß). — Beitrag zur Beurtheilung der neuern Medicin. —LageSgrschichte: Dresden : Sitzung der zweiten Kammer; Kommunalgardenverein; deutscher Verein. Zittau: Einweihung der Gewerbschule; pädagogische Gesellschaft. Lus dem Boigtlande: Literarisches. Gotha: Genrralversammluug der thüringer Eisenbahngesellschaft. Berlin. Koblenz. Hamburg. Kiel. Frankfurt. Lus Baden. Heidelberg. Mannheim. Stuttgart. München. Wien. Pesth. Bern. Paris. — Feuilleton.— GeschäftSkalendrr. — Ortskalender. — Lngekommene Reisende. Die Bedeutung des Wahlgesetzes. (Schluß.) Wenn wir aber den Radikalen entgegentreten, weil sie die Bedeutung des Wahlgesetz überschätzen, so müssen wir uns auch gegen die Ueberkonservaliven erklären, welche von der Vorlage der Regierung den Umsturz alles Bestehenden fürchten. Auch für sie haben wir geschlchrliche Beweise. Wir wollen nicht zurückgreifen auf die Erfahrung, die man früher in einzelnen kleinern deutschen Staaten gemacht hat, wo gerade die direkten Wahlen und die jenigen, welche ohne Census oder mit einem sehr niedrigen Census vorgenommen worden waren, am konservativsten ausfielen. Wir berufen uns auf das Parlament in Frankfurt und selbst auf die Nationalversammlungen in Wien und Berlin. Die Bedachtsam- keit fehlt keiner dieser drei Versammlungen, die beklagenswerthen Ruhestörungen, welche vorgefallen sind, waren nicht durch übereilte Beschlüsse hervorgerufen, sondern hatten ihren Grund in ganz andern Umständen, und wenn von manchen Seiten her Ent scheidungen, wie die in Frankfurt vom 5. September, als phan tastische Streiche verschrieen werden, so ist Dies eben so unrichtig, als es zweifelhaft ist, ob eine nach konservativeren Grundsätzen zu sammengesetzte Versammlung nicht ebenso entschieden hätte. Ist denn überhaupt die Intelligenz der radikalen Advokaten und Doktoren die einzige, welche sich bei der Masse des Volkes geltend LU machen im Stande ist? Hat der Besitz und die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, welche er gewährt, allen Einfluß auf das Urtheil der Menge verloren? Gilt wirklich heut zu Tage der Mann in geordneten Umständen, der allen seinen Verpflichtungen redlich rrachkommt, nicht mehr als der Ueberschuldete, der keine seiner Verbindlichkeiten erfüllt? Man wende nicht ein, daß bei den Wahlen nach Frankfurt die radikale Partei fast durchgängig gesiegt habe. Seitdem sind 6 Monate verflossen, Zeit genug, um die Konservativen aus ihrer damaligen Unthätigkeit aufzurütteln, von ihrer Zerfahrenheit zu heilen und zu gemeinschaftlichem planmäßigem Handeln zu vereinigen. Uebermäßige Beschränkungen im Wahl gesetze sind in politischen Dingen, was ein übertriebenes Schutz system in nationalökonomischen ist, eine Prämie der Faulheit und de« Schlendrians, ein Monopol, welches schließlich zum eigenen Nachtheil Derer auSschlägt, zu deren Gunsten es eingeführt ist. Die Vertheidiger der alten Zeit werden freilich nicht Alle in den neuen Kammern Platz finden, aber, wer von ihnen die Ansprüche der Aristokratie mir dem Geiste und der Gewandtheit eines Thielau und Earlowitz vertheidigt, der wird auch künftighin nicht um einen Sitz unter den Volksvertretern verlegen zu sein brauchen. Und Da- sollte genüglich erscheinen. Denn wenn auch bei den Ent scheidungen die Stimmen gezählt und nicht gewogen werden, so übt -och die Art und Weise, wie eine Partei ihre Sache vertheidigt, einen durchgreifenden Einfluß auf die Zahl und die Energie ihrer Gegner; noch niemals ist eine Minorität, welche Ueberzeugungs- treue mit Geistesschärfe und Beredtsamkeit verband, gänzlich besiegt worden. Wo aber diese Eigenschaften einer Partei fehlten, da hat ihr ihre Stärke oft mehr geschadet, als genützt. Unentschlossenheit und Uneinigkeit haben sich ihrer bemächtigt; sie hat die Achtung und den moralischen Einfluß bei sich selbst und bei Andern verloren und Schritt für Schritt haben ihre Feinde das Terrain erobert, das ihnen im Ganzen und Großen streitig gemacht wurde. Wenn unsere Tone- streng aufrichtig gegen sich selbst sein wollen, so werden sie eingestehen müssen, daß eine Purifikation ihnen von wesentlichem Nutzen sein wird. Es gehört aber nur eine geringe Kenntniß der Menschen und Verhältnisse dazu, um einzusehen, daß eine solche Maßregel nicht möglich ist, wenn nicht die Nothwendigkeit dazu drängt. Mit dem alten Wahlgesetze wird die Partei, welche jene Herren vertreten, täglich schlaffer, willkürlicher und dadurch macht loser. Freilich werden sie durch da- neue genöthigt, auS ihrer bis herigen Abgeschlossenheit herauSzutreten, allein so viel wird sie die Neuzeit wohl gelehrt haben, daß von über den Wolken her nur der Arm eines Gottes auf die Erde herunterreicht. Anstatt sich vor den freisinnigen Bestimmungen des Wahlgesetze- zu fürchten, sollten ihnen dieselben vielmehr willkommen sein als eine Nöthigung, sich partei mäßig zu organisiren und ihre Thätigkeit zu entfalten. Solche An sprüche, die dem EntwickelungStriebe der Gegenwart zuwiberlaufen, durchzusehen, werden die Herren selbst mit dem alten Wahlgesetze auf geben müssen. Da aber, wo sie die Sache der Ordnung, der Gerech tigkeit, des Eigenrhums vertheidigen, wird ihnen die Zustimmung auch der neuen Kammern nicht fehlen. Denn so schlimm sind Gott sei Dank! unsere Zustände noch nicht, daß nicht die weitüberwiegendr Mehrzahl bi- tief in die untern Schichten deS Volkes hinunter dabei betheiligt und dazu bereit wäre, Ordnung, Gerechtigkeit, Eigenchum auf recht zu erhalten. Und wäre eS ander-, würden «n- al-dann selbst die strengsten Beschränkungen vor dem Untergange zu retten vermögen? Wir haben kein Gewicht darauf gelegt, daß da- neue Gesetz nur ein provisorisches sein soll. Denn die definitive Gestaltung hängt wesentlich von jener prvvisorijchen Zusammensetzung ab, und wäre letztere entweder der Freiheit oder der Ordnung gefährlich, so würde jene eS wahrscheinlich in gleichem, wo nicht in größer« Maße werden. Abe» auf eine Gefahr müssen wir noch aufmerksam machen, die daraus hervorgeht, wenn man auf da- Wahlgesetz, wie auf jeden andern Gegen stand deS politischen Formalismus, zu viel Gewicht legt, nämlich auf die Abspannung, welche der Ueberspannung folgen muß. Ja dieser Beziehung erachten wir die Aufregung, welche die radikale Partei zu Gunsten ihrer Forderungen zu erregen gesucht hat, für höchst bedenk lich, gleichviel, ob diese Partei damit ihr Ziel erreicht oder nicht. In jenem Falle glaubt daS Volk sich weiterer Wachsamkeit überhoben, in diesem verliert eS den Muth, in beiden überläßt eS reaktionären Bestrebungen