- 130 - mitbewohner. Da kann einer noch so wortkarg sein, die anderen finden immer Mittel und Wege, ihn auszufragen. Und Michael schickte sich darein, was blieb ihm anderes übrig? "Der Doktor bekommt auch so seine Strafe", prophezeite der Trübsinnige. "Gottes mühlen mahlen langsam aber sicher." "Morgen werde ich verurteilt", sagte Michael. Der Himmel wird über einer Großstadt nie ganz dunkel. Rötlich zeichnete sich das Rechteck des Fensters ab, ein Stückchen nächtliche Freiheit zeigte sich vor dem Gitter, das seinen Gedanken nicht wehrte, jenseits des Zellenhauses auf die Reise zu'gehen. Irgendwo zeigte eine Hirchturmuhr die zweite Stunde an. "Heute werde ich verurteilt." + Vor diesem Augenblick hatte Eva sich gefürchtet und geglaubt^ sie werde keine Stimme haben, es auszusprechen oder man werde ihr Herz lauter schlagen hören, als ihre Stimme Kraft habe, von anderen verstanden zu werden. Kun sprach sie es aus. Sie war ganz ruhig dabei, nur ihr Herz schlug schneller. Deutlich drang ihre Stimme in den Raum: "IM KAMEN DES VOLKES! Der Angeklagte Michael Freege wird wegen fahrlässiger Tötung - Vergehen nach § 222 StGB - zu einem Jahr Gefängnis verurteilt ..." Es war ein Urteil, wie sie viele schon verkündet hatte, nicht besser und nicht schlechter formuliert. Es unterschied sich in nichts von einem anderen Urteil. Sie hatte genauso gründ lich alle Für und Wider geprüft, als handele es sich um einai fremden Menschen. Und sie wußte: Ich habe einen Fehler gemacht