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„Höre, Samuel, wir sind die Kleinen und Schwa chen und unsere Landstände wußten, wie wenig sich Oesterreich, Wenns schief geht, um uns annimmt. Und doch haben wir noch einmal anno 99 gegen die Fran zosen gefochten bei Löchau, — wo waren da die Preußen? — und im nächsten Jahr bei Wippingen und Kleinbeurcn und Krumbach, Wetterhausen, Gremb- heim, — und der Erzherzog Karl hat unfern Sol daten damals beim Friedensschluß das ehrendste Zeug- nißausgestellt. Wo waren damals diePreußcn? Und als Oesterreich unterlag und Frieden machte zu Lineville und das linke Rheinufer verloren ging und es hieß, wer da etwas verliere, bekomme zur Ent schädigung deutsche Bisthümcr und Reichsstädte, wer hat da mehr bei Bonaparte um einen schönen Beute- theil gebettelt als Preußen?" „Haben w irs besser gemacht, Vater? Wir haben auch mit Bonapartes Erlaubniß eingesteckt, soviel wir konnten. Unsere Gesandten haben auch das Geld in Paris nicht gespart". „Laß mich ausreden, Samuel! — Und als es zum letzten harten Kampf gegen den Bonaparte kam im vorigen Jahr, als unsere Württemberger zum ersten Mal als Napoleons Kanonenfutter gegen Oesterreich marschircn mußten, — wer blieb wie der feig daheim? Preußen wars! Und als Oesterreich bei Austerlitz am Boden lag, da hat dieses Preußen noch Freundschaft geschlossen mit dem Napoleon und sich von ihm sein gestohlenes Gut Hannover schenken lassen, der Hehler von dem Stehler! Und mit Denen soll ich Theilnahme haben? Ihnen Gutes wünschen? Nein! Gottes gerechtes Gericht wird sie treffen, wie es Oesterreich getroffen hat und uns. Und dann, — ja dann, wenn jeder seine Schuld gebüßt hat und erkennt, dann kann cs besser kommen." * q- -i- Einige Soldaten aus dem Städtchen X. hatten Urlaub aus ihren Garnisonen bekommen und machten daheim Abschiedsbesuche. Trainsoldaten mit Fuhr werken zu Einholung von allerlei Vorräthen für den Feldzug kamen an. Abteilungen Militärs, auf be stimmte Sammelplätze kommandirt, marschirtcn durch. Es waren stattliche, wohlexcrcirte Leute, stramm, kriegs- , tüchtig, in schönen Uniformen. Die Infanterie trug damals fast durchaus den schwarzen, vorne messing blinkenden Raupcnhelm, den man jetzt nur noch beim bayrischen Militär sieht, blauen Uniformfrack mit weißem Lederwerk und weiße, knapp anliegende Bein kleider, die in die engrohrigen Stiefel gesteckt waren. Die Stimmung war eine sehr gedrückte. Schwere Steuerlasten lagen auf dem Land. Eine unerbittlich strenge Herrscherhand gebot allenthalbenstummen Gehor sam. Am Hof in Stuttgart sah man mehr als königliche Pracht, ein Gewimmel von goldstrotzenden Hofbedienst eten, Läufern, Lakaien und Garden, den Prunk glän zender Festlichkeiten, die Tausende verschlangen, — ein Treiben, den gegenüber das Leben der heutigen all- verehrten königlichen Familie wie ein bürgerliches Stillleben erscheint. Und man stand an der Schwelle eines Kampfes gegen ein Land, auf dem noch der Ruhmesglanz der Sieger Friedrichs des Großen lag gegen Preußen! * Auch Michael Koch hatte Urlaub bekommen. Er hatte als Pietist anfangs unsäglich viel Spott bei den Kameraden zu leiden gehabt. Als aber die Offiziere seine Tüchtigkeit erkannten und ihn schützten, bekam ers besser und seine nie verbitterte Gutmüthigkeit gewann ihm allmählich alle Herzen. Er gehörte einem der beiden „Fußjägerbataillone" an, die beim Volk nur „die schwarzen Jäger" hießen, da die Aufschläge an dem dunkelgrünen Uniformfrack und das Lederwerk schwarz waren; auf dem Kopf saß ein grün und schwarzer Tschako mit hoher grüner Feder; auch die Beinkleider waren grün. Der breite, starke junge Mann sah gar stattlich aus in seiner Jägermontur. Samuel Schalter hatte bisher seit seinen Knaben jahren noch am meisten mit seinen früheren Mit schülern von der Lateinschule her Umgang gepflogen, doch ohne mit einem derselben nähere Freundschaft zu schließen, da er sich am liebsten dem Geschäft seines Vaters und allerlei bildender Lektüre widmete. Michael Koch, der als Knabe die Volksschule be sucht hatte, stand ihm lange ferner. Es war nun eigcnthümlich: seit Samuel hörte, Nauettle und Mich ael wollen einander heirathen, — so sagte ihm näm lich gelegentlich einmal seine Mutter, — wurde ihm Michael wichtiger und erschien bedeutender in seinen Auge». Er war ihm allmälich immer näher gekom men, und obwohl er ihm an Bildung überlegen war, fühlte er sich innig angezogen von dem reinen, bie deren Charakter des Jüngling«. Und so suchte er ihn auch während seines letzten Urlaub« auf, um von ihm Abschied zu nehmen, ehe derselbe gcgeri die Preu ßen marschirc. Wenn er gewußt hätte, wie wenig im Ganzen Nancttle an Michael und seinen bevorstehenden AuS- marsch dachte! In ihrem trüben kummervollen Leben war jene letzte, kurze Begegnung mit Samuel in den Gärten ein Lichtpunkt gewesen, und oft richtete sie, sich selbst halb unbewußt, ihre Gänge so ein, daß sic wieder jene Stelle betrat und stand oft dort eine gute Weile traumverloren. Auch heute weilte sie eben wieder auf einem Geschäftsgang dort zwischen den hohen Hecken, als ie mit einem Male ihren eigenen Namen ausge- prochen hörte. Sie blieb wie angewurzelt stehen. „Habe mir Acht auf mein Nanettle", hörte sic ägen, und sie erkannte die Stimme von Michael Koch. „Ich darf sie noch nicht heimholen; aber wenn ein Anderer um sie werben sollte, so tritt Du in meinem Namen dazwischen". Nanettle schaute durch die Hecke in den Garten. Es kam keine Antwort, aber sie sah, wie Samuel Schaller den, Freunde die Hand drückte. Die beiden mußten durch's obere Thllrlein in den Schaller'schen Garten getreten sein, weil sie Nanettle nicht begegnet waren. Sie kamen der Hecke näher und Nanettle ging rasch weiter. Ein zorniger Trotz regte sich in ihrem Herzen. „Wie kommt der dazu", sprach sie zu sich, „zu sagen „mein 'Nanettle." Hab' ich mich ihm etwa an den Hals geworfen? Ich will ihm noch zeigen, daß man mich auch fragt und meine Antwort wird ihm schlecht gefallen. — Da stellt er uns wie Brautleute hin — vor dem Samuel!" — Ja, das war's, worüber sie besonders zürnte. — „Aber wozu mich ereifern? Wer weiß, ob er nur wieder aus Preußen heimkommt? Zwar ich will ihm alles Gute wünschen, ihm und seinem Vater." „Wie nimmst Du's denn auf", fragte inzwischen Samuel den Freund, daß Du gegen die Preußen käm pfen sollst? Geht Dir das leicht? „Die Offiziere sagen", erwiderte Michele, „die Preußen seien unsere Feinde und sie wollen unserem König sein Land nehmen und dergleichen. Was weiß ich? Manche Soldaten schimpfen und fluchen gräu lich auf sie und heißen sie ein hochmüthiges Pack. Mir haben sie nichts gethan und wenn meine Kugel keinen trifft, so freut mich's. Aber dem König habe ich Gehorsam geschworen und meinen Schwur halte ich." „Die Preußen", erklärte Samuel, „sind unsere Brüder und ein brudermörderischer Kampf ist's, in den man Euch führt." „Laß mich damit in Ruhe! So sei es immer in Deutschland gewesen, viel Streit, oft mit Recht, oft mit Unrecht. Ich kann nicht entscheiden, wo jetzt daß Recht ist und folge meinem König. Ich wollte, die Zeit wäre da, wo die Schwerter zu Pflugscharen und die Spieße zu Sicheln gemacht werden, wie Jesaia weissagt. Mein Vater sagt, die Zeit sei näher, als wir meinen." Samuel schüttelte den Kopf. Es verstand eben keiner den andern. Aber jeder liebte und achtete den andern. Die Feindseligkeiten 'Napoleons gegen Preußen hatten schon begonnen, als die in der Umgegend von Stuttgart und Ludwigsburg konzentrirten Württem berger zum Kriegsschauplatz abmarschirten, 12,000 Mann, 1500 Pferde und 18 Geschütze stark. Am 14. Oktober geschah dieser Aufbruch; aber an demselben Tage zertrümmerte schon der große Schlachtenlenker 'Napoleon das preußische Heer iu der Doppclschlacht bei Jena und Auerstädt in Thüringen. In wilder Flucht rctirirteu die meisten Reste des Heeres; bei spiellos kopflos, feig und schmählich kapitulirten in überstürzter Eile die stärksten preußischen Festungen vor kleinen Streifcorps dcS vorrückcndcn Feindcs und der König von Preußen sah sich mit dem Rest seines Heeres, verjagt aus der Hauptstadt, an die russische Grenze gedrängt, wo ihm der Kaiser von Rußland mit seinen Truppen zu Hilfe kam. Fast ganz Preu ßen aber lag dem Feinde offen und gegen die preu ßischen Festungen in Schlesien marschirtcn nun unter Führung französischer Generale die Rheinbundstrup- pcn, unter ihnen auch die Württemberger. * * * Es war ein Sonntag gegen Ende Juni 1807. Am 14. jenes Monats war die blutige Schlacht bei Friedland geschlagen worden, in welcher die Russen und Preußen von 'Napoleon besiegt wurden. — In der Stadt X. ertönte Vas Vaterunserglöckchcn am Schluß des Bormittagsgottesdienstes. Und bald öff neten sich die Thüren der alten grauen Kirche und die Andächtigen strömten heraus und vertheilten sich in die Gassen. Zum Posthalter trat sein Weib und gar würdig wandelte der stattliche Gastwirth mit der Gattin da hin, das Gesangbuch unter dem Arm. Da sah er vor sich her den korpulenten Herrn Spezial gehen, der soeben gepredigt hatte und der Posthalter eilte, als er ihn eiugeholt und begrüßt hatte, ihn auzureden: „Man hat's Ihnen angemerkt, Herr Spezial, daß es Ihnen nicht leicht geworden ist, heute nach Kom mando den bonapartischen Sieg zu feiern. Ihre Pre digt war nicht gar siegesfreudig. Sie haben uns getröstet mit Gottes Vorsehung und das haben wir brauchen können." „Und ich selbst am meisten", sagte der Spezial und fand gar nicht sein gewohntes, salbungsvolles Pathos; „oder wissen Sie noch nichts von meinem Jammer?" „Kein Wort, Herr Spezial!" „Nun, 's auch erst gestern gekommen. — Sie ken nen ja meinen Buben, den Moritz?" „Freilich, der fängt jetzt eben an, Jura zu studircn in Tübingen?" „Ach Gott, ach Gott! Hören sie einmal! Er hatte schon die Erlaubniß zum Studircn vom König und zwar richtig, daß er Jura studiren dürfe: wir waren alle so froh! Nun, ich darf'S ja wohl sagen, mein Moritz ist ein sauberer Bursch, stattlich für sein Alter —" „Ein ausnahmsweis schöner Mensch, Herr Spe zial!" (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Der Schauplatz einer wahrhaft entsetzlichen Scene war dieser Tage der Kreuzungspunkt der Invaliden- und Ackerstraße in Berlin. Um die elfte Stunde vernahmen die In sassen eines Omnibus der Berliner Omnibus- und Packetfahrtgesellschaft ein knirschendes Geräusch, gleich sam als ob der Wagen über einen Kiesweg führe. Unbeschreiblich war daher der Schrecken der Passagiere, als sie vernahmen, daß dieses Knirschen von den Knochen eines etwa dreijährigen Mädchens herrührte, welches beim Spielen unter den Omnibus gerathen, von den Rädern des Wagens zermalmt wurde. Die Insassen waren größtentheils Frauen, und auf diese wirkte die Kunde von dem soeben Geschehenen so er schütternd, daß sie alle in heftige Wein- und Schrei krämpfe ausbrachen. Aber auch den Kutscher hatte ein so jäher Schrecken gepackt, daß er wie vom Schlage gerührt vom Bock sank und in Krämpfe verfiel. Zu all' diesem Jammer und Weh kam aber noch, daß die Mutter der überfahrenen Kleinen zufällig Zeugin des Vorgangs gewesen war, und nun in furchtbarster Verzweiflung schrie und weinte, so daß sich auf der Straße ein Bild entrollte, wie es von gleicher Art schmerzens- und thränenreich selbst in den Gassen einer Weltstadt zu den Seltenheiten gehört. Als man das Kind unter den Rädern hervorholte, gab es noch Lebenszeichen von sich, allerdings so schwache, daß kaum anzunehmen ist, daß das Mädchen noch am Leben. Der vollständig gebrochene Kutscher, der, zum Bewußtsein gebracht, immerwährend rief: „Mein Gott! Ich habe selbst Kinder und konnte so etwas anrichten!" wurde nach seiner Wohnung gebracht, und nur sein gleichfalls mitleiderregender Zustand hat ihn vor einem Act der Lynchjustiz bewahrt. — Wieviel Zeit gebraucht das Blut, um einmal die ganze vielverschlungene Bahn de« Kreislaufes im Körper zurückzulegen? Diese inter essante Frage ist nach einer Mittheilung der „Naturw. Zlg." zuerst von Hering bei Pferden in folgender Weise geprüft worden. Hering spritzte in eine be stimmte Vene gelöstes Kaliumcyanür ein und beob achtete, wann diese eingespritzte Substanz, welche durch Zusatz von Eisenchlorid nachgewiesen werden kann, in dem Adcrlaßblute der entsprechenden Vene der an deren Körperhälfte zuerst auftrat. Vierord vervoll kommnete die Technik dieser Versuche. Die Dauer des Kreislaufes war beim Pferde 31,s Sekunden, beim Hund 16,i?, beim Kaninchen 7,?s, beim Igel 7,«i, bei der Katze 6,«s, bei der Gans 10,s°, bei der Ente 10,und beim Huhn b,r? Sekunden. Wenn wir diese Kreislaufzeit mit der normalen Pulsfrequenz der Thiere vergleichen, so crgiebt sich das Gesetz, daß die durchschnittliche Kreislaufzeit, durch 27 Herzschläge vollführt wird. Dieses würde, auf den 'Menschen bezogen, 23,- Seklinden für die Kreislaufdauer er geben, wenn wir 72 Pulsschläge bei einem gesunden Menschen als maßgebende Zabl annehmen. — Beantwortet Eure Briefe! Die umgehende Beantwortung aller Zuschriften, womöglich mit wendender Post, sowohl solcher von gesellschaft licher oder privater, wie solcher von geschäftlicher Na tur, ist die Pflicht eines jeden gebildeten Menschen. Und doch wird ohne Grund, lediglich aus Nachlässig keit diese Pflicht nur zu oft beiseite gesetzt! Die Schuldige» rechnen dabei auf die allerweitgehendste Jndulgenz seitens des „Briesgläubigers", wenn wir uns so ausdrücken dürfen. Eine Nation, die im wirthschaftlichen und sozialen Leben nicht in« Hinter treffen gerathen will, sollte den Grundsatz des Briten „time w monex" am allerwenigsten aus den Augen setzen, wenn diese „time" nicht zumal die eigene ist; man vergeudet, indem man andere Leute auf Antwort warten läßt, eben auch die Zeit dieser anderen Leute, insofern doch meist mehr oder weniger folgenreiche Entschlüsse von dem vergebens erwarteten Bescheide abhängig gemacht werden. Die Engländer betreiben die umgehende Beantwortung ihrer Briefe wie eine Art von Sport. Ihre Briefe sind kurz, zur Sache und höflich, wenn die Zuschrift selbst von dieser Art war. In diesem Falle wird man nie das Porto um sonst ausgegeben haben — selbst nicht, wenn man sich an die höchstgestellten Personen wendet. — In Deutschland ist die« leider immer noch allzuoft der Fall. Deutsches Volk! Beantworte Deine Briefe! — Interessante Untersuchungen über das musikalische Gehör der Pferde hat die zoologische und botanische Section für Westfalen und Lippe an gestellt und ist dabei, der „Germania" zufolge, zu