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Beilage zu Rr. 118 -es „Amts- und Anzeigeblattes". Eibenstock, den 6. Oktober 1894. Erna. Erzählung von M. Dorn. (Schluß., „Sorge Dich nicht um mich, Mütterchen," sagte er mit frischem Ausdruck der Stimme. „Verzichten heißt nicht unglücklich sein! Ein reiches Leben liegt ja noch vor mir, nicht Alles ist unerreichbar!" „Gott segne Dich, mein Liebling. Schlaf wohl in der Heimath!" rief die Mutter mit feuchtem Glanz in den Augen. Vom geselligen Verkehre ganz zurückgezogen, lebte Edwin nnr seinem Berufe und den Seinen, ohne da bei etwas zu vermissen. Seine Zeit war voll ausgefüllt mit geistiger Arbeit, der er sich in der Zeit außer den Lehrstunden widmete, während er sein Herz zum Schweigen brachte. Seine Mutter war ihm das Ideal der Frauen, ihr brachte er während diesen Monaten Alles dar, was ihr Leben erheitern konnte, und hatte dafür den Lohn, sie immer mehr gesunden zu sehen. Was ihm begegnet, hatte er ihr in einsamer Stunde enthüllt, seitdem berührten Beide den wunden Punkt nicht mehr. Alwine hatte, nachdem die Mutter ihre Gesund heit fast wieder erreicht hatte, ihrem Verlobten, einem Arzte, die Hand gereicht. An Geheimrath Wallner hatte Edwin, seinem Ver sprechen und auch dem eigenen Drange folgend, gleich nach seiner Ankunft in B. geschrieben und nach kurzer Zeit eine herzliche Antwort von ihm erhalten. Einige Monate später schrieb er wieder, allein diesmal blieb die Antwort aus. ES war Edwin eigentlich recht, er hätte um keinen Preis gegen Wallner verstoßen mögen, daß aber ein direkter Verkehr unterblieb ohne seine Schuld, empfand er als große Erleichterung. Das Frühjahr war vorüber, die Verbindung des Brautpaares mußte stattgefunden haben. Haller wußte das, dennoch war er froh, daß kein Zufall ihm Mittheilungen da rüber brachte. Erna'S Bild lebte in ihm, wie das einer theuren Dahingeschiedenen, der man tiefe Ver ehrung weiht, ohne Hoffnung, ohne Wunsch. Edwin'S Mutter war nun vollständig wieder her gestellt, und er hatte beschlossen, auf Anrathen des Arztes, mit ihr in den Sommermonaten in ein Bad zu gehen. IV. Die Sonne war soeben emporgestiegen. Gleich einer goldenen Brücke legte sich ein breiter, zitternder Lichtstreifen über den Genfer See. Purpurne Strahlen fielen in den See und auf die Berge, Wälder und Auen ringsumher. Noch war tiefe Stille ringsherum, auch die Vögel schwiegen noch, nur der Morgenwind fuhr rauschend durch die Bäume. Die eigcnthümlichc Kühle, welche den Sonnenauf gang begleitet, durchfröstelte die meisten der Kurgäste, welche der frühe, schöne Morgen auf das Plateau herausgelockt hatte. Alles hüllte sich fester in die Plaids. Unter den Gruppen, die theils rosig ange strahlt, theils von nebelhaftem Dämmerlichte umgeben, hier und dort herumstandcn, sah man mitunter recht komische Erscheinungen. Verschlafene Gesichter guckten aus den Umhüllungen, manchmal aber auch ein vom Frllhwind geröthetes Gesichtchen recht munter hervor. Die Mehrzahl sah frierend und unbehaglich aus. Aus einer der Gruppen trat plötzlich ein Herr heraus und auf eine Dame zu, die schon wiederholt seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Sic war tvie die Anderen in Plaid und Kapuze gehüllt. Seine lebhafte Begrüßung wurde ziemlich kühl er widert, als die junge Dame, welche Niemand anders als Erna'S Kousine Sophie war, in dem Herrn Pro fessor Edwin Haller erkannt hatte. Die kühle Art, womit sie seine Anrede erwiderte, mußte ihm auffallen, doch machte sie ihn nicht irre, das angefangenc Ge spräch fortzusetzen. Die Gelegenheit, endlich über Erna'S Ergehen etwas zu hören, sollte ihm nicht entschlüpfen. Die Frage sprang unmittelbar aus dem Herzen auf die Lippen: „Wie geht cS Ihrer Frau Kousine?" „Meiner Frau Kousine?" rief Sophie, ihn er staunt anblickcnd. „So wissen Sie gar nicht — das ist ja aber nicht denkbar!" „WaS weiß ich nicht?" fragte Edwin, die Farbe wechselnd. „Daß Erna'S Verlobung sich löste und sie mit ihrein Vater auf Buchenheim lebt, wie früher." „Unmöglich!" „ So sagten wir Alle im ersten Augenblicke," sagte Sophie, ernst in sein erregtes Gesicht blickend. „Sie können sich die Bestätigung auS Erna'S Munde selbst holen." „Edwin'S Athem ging schneller. „Und was," sagte er, ohne der Richtung zu folgen, in welcher Sophicn'S Auge nach der andern Seite de« Platzes streifte — „was war der Grund diese- räthselhaften Entschlusses? Verzeihen Sie meine unbescheidene Frage — aber der Geheimrath ist mir sehr werth ich habe nie erfahren " „Ich glaube Ihnen!" erwiderte Sophie plötzlich mit ganz verändertem, Herzlichkeit annchmendem Tone, „so seltsam es auch auSsieht. Ueber den Grund, warum die Verlobung kaum drei Wochen vor dem zur Hoch zeit bestimmten Tage rückgängig gemacht wurde, hat sich Erna nie ausgesprochen. Ich weiß nur, daß eS kein förmlicher Bruch war, da Wallner noch heute ini brieflichen Verkehr mit Arndt'S steht." Haller stand in tiefen Gedanken. Endlich hob er lebhaft den Kopf: „Sie sagten, Fräulein Arndt sei hier, aber wohl nicht auf dem Plateau; ich sah keine Erscheinung, die ihr gliche!" „Doch, dort drüben steht sie ganz eingewickelt. Sie war das ganze Frühjahr her nicht wohl und da Mama die Kur hier gebraucht, so haben wir den Onkel be redet, sic mit uns gehen zu lassen, da ihn die Gicht zu Hause hält." Edwin hörte kaum mehr die letzten Worte, schon folgte sein Auge, sein Fuß der angedcuteten Richtung, schon hatte er die Gestalt erblickt, die ihm seit lange» Monaten nur seine Träume gezeigt. Die Gruppen hatten sich zerstreu^ Erna stand allein auf das Ge länder gestützt. Sie hatte Edwin offenbar früher er kannt, als er sie; unbeweglich erwartete sie sein Näher kommen. Die kleine Hand zitterte leise, ernst blickten die Augen aus dem blassen, müden Gesichtchen ihm ent gegen." Der erste Blick, als sie sich nun gegenüberstanden, war schwer und tief, wie es der letzte gewesen, als sie schieden. Nur mit leiser 'Neigung des Kopfes beant wortete sie den konventionellen Gruß, mit dem Haller zu ihr trat. Schweigend ergriff er ihre Hand, sie an die Lippen zu ziehen, sie war regungslos und kalt wie Eis. „Nie hätte ich mir träumen lassen, daß ich das Glück haben sollte, Sie hier zu finden, noch weniger aber, mein gnädiges Fräulein, daß ich sie noch mit dieser Anrede begrüßen würde," sagte er befangen. Erna'S Auge, das sich früher gesenkt, hob sich rasch, sie sah mit lebhaft fragendem Ausdrucke zu ihm auf. „Eben jetzt erfuhr ich durch Fräulein Sophie, wie viel sich verändert — ich glaubte Sie schon seit einem halben Jahre vermählt —" Erna wurde dunkelroth. „Sie wußten nicht, was aller Welt bekannt ist!" Ein bitteres Lächeln umzucktc den kleinen Mund, „da war ich freilich sehr im Jrr- thum, gn Ihr Interesse für Herrn Wallner zu glauben — Menschen, für die man sich interessirt, pflegt man nicht so gänzlich aus den Augen zu verlieren." „Dies ist der letzte Vorwurf, den ich verdiene, Fräulein Erna!" rief er mit bedeckter Stimme. Des Mädchens eben noch so verschleiertes Ange blickte ihn auf einmal stolz und kalt an. „Wer denkt denn daran, Ihnen einen Vorwurf zu machen?" sagte sie mit fremdem Ton, „nichts ist gewöhnlicher, als das Verlöschen zufälliger Beziehungen." Verletzt trat Edwin einen Schritt zurück. In tiefes Sinnen verloren, stand er einige Augenblicke, während sie sich nach Sophie umwandte. Mit feinem Zartgefühl hatte jedoch diese sich zurückgezogen und schritt an der Seite einer bekannten Frau am Plateau auf und nieder. Edwin hatte den fast hilfesuchenden Blick Erna'S gesehen — wie eine plötzliche Erleuchtung kam eS über ihn. — Erna'S Bund gelöst — ihr eigenthümlich ge reizter Ton — die Kälte, in die sie bei seinem be schwichtigendem Wort so plötzlich umgeschlagen — und jetzt der Blick, der nach Hilfe suchte — vor ihm? — Eine Stimme gab ihm Antwort, — er wußte in diesem Augenblick, daß Erna ihn nicht vergessen, — das scheue, stolze Mädchenherz, das sich aufgegeben glaubte, hing noch an ihm — und Erna war frei! — Diese Gedanken ließen ihn freudig den Kopf er heben, mit liebendem Blicke betrachtete er daS blasse, abgehärmte Gesicht vor ihm, — da kam plötzlich der einzige Ruf: „Erna!!" über seine Lippen, aber mit einem solch' innigen Tone, daß das junge Mädchen jäh zusammenzuckte. „Erna!" klang es noch einmal auS seiner Brust heraus, diesmal zaghaft bittend. Da konnte sie sich nicht länger halten, leises Schluchzen antwortete ihm, die feine Gestalt schien zu wanken ; schon stand er bei ihr, sie mit seinem Arme umschlingend. Sic duldete eS, daß er ihren Arm in den seinen zog und die kleine Hand mit innigem Drucke preßte. Die Worte, die von seinem Herzen über seine Lippen flössen, mußten wohl von überzeugender Gewalt für sie gewesen sein, — da sich auf einmal daS tief ge senkte Köpfchen hob und die braunen Augen mit solch' innigem Ausdruck zu dem jungen Manne aufschautcn, daß dieser selbst vor Glück und Freude erbebte. Er führte ihre Hand an seine Brust, „fühle wie j e« schlägt da drinnen; und all' die lange Zeit her suchte ich eS zum Schweigen zu bringen, — ich hatte ja keine Hoffnung mehr! Sag' mir nur, wie Alles kam und wie er es trug?" — Erna flüsterte, ohne Edwin anzublickcn. „Ich wollte ihm Wort halten, gewiß! Als Du damals von uns gingst, sagte ich Dir im Herzen „Lebewohl!" Als nun Wallner schrieb, daß Du in Deiner Heimath seiest, dankte ich Dir aus tiefster Seele. Ich konnte nun ohne Angst an das Leben in C. denken. Da kam die Zeit heran, — Adolf kam einige Wochen früher zu uns, auf Wunsch des Vaters. Am Tage seiner Ankunft fühlte ich gleich, daß es mir unmöglich sei! Als er zu mir trat und mich in seine Arme schloß, da waren es nicht seine Augen, die mich ansahen — cs waren die Deinigen. Einige Tage trug ich es noch, da faßte ich mir ein Herz und gestand ihm Alles — wie er es trug — ich weiß eS nicht. Er gab mich frei auf der Stelle und der edle Mann stand mir noch bei, als der Sturm mit dem Vater losbrach, — er blieb auf Buchenheim, bis der Vater wieder besänftigt war. „Der edle gute Mann muß auch der Erste sein, dem wir von unserem Glücke Mittheilung machen wollen." Arm in Arm schritten die Liebenden der Kousine entgegen, mit zufriedenen Blicken sah diese die frohen, glücklichen Gesichter der Beiden. — Frau von Haller wartete heute vergebens auf ihren Sohn, der versprochen, sie um 9 Uhr zur Pro menade abzuholen. Eben hatte cs 10 Uhr geschlagen, da sah sie ihn plötzlich in Gesellschaft zweier Damen, wovon er die jüngere am Arme führte, daher kommen. Uebcrrascht blickte sie ihm entgegen, doch ihre Ueber- raschung wurde zur größten Freude, als ihr Edwin das junge Mädchen mit den Worten cntgegenführte: „Mutter! sieh' hier meine Erna, meine Braut, nimm sie als Deine Tochter auf!" In fliegender Eile gab Edwin der Mutter die nöthigen Aufklärungen. Zaghaft blickte Erna auf die Dame, — al« jedoch da« freundliche, sanfte Auge auS dem blassen, edlen Antlitze desselben ihr so liebevoll entgcgcnblickte, flog ihr Herz ihr stürmisch entgegen. Bewegt schloß Haller's Mutter Erna in ihre Arme, innig drückte sie dem Sohne die Hand — sie Ivar glücklich in seinem Glücke. Auf dem Wendenhofe. Original-Novelle von Th. Schmidt. I. (Nachdruck verboten.! Seit Mittag war ein mit Schnee untermischter Regen herniedergerieselt und hatte sich mit dem auf den Straßen und Höfen der Residenz lagernden Schmutz zu einer schlüpfrigen breiigen Masse verwandelt, oder auch da, wo das Pflaster sich im schlechten Zustande befand, kleine Tümpel gebildet, bei deren Anblick ner vösen Menschen eine Gänsehaut über den Rücken läuft und ihnen da« Trostlose eines solchen deutschen Winter tages so recht zu Gemüthe geführt wird. Bleigrau und regenschwanger hingen die Wolken am Himmel und monoton tropfte das Wasser aus einer schiefhängen den und geborstenen Dachrinne auf das vorstehende Blech des kleinen Fensters eines grau getünchten Hinter hauses. Es war das einzige Fenster im vierten Stock, welches einen Ausblick unten auf den unsauberen Hof und hinauf zu dem grauen Wolkenhimmel gestattete, vor- und seitwärts erblickte das Auge nur Steinwäude himmelhoch strebender Hinterhäuser, in deren Fenster das Tagesgestirn wohl noch nie seine Strahlen ge worfen hatte. Das bleiche, junge Mädchen mit den feingeschnit tenen Zügen und dunklen Ringen um die großen blauen Augen, welches an jenem einen Fenster steht und dessen Blicke weit über die rußigen Dächer hinwcgzuschweifen scheinen zu freundlicheren Bildern, als sic ihre Um gebung zu bieten vermögen, muß wohl schwere Seelen kämpfe erlebt und bitteres Leid erfahren haben, bevor es an diesen Ort, an den nur die Armuth sich zu flüchten Pflegt, angelangt ist. Armuth und Reichthum — wie nahe wohnen sie in Großstädten neben ein ander! Und was würden die reichen Damen wohl für Augen machen, die täglich vorn in den luxuriöse» Laden der Firma Nordheim L Sohn eintreten und die eleganten Mäntel bewundern, welche auS dem „Atelier" der Genannten hervorgehcn, wenn sie nur einen Blick in dieses „Atelier" und auf seine weib lichen Bewohner werfen könnten. Hoch oben im vierten Stock liegt sic, die Mäntel- Werkstatt, eine dunste, steile, schmale Treppe mit aus getretenen Stufen führt von dein neuen im modernen Stile erbauten Vorderhause zu ihr hinauf und eine nach Kohlendunst und Bügeleisen riechende Lust strömt dem Eintretcuden aus dem kleinen niedrigen Raume entgegen; und in dieser Atniosphärc arbeiten sieben junge weibliche Wesen mit bleichen Gesichtern und hohlen Augen, welche die Damen nun und nimmer mehr für die Verfertiger ihrer eleganten Mäntel halten