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inngrei, Weberei Appretur .Ä: CA Die Baumwoll-Industrie in Russland. Nachdruck verboten. leim man den offiziellen Berichten Glauben beimessen kann, so hat die Baumwoll - Industrie in Rufsland in den letzten Jahren ganz bedeutende Fortschritte gemacht. Anstatt 350 000 Spindeln im Jahre 1845 besitzt Rufsland heute 5 1 / 2 Millionen. Aufserdem — mit Ausnahme der Spinnmaschinen und der dazu gehörigen Spezial-Werkzeuge — fabriziert man heute im russischen Reiche Web stühle, Appretur- und Druckerei-Maschinen, und die Zeit ist sicherlich nicht mehr ferne, dafs man dort auch die zum Betriebe sämtlicher Maschinen erforderlichen Motore, welche heute noch vom Auslande bezogen werden, selbst fabriziert. Was das Rohmaterial anbetrifft, so strebt Rufsland mehr und mehr, nur das vom Aus lande zu beziehen, was es heute auf seinen ausgedehnten Gebieten noch nicht selbst er zeugen kann. Augenblicklich ist bereits mehr als ein viertel der in Rufsland verarbeiteten Baumwolle nationales Produkt aus dem Kau kasus und aus den russischen Provinzen in Zentral-Asien. Es mufs jedoch dabei erwähnt werden, dafs die Baumwolle aus diesen Re gionen (Khiva, Boukhara, Samarkand, Tasch kent und auch aus dem Kaukasus) noch sehr unvollkommen ist, sie ist kurzfaserig und nähert sich in der Qualität derjenigen Ost-Indiens. In der Provinz Taschkent sind jedoch nun Versuche mit amerikanischen Samen gemacht worden, und ist die daraus erzeugte Baumwolle ebenso schön, wenn nicht besser, als das Pro dukt der Vereinigten Staaten. Infolge der Schutzmafsregeln der kaiser lichen Regierung haben die Baumwoll - Pflan zungen bereits eine gewaltige Ausdehnung er reicht; während dieselben 1887 61000 Däfs- jatinen (k 11 Quadrat - Kilometer) bedeckten, nahmen sie 1893 schon einen Flächenraum von 136 000 Däfsjatinen ein, und aus den letzten statistischen Berichten geht hervor, dafs in Turkestan nunmehr 2 200 000 Däfsjatinen für die Baumwollkultur bestimmt sind, deren gröfsere Hälfte bereits trocken gelegt und zur Bepflanzung fertiggestellt wurde. Wenn man nun annimmt, dafs nur der vierte Teil dieser Flächen jährlich besäet werden kann, so er hält man schon ein Resultat, welches die obigen ersten Zahlen um das 27 fache übersteigen. Ferner sind neue Baumwoll-Plantagen in Trans- kaukasien und im Gouvernement Erivan an gelegt worden, welche heute bereits ein jähr liches Produkt von 600000 Pud (k 16 l /a Kilo) Baumwolle liefern. Die russischen Baumwollfabriken verarbeiten heute circa 12 '/ 2 Millionen Pud Baumwolle jährlich (= 204 750 Millionen Kilogramm) oder den zehnten Teil der Gesamt-Baumwoll-Pro duktion von Europa und Amerika. Bis jetzt wird natürlich der gröfste Teil dieses Konsums (circa 9 Millionen Pud) noch aus dem Aus lande bezogen und waren Amerika und Ägypten die Hauptlieferanten, ebenso Ost-Indien und Persien. Ein grofser Teil der in Rufsland fabrizierten Baumwoll-Gewebe geht ins Ausland, China, Rumänien, Türkei, Persien sind Abnehmer in immer steigendem Umfange. Namentlich nach Persien wächst die Ausfuhr in den letzten Jahren ununterbrochen, und man kann heute bereits konstatieren, dafs mindestens ein Drittel der auf den persischen Märkten in Verkauf kommenden Baumwollzeuge russischen Ur sprungs ist. Dieser Erfolg des russischen Handels ist um so schmeichelhafter für die Erzeugnisse des Reiches, als gerade in den persischen Provinzen der Wettbewerb mit dem englischen Handel ein äufserst scharfer ist. Dabei hatten die Engländer sehr zu ihrem Vorteil einen internationalen Baumwollenmarkt wie Liverpool in der Nähe, auf dem sie nach Belieben ihren Bedarf an Rohmaterial decken konnten, während die russischen Fabrikanten gezwungen sind, bedeutende Vorräte zu halten und darin beträchtliche Kapitalien für längere Zeit tot liegen zu lassen. Ferner profitier ten die Engländer von den niedrigen See frachten, während der russische Fabrikant seine Erzeugnisse auf dem Landwege auf un geheuere Entfernungen versenden inufs. Wenn man dann endlich berücksichtigt, dafs die Engländer noch durch den niedrigen Preis des Heizmaterials, durch den Vorsprung in der Ver vollkommnung der Maschinen und durch den Gebrauch eines sehr gut geschulten Arbeiter personals im Voteil sind, so mufs man zugeben, dafs die russische Industrie Erstaunliches ge leistet hat, um sich auf einem von dem Aus landshandel eroberten Terrain eine solche feste und unabhängige Position zu schaffen. Um die Leistung in der Produktion von Baumwollgeweben in Rufsland beurteilen zu können, mufs man berücksichtigen, dafs die Stühle Tag und Nacht laufen, denn infolge 468 der billigen Arbeitslöhne unterhalten die Fabri kanten ein doppeltes Arbeitspersonal und "er zielen dadurch auch eine doppelte Produktion. Im Jahre 1892 betrug die Gesamt-Arbeiterzahl der Baumwoll-Industrie 224 000 Personen. Niedrige Baumwoll-Preise. ie Thatsache, dafs Roh-Baumwolle wäh rend der letzten Tage und Wochen auf eine noch nicht dagewesen nie drige Preisbasis gesunken ist, sowie die Vor aussicht, dafs der anscheinend alle Erwartungen übersteigende Ertrag der neuen Baumwoll-Ernte | einen äufserst niedrigen Durchschnittspreis für | das Jahresprodukt zur Folge haben wird, lenkt • von neuem die Aufmerksamkeit auf die Situa- [ tion der Baumwoll - Produzenten in den Süd staaten Nordamerikas. Bekanntlich haben die selben die schon früher versuchte Agitation er neuert, sämtliche Pflanzer zu einem gemein samen Vorgehen dahin zu veranlassen, dafs sie ^ren Ernteertrag nicht sofort nach Einheim- sung auf den Markt werfen, ihre Baumwolle vielmehr möglichst lange aus dem Markte hal ten und sich gleichzeitig für nächstes Jahr zu Minder-Anpflanzung von Baumwolle verpflich ten, um auf diese Weise die Preise wenigstens vor noch weiterem Sinken zu bewahren. Für den Erfolg der Agitation ist der neueste Preis sturz wenig verheifsungsvoll. Von einflufsreicher Seite wird — nach der „New Yorker Handels- Zeitung“ — sogar behauptet, dafs für die Zu kunft überhaupt nur niedrige Baumwollpreise zu erwarten seien, sowie dafs eine niedrige Preisbasis für die Baumwollkultur des Südens nicht nur vorteilhaft, sondern sogar notwendig sei. Die dortigen Produzenten sollten sich da her bemühen, in diese Thatsache, wenn sie ihnen auch noch so unbequem ist, sich bald möglichst hineinzufinden. So heifst es in einem bemerkenswerten Ar tikel des Baltimorer „ Manufacturer’s Record“: Die Zeit ist vorbei, in der man von gemein samem Vorgehen zur Erzielung höherer Preise noch Erfolg erwarten konnte. Solche Versuche, besonders auch zum Zweck der Beschränkung des Pflanz-Areals, haben sich noch regelmäfsig als vergeblich erwiesen. Es scheint immer genug Pflanzer zu geben, die solche Gelegen heit benutzen, um anstatt weniger noch mehr Baumwolle als vorher zu pflanzen, indem sie sich darauf verlassen, ihre Nachbarn oder an-