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sohn nur die Werke mit Gesang vom Kapellmeister einstudiert und geleitet wurden. So betrat in der eben erwähnten Aufführung von Beethovens IX. Symphonie Pohlenz das Dirigentenpult erst vor Beginn des letzten Satzes. Mendelssohn war der erste, der auch die Instrumentalwerke selbst probierte und dirigierte. In seiner Auffassung und Wiedergabe, zumal der Symphonien, fand Schumann „unter den Deutschen kaum seinesgleichen“. Die Auswahl der Werke sowie der Solisten und der ganze Kreis, der sich um das Haus Mendelssohn bildete — es sei nur erinnert an seine Freunde Moscheies und Hauptmann — ließ erkennen, daß ein neuer Geist Leipzigs Musikleben beseelte, der Geist eines feinsinnigen, großen Künstlers von hoher all gemeiner und musikalischer Bildung, des Enkels des großen Philosophen, eines Mannes, der zu den Besten seiner Zeit gehörte. Sein Schwiegersohn, der berühmte Rechtsgelehrte Adolf Wach, war von 1890 an ein eifriges und tatkräftiges Mitglied unseres Kollegiums, das in ihm 1926 den hochverehrten Senior und Freund verlor. Schon lange vor seiner Leipziger Zeit (1829), hatte Mendelssohn Bartholdy mit der denkwürdigen Aufführung von Bachs Matthäuspassion in Berlin eine Tat vollbracht, die ihm, dem Urheber der Bach-Renaissance, die Welt allezeit danken wird. Durch historische Gewandhaus-Programme führte er eine bis dahin noch unbekannte systematische Pflege der Vorklassiker und Klassiker ein. Bemerkenswert war die Erstaufführung von „Paradis und Peri“ unter Schumanns eigener Leitung mit der hervorragenden Livia Frege. Denkwürdig auch die Erst aufführung — also Uraufführung — von Franz Schuberts durch Robert Schumann aufgefundener großer C-Dur-Symphonie im Jahre 1839, ein Ereignis, allein geeignet, der Mitwelt und Nachwelt die Bedeutung des Gewandhauses klarzumachen. Seine Meisterschaft als Pianist zeigte Mendelssohn alljährlich mehrmals in den Donnerstags-Konzerten und in den Kammermusiken. Von den glanzvollen Künstler namen, die in Mendelssohns Zeit in den Programmen standen, sei vor allem der Joseph Joachims genannt, der von 1848 bis 1850 dem Orchester — am ersten Pult der Geigen — angehörte und während seiner langen, glänzenden Virtuosenlaufbahn aufs engste mit dem Gewandhaus verbunden blieb. Ferner Franz Liszt, Wilhelmine Schröder-Devrient und Jenny Lind. Hector Berlioz erregte Aufsehen in zwei Extra konzerten. Mendelssohn beschränkte sein Wirken nicht auf das rein Künstlerische, vielmehr griff er auch organisatorisch tatkräftig in Leipzigs Musikleben ein. Auf sein Be treiben wurde 1840 das Orchester städtisch, eine Regelung, um die sich der spätere Oberbürgermeister Georgi, selbst Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion und ein treuer Freund des Institutes während und nach seiner Amtszeit, weiterhin sehr verdient gemacht hat. Die Anregung zur Gründung einer mit dem Gewandhaus in Fühlung stehenden Musikschule, die von Mitgliedern der Gewandhaus-Konzertdirektion ausging, griff Mendelssohn mit Begeisterung auf und führte den Plan zum Ziele. Mit Hilfe eines reichen Legates eines Gewandhaus-Direktionsmitgliedes konnte 1843, also 100 Jahre nach Gründung des Großen Konzerts, das bald zu Weltruf gelangende Leipziger