Volltext Seite (XML)
Jahrbuch für Freunde des Nützlichen und Angenehmen. Rückblick auf die Zeitereignisse vom Juli 1854 bis Juni 1855. Juli 1854. Die Geldverlegenheiten der österreichischen Regierung machten eine neue An leihe nöthig, die diesmal aber nicht bei auswärtigen Bankhäusern, sondern im eigene» Lande abgeschlos sen wurde, so daß an jeden zahlungsfähigen Un- terihan die Aufforderung erging, in die zu diesem Bchufe ausgclegtcn Lasten die Summe einzuzeichnen, mit der er sich bei dieser neuen, eine freiwillige genannten, Anleihe beteiligen wollte. Um sich womöglich über das Verhalten den kriegführenden Parteien gegenüber zu einigen, wurde der Flügel- Adjutant des Königs von Preußen, Oberstleutnant von Manteuffel, nach Wien gesandt. Die preußische Regierung ordnete die Kriegsbereit schaft ihrer Armee an und vervollständigte zu nächst die Artillerie und Kavallerie bis zur Kriegs stärke. Vor länger als 10 Jahren hatten die städtischen Behörden Magdeburgs der dorti ge» deulschkatholische» Gemeinde die Sebastians- kirche eingcräumt. Obwohl durch diese brüderlich christliche Hilfe dem lutherischen Gottesdienste nicht der geringste Nachtheil erwuchs, da die genannte Kirche vorher längst nicht mehr zum Gottesdienste, sondern als Wollmagazin benutzt worden war, so mußte auf Anordnung des preußischen Kultusmi nisteriums doch die Kirche der dcutschkatholischen Gemeinde wieder entzogen werden. — In Sachsen richteten am 8. und 9. heftige Gewitter mit Wol kenbrüchen große Verheerungen an, namentlich litten dadurch die Umgebungen von Meißen, Dresden, die Strecken längs der Mulde, Pleiße u. s. w., selbst Menschenleben gingen in den mit schrecklicher Schnelle heranstürmenden Waffcrflnthcn verloren. — Am 15. wurde in München die große deutsche Industrie-Ausstellung eröffnet. — In Heidelberg entfernte die badenschc Regierung den als po pulär-medizinischen Schriftsteller nnd gründlichen Forscher weitbekannten Professor Molcschott in Heidelberg von seinem Lehrstuhle. — Nachdem der Admiral Napier einige Zeit mit der eng lisch-französischen Flotte vor den Festungswerken Kronstadts gelegen hatte, ohne daß die dahinter Schutz suchenden russischen Schiffe herausgckoinmen und den angebotencn Kampf angenommen hätten, überzeugte er sich, daß er mit den zu seiner Ver fügung gestellten Mitteln nicht mit Aussicht auf Erfolg Kronstadt angreifen könnte. Als nun auch noch die Cholera auf Len englischen und französi schen Schiffen ausbrach, zogen sich diese aus der Nähe Kronstadts zurück und segelten gegen die Alandsinseln, nachdem englische Schiffe zu Ende des Monats em französisches Trnppencorps von 10,000 Mann unter dem General Baraguay d'Hilliers der Flotte zuzeführt hatten. — Auch an den nördlichsten Gestaden des europäischen Ruß lands, im weißen Meere, erschienen einige eng lische und französische Kriegsschiffe, blokirtcn Ar- changcl und machten einige unbedeutende Angriffe gegen befestigte und unbefestigte Küstcnpunkte. — Die russische Armee an der Donau, die nach der mißglückten Belagerung von Sillstria ziemlich cntmuthigt sich über die Donau zurückzog, wurde am 9. bei Giurgcwo von den Türken unter Omer Pascha angegriffen nnd geschlagen, sodaß sie sich immer weiter gegen den Prmh hin ziehen mußte und vielleicht noch neue empsindlichere Verluste er litten haben würde, wenn cs nicht den österreichi sche» diplomatischen Vermittelungen in Konstanti nopel gelungen wäre, den Befehl an Omer Pascha zu erwirken, daß er vorerst nicht weiter vorrücke. Weniger glücklich als an der Donau waren die Türken in Asien, wo ihre Armee nicht durch Siege der Russen, sondern durch Mangel an Vorsorge von der eigenen Regierung in einem kläglichen Zu stande sich befand, sodaß von ihr wenig Kraftcnt- wickclung erwartet ivcrdcn durfte. Während eine starke englisch-französische Flotte bei Konstantinopel und an den nächsten Küstcnpunkten des schwarzen Meeres ruhig vor Anker lag, lief ein russische- Kriczsdampfschiff aus Scbastopol aus, nahm drei türkische Segelschiffe und ein englisches Dampfschiff weg und rettete sich eilends wieder hinter die schützende» Manern zum Hohne des „mcerbcherr- schcndcn Albions". Die Kosten des Krieges zu decken, machte Rußland eine neue Anleihe im Aus lände; sogar in England, von Lessen Patriotismus immer so viel zu lesen war, fanden sich spekulative Kapitalisten, die unpatriotisch genug dachten, dem Feinde ihres Vaterlandes mit englischem Gelde zu Hilfe zu kommen, bis ein vom Parlamente geneh» E