Volltext Seite (XML)
- 137 - Eva stand immer noch vor Michael. Sie spürte seinen Blick auf ihrem Haar und wagte nicht aufzusehen. "Setzen wir uns doch", sagte sie. Warum sagt sie nicht: Setzen Sie sich, Freege, dachte Michael. Er zog sich einen Stuhl heran und wußte nichts mit seinen Hände anzufangen. Wie lange war das eigentlich schon her, seit er gearbeitet, seit er im Laboratorium gestanden, dieses Aggregat eingeschaltet hatte Ein Jahr Gefängnis! Er wußte nicht, ob er dieses 'ein Jahr Gefängnis' laut gesagt hatte. Sein Blick wanderte von Evas Scheitel zu ihrem Gesicht. Es blieb unbewegt, wahrscheinlich hatte er es doch nur gedacht, dieses ' ein Jahr Gefängnis'. Wie lang war eigentlich ein Jahr? Dann sagte er es laut: "Ein Jahr ist lang." Eva schaute erlöst auf, als er sprach. Ein Satz war es ja nur, aber er sprach wenigstens. "Schau Michael", sagte sie, "die Untersuchungshaft wird auch angerechnet." Sie fühlte das Ticken der Uhr an ihrem Handgelenk. Eva wußte genau, daß sie es gar nicht hören konnte, aber sie spürte, daß die Zeit davonlief. Wie viel eigentlich s chon? Hur sprechen jetzt, nur alles sagen, dachte sie. Nachher würde es zu spät sein. Sie ahnte seine Verbitterung, sie wußte, was daraus entstand, wenn sie jetzt nicht die richtigen Worte fände Zehn Minuten, vielleicht jetzt nur noch acht ... "Wärest du damals Rechtsanwältin geworden, hättest du mich verteidigen können, statt mich zu verurteilen", sagte er. Aber er wußte nicht, warum er das sagte. Tausendmal hatte er sich überlegt, daß sie recht hatte mit ihren Argumenten. Wenn er alles abrechnete, blieb dennoch seine Schuld übrig. Aber er fand nicht die richtigen Worte, die er ihr sagen wollte,