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ein bemerkenSwertheS Ereigniß bilden. Allen Nach richten zufolge rüstet sich die Pfalz, welche seit läng erer Zeit keinen Regenten Bayerns in ihren Grenzen gesehen hat, zu einem Empfang, dessen Glan; die festlichen Veranstaltungen, welche die rechtsrheinischen Provinzen zur Begrüßung des Prinz-Regenten trafen, noch überbieten dürfte. Die Anhänglichkeit an Bayern und an das bayerische Herrscherhaus war in der Pfalz nicht immer so lebhaft. Vielmehr war diese räumlich vom übrigen Bayern getrennte Provinz viele Jahr zehnte hindurch in einem Verhältniß zum Gesammt- staat, das von einem innigen weit entfernt blieb. Französircnde und vcmokratische "Neigungen, wie sie zwischen 1848 und 1870 in der Pfalz mehr oder weniger vertreten waren, blieben in Altbayern unver standen, und umgekehrt fühlte die Pfalz für gewisse Eigenthümlichkeitcn Altbayerns keine Sympathie. Die Entwicklung, welche das Deutsche Reich seit 1870 ge nommen hat, hat die Hinneigung zu Frankreich und zu französischen Zuständen, sowie zu den Segnungen des demokratischen Regimes bis auf geringe Spuren verwischt, und deshalb ist eS richtig, daß die Gründung und Befestigung des Deutschen Reichs, abgesehen von der gerechten und maßvollen Verwaltung des bayer ischen Staats, zumeist dazu bcigetragen hat, Bayern und die Pfalz einander zu nähern. Der Jubel, von welchem in den nächsten Tagen die Pfalz beim Besuch des allgelicbtcn Regenten wiedcrhallen wird, ist ein sprechender Beweis dafür, wie das Deutsche Reich, weit entfernt, den einzelstaatlichen Patriotismus zu unterdrücken, vielmehr denselben im Rahmen der na tionalen Einheit zu stärken geeignet ist. — Das neue Exerzier-Reglement für die Infanterie ist bekanntlich nur für die preußische Armee erlassen worden. Wie jedoch die „M. N. N." mit theilen, wird dasselbe für Bayern noch im Lanfe dieses Monats durch KabinetS-Ordre des Prinz-Re genten zur Einführung gelangen. — Eine neue politische Fälschungsge schichte erregt augenblicklich in Rom und Paris gewaltiges Aufsehen, zumal sie lebhaft an die Streiche der „Nouvelle Revue" in der Battenberg-Affaire er innert. Der Coup aus dem Hinterhalt ist aber dies mal nicht gegen Deutschland, sondern gegen Francesco Crispi gerichtet. Der Minister empfing kürzlich von Paris mit der Aufschrift „Persönlich abzugeben" einen eingeschriebenen Brief, der mit dem Namen des be kannten .Kommunisten Felix Pyat, zur Zeit Dcputirter im französischen Parlament, unterfertigt war. lieber den Inhalt dieses Schreibens, durch welches Herr CriSpi sich sehr beunruhigt fühlte, ist Bestimmtes noch nicht laut geworden, da der Ministerpräsident aus naheliegenden Gründen die Sache sehr geheim hält. In unterrichteten Kreisen spricht man jedoch von unqualifizirbarcn Drohungen und Beschimpf ungen, welche der unbeugsame Revolutionär Pyat dem Renegaten Crispi an den Kopf wirft. Thatsache ist, daß sich jenes Schreiben zur Zeit in der Hand des Generals Mcnabrca, italienischen Botschafters zu Paris, befindet und daß dieser seinen Charge d'affaires Ressman beauftragt hat, mit Felix Pyat persönliche Rücksprache zu nehmen und vor Allem festzustcllcn, ob derselbe thatsächlich der Verfasser des Briefes sei. Herr Ressmann hat den Deputirten zur großen Ueber- raschung des französischen Parlamentes im Foyer des Palais Bourbon intcrpellirt und mit ihm eine längere Konferenz in der Sache gehabt. Das Ergebniß war frappant genug: Felix Pyat erklärte auf Wort, dem Schreiben absolut fcrnzustehen und bisher keine Ahn ung von dessen Existenz gehabt zu haben. Es fragt sich nun: Wer ist der Fälscher? — Warschau. Auch hier ist man vor Kurzem auf die Spur eines vollständig organisirtcn Exports von jungen Mädchen gekommen. Wie „Mosk. Wed." berichten, geht der Handel über Krakau und Hamburg bis nach Süd-Amerika, haupt sächlich nach der Argentinischen Republik. — Am meisten bethciligcn sich am Unternehmen Juden; an der Spitze stand ein gewisser Hermann Röder oder Rösler aus Warschau, der in der letzten Zeit in Hamburg lebte. Hier befand sich auch das Central- Bureau für den Mädchcncxport: eine Menge von Agenten waren in Rußland und Oesterreich zerstreut. Für jedes schöne Mädchen erhielt ein Agent 5000 Rbl. in Gold. Die Mädchen wurden gewöhnlich durch Betrug umgarnt. Meist waren es gekaufte Pseudo liebhaber, die den Mädchen den Kopf verdrehten und sie zur Flucht verführten. Die entführten Liebchen wurden dann in irgend einer Hafenstadt auf ein Oceanschiff gebracht und dann direkt an den fernen Bestimmungsort transportirt. In diesen Tagen ist eine ganze Partie von ertappten Agenten nach War schau gebracht worden, auch sind die russischen Be hörden mit der Hamburger Polizei in Verbindung getreten, um die Untersuchung energisch zu betreiben. Locale und sächsische Nachrichten. — In der Stützengrüner Brauerei hat sich vor einigen Tagen ein Unfall ereignet, der leicht schlimmere Folgen hätte haben können. An einem Göpclwerk waren zwei Dienstmädchen mit Führung der Ochsen beauftragt. Da wurde plötzlich eines der Mädchen von den Thicren an die Wand gedrückt. Das andere wollte helfen, wurde aber hierbei nicht ungefährlich an einem Bein verwundet. Als auf die Hilferufe der Mädchen einige der Männer her beieilten, fanden dieselben das eine der Mädchen ohnmächtig und das andere nicht ini Stande, allein zu gehen. Beide befinden sich in ärztlicher Behandlung. — Dresden. ES gereicht uns alten pensionirten sächsischen Offizieren, so schreibt einer derselben den „Dr. Nachr.", zur stolzen Genugthuung, daß das neue Jnfanterie-Exerzier-Reglement in wesentlichen Stücken das alte sächsische Reglement wieder herstcllt. Dieses und noch mehr das bayrische enthält Vieles, was, als nach 1866 das preußische Reglement einge- führt wurde, aufgegeben werden mußte, was aber jetzt wieder in dem neuen Reglement eingeführt wird. Als Beweis meiner Behauptungen führe ich an: Die 2gliedrige Stellung war vor 1866 schon in Sachsen üblich. ES wurde sodann zu Zweien abge zählt, das 2. Glied rückte um einen Schritt zurück, die Nr. 2 trat hinter die Nr. 1 und bei der Wendung entstand die Kolonne zu 4, eine sehr be queme Formation für den Marsch. Biele französische Ausdrücke, wie sie nach 1866 wieder eingeführt wurden, hatten wir in Sachsen längst nicht mehr; es hieß nicht Distanz, sondern Abstand, nickt Avant- und Arrivregarde, sondern Vorhut und Nachhut; es hieß nicht cnpitnine ä'ariues, sondern Kammer-Unteroffi zier; nicht Offizier rc. clu jour, sondern Offizier rc. vom Tagesdienst, nicht Honneur, sondern Ehrener- wcisung; nicht Alignement, sondern Richtung ; eS hieß nicht chargiren, sondern laden, nicht Intervall, sondern Zwischenraum; nicht Tete, sondern Spitze ; cs hieß (bei der Artillerie) nicht im Avanciren, rcsp. Reteriren protzt ab, sondern: rechtsumkehrt, protzt ab; cs hieß nickt Premier- und Secondc-Leutnant (beides Benenn ungen, welche weder deutsch noch französisch sind), sondern Oberleutnant und Leutnant. Schließlich möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß mit der nichts sagenden Titulatur in Dienstsachen „Ew. Hochwohl geboren" in Sachsen vor 1866 längst gebrochen war. — Dresden. Ein älterer Mann, welcher in Antonstavt bei seinem Sohne wohnt, kam dieser Tage mit demselben in Streit, welcher leider in Thät- lichkeiten ausartete, wobei der Vater dem Sohne das vordere Glied des Zeigefingers der rechten Hand voll ständig abbiß. — Waldheim. In der Nähe von Weinsberg wurde am Sonnabend Abend ein etwa 22 Jahre alter, an Krampfanfällen leidender Handwerksbursche von einem gegen 30 Jahre alten Menschen angc- sprochen und veranlaßt, sich mit an den Weg zu setzen, um zu essen und dann gemeinschaftlich den Weg nach Waldheim fortzusetzen. Nach kurzer Zeit äußerte der Letztgenannte die Absicht, doch lieber nach Zicgra gehen zu wollen, worauf der Handwcrksburschc auf stand, um den Weg nach Waldheim fortzusetzcn. In demselben Augenblicke wurde er aber von dem Un bekannten angegriffen, nach heftigem Ringen nieder geworfen und am Hülferufen durch Verstopfung des Mundes mit zusammcngeballtem Rasen verhindert. Ein heftiger Krampfanfall machte ihn vollends kampf unfähig, sodaß der Räuber ungestört sich der Stiefel und anderer Habseligkeiten seines Opfers bemächtigen und sich damit entfernen konnte. Der Ueberfallene wurde von des Weges kommenden Leuten anfgefunden und im hiesigen Krankenhanse nntcrgebracht. Den eifrigen Recherchen der Gendarmerie gelingt cs hoffent lich, den Straßenränder zu verhaften. — Stollberg. Seit 11. September Vormit tags wird der an hiesiger Realschule angestelltc Hülfs- lehrer Rudolph Kneschkc vermißt. Derselbe hat sich am gedachten Tag über Niederdorf, Leukersdorf und "Neukirchen nach Chemnitz begeben wollen und ist seitdem verschwunden. Von Neukirchen ab ver liert sich dessen Spur. Der Vermißte war anständig gekleidet und trug einen Klemmer. — Gegenüber der Mittheilung, daß in Alten berg der Erzbergbau beschränkt werden müsse, weil das billigere niederländische Scheelit das erzgc- birgische Wolframit verdränge, schreibt man aus Altenberg, daß in den dortigen Gruben (Zwitterstocks gewerkschaft, Zwitterstocks tief Erbstollen) gar kein Wolframerz gefunden wird. Dort baut man auf Zinn (im Jahre 1887 ungef. 1500 Centner) und Wismut (im Jahre 1887 ungef. 520 Kilo). Wolfram- Stufferz gewinnt man einzig und allein als Neben produkt der Zinnfundgrube Vereinigt Zwitterfeld zu Zinnwald und auch in den böhm. 'Nachbargruben. Der Erlös aus verkauftem Zinn betrug bei den beiden Altenberger Gruben im Jahre 1887 161,193 Mark, für Wismut 8415 Mark. Der — übrigens sehr unwahrscheinliche — Wegfall des Absatzes des Zinnwalder Wolframs würde auch dort den Bergbau nicht zum Erliegen bringen, da sowohl hier wie dort das Gebirge noch reich an Zwitter, d. h. Zinnstein erz ist. Der Wolfram wird nicht systematisch „ab gebaut", sondern aus anderen Gesteinen „ausgekuttert", d. h. ausgesucht als Nebenprodukt. Einen Bergbau blos auf Wolfram giebt cs gar nicht. — Weida i. Thüringen. Große Aufregung herrscht in der Stadt. In der "Nacht vom Freitag zum Sonnabend ist hier die Gattin des früheren Direktors des hiesigen VorschußvercinS, Schneidermstr. Oueck, mit einem Beile erschlagen worden. Die eigene Wohnung, Villa, befindet sich in der Bahn hofstraße, direkt unter der Centralhalle, vom Bahn hof kommend, links. Der Mord ist in der Laube ausgeführt und von da ist das unglückliche Opfer in einen ca. 25 in entfernten Wassertümpel geworfen worden, woselbst Leute am Sonnabend früh das Verbrechen entdeckten. Der Gatte der Ermordeten ist bereits von der Staatsanwaltschaft verhaftet worden. Reichsgraf Jockel. Eine Erzählung aus der Revolutionszeit von August Becker. (Schluß.) Da durch die neue Verfassung von 1795 die Emigranten auf immer aus der Republik verbannt, ihre Habschaft und Güter der Nation verfallen waren, konnte für jetzt an eine Rückkehr der Gräfin nicht gedacht werden. Die Bewohner des Ländchens waren durch die Kriegslasten auSgcsogcn, aller Besitz der gräflichen Familie, im Werthe von vielen Millionen, geraubt und verheert. Endlich, nach dem Frieden von Campo Formio, durch welchen das linke Rheinufer abgetreten wurde, ergaben sich die Bewohner in das Unvermeidliche. Während die Bürger von St. Ingbert eine Republik für sich gründeten, hatten sich die zn Blieskastel so sehr mit den neuen Verhältnissen versöhnt, daß sie mit großer Festlichkeit einen Frciheitsbaum anfpflanz- ten. Ein Sohn des HofratheS Schmelzer hielt dabei die niit Jubel begrüßte Ansprache, und — was dem Müller von Spelzheim, ver sich ebenfalls wieder ein gefunden hatte, besonders auffallcn mußte — die ganze Lcycn'sche Dienerschaft wohnte dem lustigen Aufzuge bei. Wieder, wie schon so oft, stellte der Müller Er kundigungen nach seiner „Braut", der Reichsgräfin Maria Anna, an. Man konnte oder wollte ihm nichts berichten. Ja, man lachte ihm unverholen in's Gesicht und spottete seiner. Die Zeit war vorüber, wo man Rücksichten auf ihn zu nehmen hatte. Nannte man ihn doch geradezu eine» Narren. Und als er einen der früheren Schloßbediensteten, der ihn für einen albernen Bauernsimpcl erklärte, gelegentlich mit einem Faustschlag niederstreckte, ward er dnrch Urtheil des Friedensrichters zu 14 Tagen Gefängniß verurtheilt. Da hatte der Müller Muße, über die Wendung der Dinge und die Aussichten seiner Brautschaft, an der er selbst unverbrüchlich festhielt, nachzubenken. Ein stiller Ingrimm gegen die neue Ordnung bemäch tigte sich seiner. Er schwor bei sich, trotz alledem und nur um so fester auf seinen Aussichten zu be stehen, nicht abzulassen von der langgenährten Hoff nung und im Stillen nicht blos nach der Braut, sondern auch nach der Wiederherstellung der Graf schaft beharrlich zu trachten. Einmal mußte ja die Verlobte zurückkehren. Und sie hatte ja versprochen: „Keinen Andern!" Im Wandel der Zärtlichkeit blieb sein Ziel unverrückbar. Seine Mühle versäumte er dabei keineswegs. Ja, als Muster eines haushälterischen Mannes, suchte er deren Ertrag noch zu steigern, verwandte wenig mehr zur eigenen Lust, vieles an die behaglichere Einricht ung seines Hauses. Einmal mußte ja der Tag er scheinen, wo sie wieder kam, und er wollte sich nicht unvorbereitet überraschen lassen. Nüchtern, verständig, umsichtig, geschickt und von glücklicher Hand in allen geschäftlichen Obliegenheiten, überließ er sich nun in der neuen Richtung ganz und völlig einem Glücks traum, dessen Verwirklichung er nur mit seinem Leben aufzugeben vermochte. Wenn er nun zuweilen auch Anderen gegenüber mit bemessener Würde von seiner Braut, der Reichs gräfin Maria Anna, sprach, zuckten wohl seine Be kannten die Achseln. Besonders die dicke Wittwe am Brunnen nahm's ungemein höhnisch auf. Mit jähem Gelächter ließ sie sich dann vernehmen: „Das „ist der richtige Spektakel! Reichsgräfin, Hochzeiterin! Versteht sich! Und Er, der Reichsgraf Jockel! Versteht sich! Hoch muß cs hergchcn, wenn der Dachstuhl einmal verrückt wird." Und dabei streifte sie die Aermel hinauf, bog sich hinten über und schlug mit den fleischigen Armen in der Luft umher, als befände sie sich bereits im Hand gemenge mit ihrer schlimmsten Widersacherin. Allein das kümmerte den Müller wenig. Er durfte nur das Spitzentuch ansehen, das einst die Gräfin um seine blutige Hand geschlungen hatte, und er fühlte sich erhaben über allen Spott der Welt. Kamen doch zuweilen kleine Geschenke von unbekannter Hand — aus der Fremde — an die alte Bärbel, an seine Heranwachsenden Mädchen, ja sogar an die Mägde in der Mühle. Von wem konnten sie her rühren, als von seiner „Braut"! Die mußte nun ja bald selbst anlangen, um die Herrschaft im Hause zu übernehmen. Pflegte er sie doch als das uner reichbare Muster einer vollkommenen Hausfrau anzu führen und bei jeder Gelegenheit auf sie hinzuweisen: „DaS würde meine Marianne so machen! — DaS thäte meine Marianne nicht leiden! — Das kann doch keine wie meine Marianne!" und Aehn- licheS mehr. Als nun eine Enkelin der Gräfin, jene im Beginn der Revolution geborene Comtesse von der Leyen, in die Familie des Kaisers "Napoleon, und zwar den nächsten Verwandten der Kaiserin Josephine heirathete,