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Jahrbuch für Freunde des Nützlichen und Angenehmen. Rückblick auf die Zeitereignis Juli 1855. Die ungeheuren Menschen verluste, die die Engländer in der Krim erlitten, ließen sich durich Anwerbungen in England selbst (dort besteht bekanntlich keine Verpflichtung zum Soldatcndicnfl, sondern der Bedarf muß durch Anwerbung aufgebracht werden) nicht decken. Die englische Regierung schritt daher nach erlangter Zu stimmung des Parlamentes zur Errichtung von Frem denlegionen, deren eine deutsche, eine italienische und eine schweizer errichtet wurden. Die erstere, die deutsche, deren Hauptsammelplatz die Insel Helgoland war, rekrutirte sich hauptsächlich aus den Soldaten der ehemaligen schleswig-holsteinischen Armee, aber auch Hamburger und bremer Soldaten descrtirten, angc- lockt Lurch hohes Handgeld und reichlichen Sold, in großer Anzahl, so daß sich die Behörden dieser beiden freien Städte zu ernsten Vorkehrungen ver anlaßt sahen. Verhaftungen und Untersuchungen ge gen wirkliche oder angebliche Mittelspersonen solcher Desertionen hatten indeß in der Hauptsache keinen andern Erfolg, als die Bethciligten zu vermehrter Vorsicht zu mahnen. Sogar in Köln hatte der Sekretär des dortigen englischen Konsuls mit Wissen seines Vorgesetzten die Hand zu verbotenen Wer bungen geboten; er entging der Verhaftung dadurch, daß er vom Konsul urplötzlich mit Depeschen nach England geschickt wurde. Der Konsul selbst aber wurde von dem preußischen Gericht zu mehrwöchent licher Gcfängnißstrase verurtheilt. Gleiche Anwerb ungen von cingewanderten Deutschen in den Ver einigten Staaten von Nordamerika, die mit Wissen des dortigen englischen Gesandten und einiger eng lischen Konsuln vorgcnommcn wurden, hätten fast zu einem Kriege zwischen England und den Ver einigten Staaten geführt. Die englische Negierung, als sie die Empfindlichkeit der amerikanischen sah, ließ zwar sogleich alle weiteren Anwerbungen in Amerika einstelle», weigerte sich aber, den Gesandten und die beiheiligten Konsuln zurückzurufcn. Es entstand hieraus ei» sehr gereizter Depeschcnwechftl, bis die amerikanische Regierung selbst den Gesand ten nach Hause schickte. Man glaubte eine Zeit lang, die englische Regierung würde nun auch den amerikanischen Gesandten zurückschicken; indeß zog vom Juli 1855 bis Juni 1856. sic vor, als sic den Ernst der Amerikaner sah, die Beleidigung cinzustcckcn. — In Ko bürg begab sich das Unerhörte, daß der dort zu einem Jubel feste eben anwesende fürstlich lippcsche Kabinctsmi- nister Hannibal Fischer, traurig bekannt als Auk tionator der deutschen Flotte, verhaftet wurde, weil er in einer Eingabe, die er für einige Koburger und Gothaer adelige Herren an den Bundestag ge richtet, sich ehrverletzender Acußerungcn gegen den Herzog bedient hatte. Er ward zwar andern Tags gegen Kaution wieder freigelassen, indeß die Unter suchung gegen ihn fortgcstellt; sein fürstlicher Ge bieter aber fand sich bewogen, den Kabinctsminister seines Dienstes zu entlassen. -- Das Erdbeben, das am 25. im Vispthale in der Schweiz furcht bare Verwüstungen anrichtete, ward auch durch einen Theil von Süddeutschland, wenn auch mit immer geringerer Heftigkeit, und bis Sachsen verspürt; die Stadt Bischofswerda war der nordöstlichste Punkt, bis zu dem es bemerkt wurde.— In Hanover, wo die Adclspartci mit Hilfe des Bundestages ebenfalls wieder ihre verlorenen Vorrechte zu er ringen strebte, zeigten sich dafür die Kammern wenig willig und das Ministerium nicht entschieden genug. Es ward daher am 30. das letztere verabschiedet und ein neues aus Mitgliedern der Adelspartei er nannt, das sich eifrig an's Werk machte, auch in Hanover Staat und Gesellschaft zu retten, was ihm indeß vollständig bis heute noch nicht gelungen ist. Doch zweifeln wir nicht, daß es doch zri seinem Ziele gelangen werde.— In Würtcmberg wur den mit Schluß dieses Monates die beiden letzten politischen Gefangenen aus dem Jahre 1849 frei gelassen. — Die in großen Massen in Galizien ausgestellten österreichischen Truppen litten außer ordentlich durch Cholera und TyphuS. Auch in der Lombardei und im Kirchenstaate wüthctc die Cholera heftig. — Um die Ungeheuern KcicgSkostcn und den übrigen großen Aufwand seiner Regierung zu decken, schloß der Kaiser der Franzosen ein neues Anlehcn von 75t) Millionen Franks (200 Millionen Thaler) ab. Die Vorrechte, die er seiner neuerrichteten Warde gab, erregten die Eifersucht der Linienregimenter, namentlich solcher, die sich in Al- E