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FÜNFTES GEWANDHAUS-KONZERT DONNERSTAG, DEN 5. NOVEMBER 1914. Leitung: Professor Arthur Nikisch. Ouvertüre zu J. H. von Collins Trauerspiel »Coriolan« (Op. 62) von Ludwig van Beethoven. Das Lied von der Erde. Eine Symphonie für eine Alt- und eine Tenor stimme und Orchester (nach Hans Bethges >Die chinesische Flöte«) von Gustav Mahler. (Zum 1. Male.) Die Soli gesungen von Frau Ilona Durigo und Herrn George Meader, Königl. Württemb. Hof opernsänger. a) Das Trinklied vom Jammer der Erde. Tenor.) Schon winkt der Wein im goldnen Pokale, Doch trinkt noch nicht, erst sing’ ich euch ein Lied! Das Lied vom Kummer soll auflachend in die Seele euch klingen. Wenn der Kummer naht, liege., wüst die Gärten der Seele, Welkt hin und stirbt die Freude, der Gesang. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Herr dieses Hauses! Dein Keller birgt die Fülle des goldenen Weins! Hier, diese Laute nenn’ ich mein! Die Laute schlagen und die Gläser leeren, Das sind die Dinge, die zusammen passen. Ein voller Becher Weins zur rechten Zeit b) Der Einsame Herbstnebel wallen bläulich überm See; Vom Reif bezogen stehen alle Gräser; Man meint, ein Künstler habe Staub von Jade Über die feinen Blüten ausgestreut. Der süße Duft der Blumen ist verflogen; Ein kalter Wind beugt ihre Stengel nieder. Bald werden die verwelkten, goldnen Blätter Der Lotosblüten auf dem Wasser ziehn. Ist mehr wert, als alle Reiche dieser Erde! Dunkel ist das Leben, ist der Tod! Das Firmament blaut ewig, und die Erde Wird lange fest stehn und aufblühn im Lenz. Du aber, Mensch, wie lang lebst denn du? Nicht hundert Jahre darfst du dich ergötzen An all dem morschen Tande dieser Erde! Seht dort hinab! Im Mondschein auf den Gräbern Hockt eine wild-gespenstische Gestalt — Ein Aff ist’s! Hört ihr, wie sein Heulen Hinausgellt in den süßen Duft des Lebens! Jetzt nehmt den Wein! Jetzt ist es Zeit, Genossen! Leert eure goldnen Becher zu Grund! Dunkel ist das Leben, ist der Tod! (Nach Li-Tai-Po, 702—763.) im Herbst. (Alt.) Mein Herz ist müde. Meine kleine Lampe Erlosch mit Knistern, es gemahnt mich an den Schlaf. Ich komm’ zu dir, traute Ruhestätte! Ja, gib mir Ruh’, ich hab’ Erquickung not! Ich weine viel in meinen Einsamkeiten. Der Herbst in meinem Herzen währt zu lange. Sonne der Liebe willst du nie mehr scheinen, Um meine bittern Tränen mild aufzutrocknen? (Nach Tschang-Tsi, um 800.)