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No. 1. VOLLDAMPF“, DEUTSCHE MONATSSCHRIFT FUER HANDEL UND INDUSTRIE. VI. Jahrg. Damit beginnt der Kreislauf von neuem und zunächst der Anfang der erhofften besseren Zeit. Noch sind wir zwar ohne öffentliche Kennt nis der Mafsnahmen, welche man gegen ameri kanische Anmafsungen für nötig erachtet, noch verlautet nichts über die Vorbereitungen zum deutsch-englischen Handelsvertrag; die bereits nach fast allen Richtungen angestellten Er hebungen aber lassen darauf schliefsen, dafs man das Interesse der Industrie und damit das der Landwirtschaft, des gesamten Volkswohles und der Steuerkraft energisch vertreten wird. Nach Ansicht praktischer und für unser wirtschaftliches Dasein besorgter Männer ist allerdings schon viel verlorene Zeit zu beklagen, wäre ungesäumt ein imponierendes Eingreifen geboten gewesen gegenüber den demütigenden und entwürdigenden nordamerikanischen Zoll plackereien und 'ein sofortiges Begegnen mit gleichen Mafsregeln bei der endlichen Durch führung der Dingleybill. Während wir mit „Gewehr ab“ stehen, ist schon manches Opfer gefallen, das wir sonst nicht hätten stürzen sehen. Im neuen Jahre aber können wir wohl er warten, dafs nicht erst eine Abschliefsung des britischen Landes und seiner Kolonieen mit vor herigem, rasch vorübergehendem Aufschwung stattfinden, sondern eine allgemeine und durch greifende Besserung der Lage der deutschen Industrie erzielt wird. Eine Festlegung der Einfuhrzölle durch bindende Handelsverträge mit den hauptsächlichsten Exportländern auf Jahrzehnte hinaus, ist nicht nur wünschenswert sondern auch dringend geboten. Deutscher Fleifs und Regsamkeit haben mit gewerblicher VervollkommnungSchritt gehalten, deutscher Unternehmungsgeist hat breite Bahn gebrochen; handelspolitischer Schutz thut aber not, erst dann können wir auf dem betretenen Weg wieder weiter vorschreiten zum Heil des ganzen Deutschen Reichs. % Uber die verzweifelte Lage des Baumwollmarktes berichtet die New-Yorker Handelszeitung wie folgt: Die verzweifelte Lage des Baumwollmarktes welche sich in der herrschenden Demoralisation der Preise der Baumwollfabrikate und in dem Notstände der Baumwollindustrie geltend macht hat endlich sämtliche Interessenten der Grofs- industrie zur Erkenntnis gebracht, dafs Mittel radikalen Charakters ergriffen werden müssen, um die Situation zu bessern. Die Depression ist keine zufällige, sondern ergiebt sich mit Not wendigkeit aus der Überproduktion der Baum wolle. Letztere ist über das wirkliche Bedürfnis im Markte, und kann daher unmöglich lohnende Preise bringen. Um die Lage ins Auge zu fassen und Rettungsmafsregeln zu ergreifen, wird in der nächsten Woche in Memphis ein Na tionalkonvent der Baumwollpflanzer tagen. In zwischen hat in dieser Woche in Atlanta, Geor gia, eine Vorverhandlung der Baumwollpflanzer von Georgia und Alabama stattgefunden, in welcher man sich darüber einigte, dafs das Grund übel der Baumwollindustrie in der kolossalen Pflanzung von Baumwolle zu finden sei, mit einem Ergebnis von über 10 500 000 Ballen in diesem Jahre. Im Jahre 1895 wurde, gestützt auf die Erfahrungen des vorhergehenden Jahres, die Kultur von B.. umwolle systematisch vermin dert. Seitdem ist aber die Lehre der Vergangen heit wieder in Vergessenheit geraten, und die Baumwollstaaten haben durch Vernachlässigung des Baues von Korn und der Viehzucht gedan kenlos Baumwolle gepflanzt, so dafs in diesem Jahre eine Ernte vorliegt, welche in keinem früheren Jahre erreicht worden ist. Unter dem Druck der herrschenden Verhältnisse sind nun die grofsen Spinner in den Neu-England-Staaten übereingekommen, ihre Lohnskala zu revidieren, und zwar in der Weise, dafs in Zukunft eine Reduktion von 11 9 /i o Prozent beschlossen wurde. Diese Reduktion trifft nicht nur die Arbeiter, sondern auch sämtliche Verwaltungs- undBureau- beamten. Ob durch diesen Schritt ein Konflikt der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer herauf beschworen werden wird, mufs die nächste Zukunft zeigen. Dafs aber Kraftmittel zur Ret tung der Industrie zur Anwendung gebracht werden müssen, darüber ist man bei der jetzigen Lage einig. Gefälschte Seidenstoffe. nter dieser Marke bringt die New Yorker „Handels-Zeitung“ einen Artikel, wel cher auch für unsere deutsche Seiden industrie von gröfstem Interesse ist, da er Winke enthält, welche von den Fabrikanten beherzigt werden sollten. — Seitens hiesiger Importeure — so heilst es in jenem Artikel — werden anhaltend Klagen über die verwerfliche Handlungsweise europäischer und besonders schweizer Fabrikanten laut, welche Seidenstoffe auf den hiesigen Markt abladen, die zwar ein gutes Aussehen haben, sich bei näherer Unter suchung jedoch als durch künstliche Beschwe rung gefälscht erweisen und für Gebrauch fast wertlos sind. Diese Stoffe werden entweder beim Färben künstlich schwerer und voller aussehend gemacht. Indem der Seidenfaden einen starken Zusatz von Farbstoff erhält, oder auch beim Appretieren wird der Stoff durch einen, meist aus Gummi bestehenden Zusatz, künstlich beschwert und ihm zugleich ein schönes und glänzendes Aussehen verliehen. Und je mehr der Färber und Appreteur dem Seidenstoff von solchem fremden Material hinzuzufügen und dadurch Gewicht und Aussehen zu verbessern vermag, um so höher wird drüben seine Kunstfertigkeit geschätzt. Natürlich verliert ein so behandelter 20 Seidenstoff in Händen des Konsumenten bald sein gutes Aussehen und da er im Gebrauch zerreifst und auseinander fällt, wird der Kon sument leicht gegen Seide als Kleidermaterial überhaupt eingenommen, was auf die Dauer nur zum Nachteil der ganzen Seiden-Industrie wirken kann. Gerade in letzter Zeit werden über das un solide und für den Handel schädliche Verfah ren gewisser europäischer Seidenfabrikanten mehr Klagen wie je laut, und besonders schei nen es schweizer Fabrikate zu sein, die zu sol chen Klagen Anlafs geben. Infolge dessen macht sich seitens der Kunden bereits auch ein ge wisses Mifstrauen geltend, sowie sie hören, die vorgelegte Ware sei schweizer Fabrikat. That- sächlich sind die schweizer Fabrikanten nicht die einzigen Schuldigen, sondern auch in Frank reich und Deutschland wird die verderbliche Praxis der künstlichen Gewichtsvermehrung von Seidenstoffen immer mehr gehandhäbt. Nicht: wie billig läfst sich eine Ware herstellen? wird dort gefragt, sondern: welch gutes Aussehen läfst sich ihr geben ? Und um letzteren Zweck zu erreichen, werden alle möglichen künstlichen Mittel angewendet, die dazu bestimmt sind, den Konsumenten zu täuschen und der Ware den Anschein einer besseren Qualität zu geben, als sie solche thatsächlich besitzt. Sofern diesem Übel nicht auf irgendeine Weise Einhalt gethan wird, ist zu befürchten, dafs Seiden waren die Popularität, welche sie, des billigeren Preises wegen, in letzten Jahren gewonnen haben, wieder einbüfsen und Wollen- und Kammgarnstoffe wieder für Kleiderzwecke werden bevorzugt werden. Im Interesse des Handels im allgemeinen, wie im Interesse jedes einzelnen Händlers sollte darauf gedrungen wer den, dafs jeder Käufer von Seidenstoffen, sei er Jobber, Detaillist oder Konsument, eine Ga rantie erhält, dafs bei Färbung und Appretie- rung der Ware keine künstliche und unreelle Manipuliei’ung vorgenommen worden sei. Sei tens der schweizer Fabrikanten scheint neuer dings auch der als „dynamite dye“ bekannte Farbstoff wieder in Anwendung zu kommen, denn sowohl wir als andere Firmen haben j bezügliche Sendungen erhalten, die solchen Ver dacht erwecken. Unter den Detaillisten macht sich daher auch bereits eine Bewegung geltend, derzufolge sich dieselben gegen Verluste schützen wollen, die ihnen aus berechtigten Klagen erwachsen, so fern bei ihnen gekaufte Seidenstoffe sich wegen Fälschung als unbefriedigend erweisen. In sol chen Fällen beabsichtigen leitende Firmen fer nerhin den Verkäufer, von dem sie die Ware bezogen haben, für den vollen Verlust haftbar zu machen, der ihnen durch Zurückzahlung des Kaufgeldes incl. event. der Kosten für Ma cherlohn, entsteht.