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Abschied der Schwester am Morgen eine so heftige Gemüthsbewegung hcrvorrief, daß sie stnndenlang auf ihrem Schlafzimmer in Thränen aufgelöst verweilt hatte, erschien jetzt im Wohnzimmer. Am gemein schaftlichen Mahl betheiligtc sie sich aber heute nicht, „sie könne nicht essen" äußerte sic auf das wieder holte Zureden der Mutter. Johanna glich iin Aeußern ihrer Schwester Nora, doch waren die Formen ihres Gesichts nicht so regel mäßig als bei jener. Immerhin war sie mit ihren zwanzig Jahren, den großen dunklen Angen und dem feingeschnittenen Mund eine anziehende Erscheinung. Einfach und anspruchslos erzogen, von einer klugen Mutter und tüchtigen Hausfrau in allen Zweigen des Hauswesens ausgebildet, war sie wohl geeignet, einen Mann glücklich zu machen. Um vier Uhr, als es zu dunkeln begann, kehrte der alte Bormann mit der Post zurück. Sein am Morgen schon düsteres Antlitz war inzwischen noch nm einige Grade finsterer geworden. „Wissen Sic'S schon, Herr Postmeister," wandte er sich, nachdem er die Postbeutel abgeliefert, an seinen Borgesetzte», „im kommenden Herbst soll die Personen - post von Bergkirchen nach Bad X aufgehoben und ins dahin eine Bahn gebaut werden? Ich hab'S in X gehört." Röder nickte. „Ich habe heute Morgen auch die Mittheilung von oben erhalten. Vesen Sie mit Muße das iange Schriftstück durch, die Bahuangelegenheil ist auch für Sie von hochwichtiger Bedeutung," damit schob er Bormann eine lange Verfügung der obersten Postbehörde zu. Der alte Bormann zog seine Brille aus der Tasche, ließ sich auf einen Stuhl nieder und begann zu lese» und je weiter er sich in das Schriftstück ver tiefte, desto bekümmerter wurden seine Mienen. Als er nach reichlich zehn Minuten das Schriftstück aus der Hand legte, seufzte er tief. „Run, was sagen Sie dazu," wandte sich der Postmeister, welcher die eingegangenen Postsachen in zwischen sortirt und in die Bücher eingetragen hatte, an den vor sich hinstarrenden Alten. „Habe ich's nicht immer gesagt, daß sic auch unsere friedlich-stille Gegend über kurz oder lang mit einer Bahn beglücken würden?" Der Alte schüttelte mißgelaunt den Kopf. „War das denn nöthig? Genügte denn die Post nicht voll kommen den Anforderungen des Verkehrs?" „Na freilich, aber heute will ja jedes elende Dorf „seine" Eisenbahn haben", erwiderte der Postmeister. „Und mich will man ohne Weiteres mit ein p>.ar Thalern in den Ruhestand schicken", klagte der Alte. „Was soll ich dainit anfangcn? Zu schwerer körper licher Arbeit taugen meine alten Knochen nicht mehr, und wie soll ich den Tag hinbringen, wo ich doch daran gewöhnt bin, alle Tage die Post zu begleiten .. ich glaube, ich überleb's uicht, Herr Postmeister. Wen» man, wie ich, 40 Jahre regelmäßig gefahren und in der gewissenhaften Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten den einzigen Ablciter seines Kummers gefunden hat, dann giebt's, wenn man Plötzlich aus dem alten Ge leise geworfen wird, da drinnen einen Ruck und Schlag, von dem man sich nicht wieder erholt, 's Leben hat für mich keinen Werth, wenn ich nicht mehr schaffen kann." „Ich glaub'S Ihnen gern, Bormann. Auch ich möchte nicht leben ohne Arbeit. Aber was ist dagegen zu machen, wenn sic da oben einen in den Ruhestand versetzen? Nichts! Sie sind der letzte Postschirrmeister in unserm Bezirk, und auch wohl im ganzen Reiche. Nun an der Aushebung der Personenpost nichts mehr zu ändern ist, so hören Sie denn, daß man dieselbe gewissermaßen nur mit Rücksicht auf Ihre Person noch so lange hat fortbestchcn lassen. Schon vor fünf Jahren wurde beabsichtigt, die Post in eine solche ohne Begleitung eines Conducteurs umzuwandeln und Sic zu Pension iren. Ich sollte mich gutachtlich darüber äußern, ob dem etwaige Bedenken entgegenständen. Nach Lage der Sache konnte ich mir mit „nein" antivorten, denn der Verkehr der Reisenden hat nicht zu-, sondern abgenommen, seitdem das Bad X und die Stadt Z jenseits des Gebirges von H aus mit der Bahn zu erreichen ist. Die Sache hat mir da mals mehrere schlaflose "Nächte verursacht, denn ich wußte, daß das Einziehen Ihrer Stelle und Ihre Pensionirung Ihnen sehr nahe gehen würde. Anderer seits war cs meine Pflicht, das Interesse der Ver waltung zu wahren. Ich schwieg gegen Sie über die Sache, um Sie nicht zu beunruhigen und erwähnte derselben nur gegen einige Herren im Orte, auf deren Verschwiegenheit ich rechnen konnte. Kurz, diese Herren haben damals eine Petition an die obere Behörde gerichtet, worin sie unter allerhand Schein gründen uin die Beibehaltung der Post unter Ihrer Führung dringend baten. WaS ich kaum erwartet habe, traf ein, die Behörde sistirte auf jene Petition hin die Umwandlung der Post und Sie blieben ini Amte. Ich schwieg auch jetzt noch gegen Sie, weil die Behörde sich nicht zu einer definitiven, sondern nur aufschubwciscn Beibehaltung der Post verstehen Ivolltc; die Sache blieb also schwebend und Sie wür den, hatte ich Ihnen alles erzählt, aus der Benn ruhigung nicht herauSgekommcn sein. Nehmen Sie das Factum ruhig hin, Sie haben lange genug dem Staate gedient; für eine passende Beschäftigung wird sich bis zu Ihrem Abgang wohl noch ein Ausweg finden. Wir Alten können nur schweigend zusehen, neue Zeiten bringen neue Einrichtungen! Stück für Stück bröckelt vom Alten ab — bald wird's gar keine Posten mehr geben und statt des schmetternden Horu- signals und der Lieder des „Schwagers" Postillon werden die Reisenden nur noch ohrenbetäubende pfeif ende und kreischende Töne der Dampfmaschinen ver nehmen. Die Poesie des Reisens ist dahin, die Men schen werden wie die Sprachen beim Thnrmbau zu Babel durchciuauder gewirdelt und wer bei dem ruhe losen Treiben nicht seine Ellenbogen gehörig gebrauchen kann, geht unter in dem Hasten und Jagen nach Ansehen, Reichthum und Wohlleben." Der alte Bormann nickte. „Ja, ja, so ist's. Wir Alten sind überflüssig, weil wir nicht Schritt halten können und mögen mit den Jungen. Na, lange hälts nicht mehr zusammen da drinnen, und das ist auch mein Trost . . . zum Faullenzen passe ich nicht. Und wenn unser Herrgott bald zum Rück zug blaseu läßt . . . mir soll'S recht sein ; um mich alten Knaben weint weder Frau noch Kind." „Nur nicht solche Gedanken, Bormann," beschwich tigte der Postmeister. „Was wissen Sie, ob man sich nicht einst um Sie grämen wird? Gerade Ihnen gönnt Jeder hier noch einen ruhigen heiteren Lebens abend." „Das ist vorbei, lange vorbei! Wer das erlebt, was ich eriebt habe, wird seines Lebens nie wieder froh. Mein einziger Wunsch ist schon lange gewesen, gleich >vie ein Soldat im Felde, in meinem Berufe zu sterben und daß mit dem letzten Ton meiner ein zigen Trostspenderin unser Herrgott meine Seele zu sich nehmen möge. Adieu, Herr Postmeister, dieser Tag hat den alten Wuuden da driuuen wieder zwei neue zngesetlt. "Nun wird's der Herrgott droben hoffentlich bald stille stehen lassen. Adieu!" Wie gebrochen wankte dcv> biedere Alte hinaus und schritt gesenkten Hauptes nach seinem kleinen Hänschen in der Nähe, in dem ein kaltes ungeheiztes Zimmer und ein leerer Tisch seiner wartete. Keine liebende Hand schaffte ja mehr für ihn daheim, wenn er starr vor Kälte von der langen Fahrt zurückkehrte; er war auf sich allein angewiesen. Mit zitternden Händen zündete er die Lampe an und warf dann Holz in den kleinen Ofen, um auf dem prasselnden Feuer sei» karges Abendbrot zu kochen. Als er dasselbe eingenommen, griff er nach seiner ge liebten Trompete, welche er stets an einen Nagel über dein Tisch an die Wand hing, und bald ertönte in leisen "Rhythmen die Melodie des Liedes Dort unten ist Frieden im dunkle» Haus, Da schlummert der Müde, da ruht er aus. Und schlief er im Schlummer des Abends ein, l5s weitet ihn nimmer der Frühe Schein. (Fortsetzung folgt.) An die unrichtige Adresse. Militär-Humoreske von Peter v. Hohenfels. Jahre sind vergangen, seitdem ich als schmucker Husaren-Licutenant bei dem I. Schlesischen Husarcn- Regiment Nr. 4 in Strehlen in Garnison stand. Es ist gewiß nicht abzuleugnen, daß das Soldaten- Lebcn durchweg ein recht fideles ist, aber fideler als bei „unseren Husaren" konnte und wird es auch nirgends sein. Wie iachte uns das Herz in der verschnürten Brust, wen» wir in aller Frühe mit schmetternder Musik zum Thore des Städtchens hinausrückten. Mochte eS noch so früh sein wie es wollte, überall au den Fenstern sab man niedliche Gesichter mit blauen, braunen oder sonstfarbigen Augen, die in süßem Schlummer verworrenen sammctweichen Locken waren eilig unter eine leichte Morgenhaube gesteckt worden und hier und da lugte ein schneeiger Arm hinter halb zurückgezogenen Gardinen hervor. In den Hausthürcn standen die diversen Küchen feen, oder wie unsere Husaren dieselben stets recht drastisch bezeichneten, „unsere Küchendragoner" mit Wasscrkanncn und Wasscrcimern, um in früher Stunde daö für den Tag nöthigc Wasser vom Brunnen zu holen. Aber nur das leiseste Signal machte die Mädels aufjauchzcn, denn in Strehlen dienen, und keinen Husaren zum Schatz haben, wäre gewiß eine Schande gewesen. Und was hatten wir auch für prachtvolle Jungens in unserer Schwadron; obgleich viel Polackcn, so waren cs doch Alle wirklich stramme Burschen. Welch ein Genuß muß cs jedesmal für die Küchen fee des Bürgermeisters Schmidt gewesen sein, wenn Stanislaus Protzkow, der schmucke und stets hungcrige Gefreite der ersten EScadron in ihr trautes Revier cinporklimmte. „Nun, Jeanettchen, Du mir liebes Schatz? Mir bist lustig und Dein gut, best' Stanislaus hungrig und durstig!" „Ach, mein Schatz," rief Jeanettchen und hing am Halse ihres fest und steif stehenden Polacken. „Bist mich gut! Mädel? Ich Dir lieb' bin!" rief Stanislaus und grinste dabei schon nach dein Küchcnschrank, ob Jeanettchen ihm nicht irgend einen guten, aber auch nicht zu kleinen Bissen aufgehoben habe. „Hast Du Hunger, mein Stanislaus?" DaS Gesicht des Polacken verzerrte sich zu eiuem Grinsen, dem Ausdruck des vollsten Entzücken«, aber verschämt blinzelt er zu Jeanettchen hinüber, die sich währenddem schon mit der Bratcuschüssel und einer umfangreichen Weißbrodschnittc zu schaffen macht. Stanisiaus seufzte: „Bist mich gut' Mädel. Ich Dir lieb bin!" während aber auch schon seine Rechte nach der recht appetitlich zubercitetcn Brodschnitte langte. Ob in den Ohren des Stanislaus das Signal „Galopp" erschallte, weiß ich nicht, aber das weiß ich, im Galopp war die Liebesgabe JcanettchcnS ver zehrt und wieder überflog dasselbe vergnügte Grinsen das rothe Gesicht des Polacken, während er anscheinend verliebt flötete: „Bist mich gut' Mädel. Ich Dir lieb bin!" Jeanettchen freute sich uud Stanislaus auch; Jeanettchen streichelte ihrem Schatz die schlecht rasirte Wange und Stanislaus tätschelte die rosige Hand IcanettchenS, beide aber schwiegen. So konnten sie wohl schweigend und kosend ein Stündchen gesessen haben, als der Zapfenstreich den lieben, süßen Stanis laus zu Bette rief. „Schütz' Dich lieb' Herrgott! Bist mich gut' Mädel. Ich Dir lieb bitt! rief Stanislaus; ein kräftiger Kuß und der liebe Schatz stürmte säbel rasselnd die Treppe hinunter. Aber kaum an der Hausthür angelaugt, kehrte er nochmals nm, steckte den ewig grinsenden, rosig angehauchten Kopf zur Küchenthür herein und rief: „Bist mich gut' Mädel. Ich Dir lieb bin. Gehe fick Tanz morge!" und fort war er. » * * Für den andern Tag hatte der Herr Bürgermeister eine kleine Gesellschaft zum Thee zu sich geladen und so war es unmöglich, daß Jeanettchen mit ihrem Stanislaus „gehe sich Tanz morge!" — Auch ich war zu der Theegcscllschaft geladen und machte mich auf den Weg nach der Wohnung des Herrn Bürgermeister Schmidt. Jeanettchen, die schöne Küchenfee stand wie auf Kohlen vor dem Herde und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit, ob sic nicht Säbclgeklirrc vernehme. Endlich hört sie das bekannte Gerassel, sie nimmt schnell ein saftiges Stück Braten und ein blankes Markstück, eilt hinaus und trifft auf der schlecht be leuchteten Treppe ihren vermeintlichen „Stanislaus," dem sie einen kräftigen Kuß applicirt, Braten und Markstück in die Hände drückt und ihn dann mit einem kräftigen Ruck die Stiege hinunterschiebt, mit den Worten: „Mach', daß Du fortkommst, heut' hab' ich keine Zeit; laß Dir's gut schmecken und trink ein paar Glas Bier ans mein Wohl!" Beruhigt eilte Jeanettchen wieder an ihre Arbeit, nicht ahnend, daß sie ihre Liebesgaben mir gegeben, der ich zum Souper geladen war. Während ich, der so unerwartet Beschenkte an der Thür stand und das Bescheerte betrachtete, ging die Hausthür auf und „Stanislaus" trat ein, um nach „lieb' gut' Mädel" zu scheu. Verblüfft blieb er vor mir wie ein armer Sünder stehen und legte mir auf Befragen ein unumwundenes Geständnis! ab, inveni er mit den Worten schloß: „Bestes Herr Leitnant! Ist sich gut' Mädel! Ich lieb hab' Mädel!" Wobei ein seliges Grinsen sein Gesicht überflog. Nun war es mir klar, wem die Gaben vermeint waren, und ich händigte sie dem biederen Polacken mit den Worten aus: „Hier haben Sie den Braten und das Markstück; das Ändere, was ich noch bekommen h-be, kann ich Ihnen leider nicht geben!" und gierig griff Stanis laus nach der Liebesgabe, wobei sein Gesicht wieder das unvermeidliche glückselige Grinsen überflog. Ehe der Beschenkte jedoch „Kehrt" machte, stam melte er: „Bist sich best' Herr Leitnant! Ist sich gut' Mädel! Ich lieb' bin Mädel!" Ich machte eine abwehrende Handbewegung; Stanislaus verließ vergnügt das Haus und ich stieg nochmals die Treppe empor zur Wohnung des Herrn Bürgermeister Schmidt. Nachdem ich die Glocke gezogen, öffnete mir das uicht unschöne Jeanettchen und mit einem: „Guten Abend, Herr Leutnant!" ließ sic mich cintreten, nicht ahnend, daß sie mich vor wenigen Minuten nicht gar zu sanft fast zum Hause hinausgcworfen hatte. Noch an demselben Abend, als der genossene Wein alle Geladenen in die gemüthlichstc Stimmung ver setzt hatte, gab ich mein interessantes Abenteuer unter allgemeiner Heiterkeit zum Besten und freue mich heute noch, daß ich mich so ost überzeugt habe, wie viel und feurig unsere schmucken Husaren geliebt werden. „Ja, ja, Stanislaus!" ruf auch ich noch heute: „Sind sich gut' Mädel! Ich auch bin lieb' Mädel!" Druck und Verlag von E. Hannebotzn in Eibenstock.