Volltext Seite (XML)
das beste, was er bisher überhaupt geschrieben hatte, weil es viel zu sagen gab. Er saß im Abteil, stieß den Zigarettenrauch gegen die Scheibe, be mühte sich, die Reportage zu konzipieren, aber beharrlich stand ihr Bild zwischen seinen Gedanken; rundes Gesicht, in übermütiger Stunde Frau Luna getauft, in die Länge gemogelt durch aufgetürmtes Haar, Ponyfransen bis hinunter zu den großen Augen - waren die grau oder braun oder graubraun? Nicht Außeres schien ihm wichtig. Ihr Haar: Nächte, denen die strapazierfähigste Frisur zum Opfer fiel, Streit um die Lockenwickler am sonntäglichen Mittagstisch. Ihre Augen: wortlose Sprache, die er nie ganz perfekt übersetzen konnte, obwohl sie manches verrieten - Unruhe, wenn das Kind fieberte, Stolz, wenn sein Name in einer Zeitschrift stand, Enttäuschung, wenn sie die Prämie auf den Tisch legte und er statt eines Glückwunsches brumm te: Die hilft uns wiedermal über die Runden. Nicht Kulleraugen und Grübchenwangen wegen wünschte er sich, der Zug möge schneller fahren, sondern weil ihm in den sechs Wochen sein Leben unvollkommen erschie* nen war ohne den ganzen Hausrat aus Freuden und Ärger und Sorgen, angesammelt in fünf gemeinsamen Jahren. Er wollte keine andere Frau. In Krakow hatte er ein Mädchen kennengelernt, das sah aus wie Pa ris, und einen Abend lang lachten, tranken und tanzten sie zusammen, und er sagte ihr schmeichelnde Worte, wenn er seine Nase in ihren Haaren vergrub. Als kein Zubrowka mehr ausgeschenkt wurde, sagte sie, er könne mit ihr kommen, wenn er sich mit einem Kaffee begnüge. Sie ging zu ihren Freunden, um auch sie einzuladen, kam an die Garderobe zurück, doch er war nicht mehr da, war geflüchtet, aus Angst oder Hemmung oder auch wirklich, weil er an Brit gedacht hatte. Er lag wach im Hotelzimmer, bis Robert Renel kam, sich die Nacht vom Kör per duschte, Hallo, Rolf, hast du auch gut geschlafen? und