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Stimme geltend machen zu können, damit nicht nur dem nationalen Fort schritt auf dem Gebiete des Welthandels kein Einhalt geboten werden kann, sondern auch im Falle von Eventualitäten, die mit einem Schlage gröfsere Absatzgebiete eröffnen würden, ein nachdrücklicher Eingriff möglich ist. Wer heute durch die Welt blickt und sieht, auf wie schwachen Füfsen der Schutz für die enormen deutschen Handelsinteressen im Auslande steht, der mufs notwendigerweise zu dem Schlufs kommen, dafs ein bedeutender Aufwand nötig ist, um da die absolut erforderliche Besserung zu schaffen. Der Seehandel repräsentiert im weitaus gröfsten Mafse den Welthandel, die Allgemeinheit des Völkerverkehrs. Der heimatliche Handel ist nur ein Teil des geschäftlichen Verkehrs eines Landes-, das eine Seeküste besitzt. Notwendige oder Luxusgegenstände werden aus fremden Ländern nach seinen Häfen gebracht, und im Austausch dafür nehmen die Schiffe die Produkte des Landes zurück. Es giebt kein beredteres Zeugnis für die stetig wach sende, industrielle und kommerzielle Entwickelung Deutschlands als die von Jahr zu Jahr steigenden Zahlen, welche die Aus- und Einfuhr der deutschen Seehandels-Städte darstellen und die immer gröfsere Ausdehnung, welche die deutsche Handelsmarine gewinnt. Hamburg hat Liverpool über flügelt und ist heute nach London der gröfste Handelsplatz der Welt, und Hamburg hat in der Hamburg - Amerika - Linie das gröfste Dampfschiffs unternehmen, welches existiert, und das, obwohl es nie eine Staatsunter stützung erhielt, die Rivalen aller Nationen einschliefslich Englands ge schlagen hat. Was bedeutet das aber? Doch nur, dafs sich die deutsche Industrie und der deutsche Handel in gleichem Mafse gehoben haben, dafs sich Spindeln drehen, Maschinen unablässig arbeiten und Millionen loh nende Beschäftigung finden. Der beste Beweis dafür ist wieder, dafs die Auswanderung aus Deutschland im letzten Jahrzehnt bedeutend zurück gegangen und jetzt auf ein Minimum gesunken ist. Lohnende Beschäftigung für die Industriearbeiter macht sich aber in allen Kreisen geltend. Sie bringt wieder einen guten Absatz für landwirtschaftliche Produkte mit sich und bedingt den Grundwert in Stadt und Land. Das bedeutet es, wenn die Flotte unserer Handelsschiffe vollbeladen aus den Häfen zieht. Der Besitz einer grofsen Handelsflotte erstarkt in jeder Nation das Selbstgefühl, welches aus einer gesunden Rivalität mit anderen konkurrierenden Ländern erwächst; er verschafft ihr im Falle eines Krieges zwischen anderen Na tionen einen sicheren Transport ihrer Ausfuhrgüter, da er sie vor der Gefahr schützt, sich auf fremde Schiffe verlassen zu müssen, die gekapert und kon fisziert werden können. Die Schifahrt bereichert nicht nur das Heimats land, sondern fördert und dehnt auch den Einflufs eines Landes weit über seine Grenzen hinaus und in viel höherem Grade aus, als dies irgendeine andere Thätigkeit zu thun imstande ist. Sie bringt neue Ideen und frisches Leben in eine Nation und belebt und erstarkt ihre internationalen Bezie hungen. Die Flagge, die an der Mastspitze eines Schiffes weht, versinnlicht die Individualität eines Landes und legt, wo immer es auch sei, Zeugnis ab von seiner Macht. Im allgemeinen wird die Marine im Volk als eine Kriegsmaschine an gesehen, über deren Thätigkeit und Wirksamkeit die Ansichten geteilt sind, während sie im Frieden für einen kostspieligen Luxus gehalten wird, der höchstens dadurch manchmal Rechfertigung findet, dafs auf die allbekannte, staatsmännische Maxime hingewiesen wird: „Si vis pacem para bellum.“ Dafs eine Flotte aber noch viele andere Aufgaben hat und in der Tliat im innigsten Zusammenhänge mit der wirtschaftlichen Entwickelung eines Volkes steht, wird selten in Betracht gezogen. Vor allem ist wohl die Schiffahrt eines Landes, durch welche es direkt im Welthandel reprä sentiert ist, zum selben Schutz berechtigt, den der Bürger im Lande selbst für sein Eigentum geniefst. Der Rheder selbst kann sich einen solchen Schutz nicht schaffen, auch die Heimats-Häfenstadt kann ihn ihm nicht geben; eine Deutschlands und seines umfassenden Seehandels würdige Kriegsflotte ist ein viel zu gewal tiges Unternehmen, als dafs es auf anderem als nationalem Wege verwirk licht werden könnte. Hier kann nur die Nation unter Heranziehung der ihr zu Gebote stehenden Mittel das leisten, was die Lage der Dinge er fordert. Die Kriegsflotte ist eine aus den Bedürfnissen der Handelsflotte und des deutschen Seehandels entspringende Notwendigkeit; wenn Deutsch land keine Handelsmarine hätte, dann brauchte es überhaupt keine Kriegs flotte. An der ununterbrochenen Weiterentwickelung der deutschen Handels flotte und des deutschen Seehandels ist aber ganz Deutschland beteiligt, jeder industrielle Ort, der für den Weltmarkt fabriziert, so weit er auch vom Meere entfernt sein mag, und jeder Bauer, für den dieser Ort wieder sein Markt ist, mufs bis zu seinem Teil, und wenn es es nur ein Scherflein ist, an dem stetigen Ausbau der Flotte und des Handels interessiert sein. Die Entwickelung der Handelsmarine und der Kriegsflotte mufs Hand in Hand gehen, und obwohl zweifelsohne die erstere sich zuerst ausdehnen mufs, so ist es doch ein durch die Geschichte der Völker bewiesener Irr tum, wenn die Seehandels-Interessen nicht durch eine kräftige Kriegsflotte zur Genüge unterstützt werden. George Washington, „pater patriae“, er klärte in seiner Botschaft vom 7. Dezember 1796 an den Kongrefs: „Für einen aktiven Handel nach dem Auslande ist der Schutz einer Kriegsmarine absolut notwendig.“ Und Präsident Andrew Jackson sagte in seiner Ab schiedsadresse an das amerikanische Volk im Jahre 1837: „Keine Nation, so sehr sie auch den Frieden wünsche, kann hoffen, Konflikte mit anderen Mächten zu vermeiden; und eine gesunde Politik gebietet, dafs wir uns in Stand setzen, unsere Rechte zu behaupten, sollte der Gebrauch, von Gewalt jemals nötig werden. Unsere Lage, unser ausgebreiteter und stets wachsen der Handel bezeichnen eine Kriegsflotte als unser wirksamstes Verteidigungs mittel. Das ist unsere richtige Politik. Denn eure Kriegsflotte wird nicht nur euren reichen und blühenden Handel in fernen Meeren beschützen, son dern euch auch befähigen, den Feind zu erreichen und zu schädigen und der Verteidigung ihre gröfste Wirksamkeit geben, indem sie der Gefahr fern von der Heimat begegnet. Wir werden weit sicherer den Frieden bewah ren, wenn es wohlbekannt ist, dafs wir für den Krieg vorbereitet sind.“ Die Kriegsflotte ist die Weltpolizei, welche Achtung vor dem Gesetz in die fernsten Regionen trägt. Es ist ihre Aufgabe, das nationale An sehen im Auslande aufrecht zu erhalten, berechtigte Forderungen mit Nach druck zu unterstützen und zu verhindern, dafs das Vaterland und seine Flagge durch ungerechtfertigtes Vorgehen verletzt und beschimpft werde. Jahrhundertelang war Englands Politik einzig und allein darauf ge richtet, seine Herrschaft zur See auszudehnen und zu stärken, und die üb rigen Nationen Europas waren dem gegenüber geradezu blind. Unter den Augen der -Staatsmänner des Kontinents wurde stetig und sichtlich diese überwältigende Macht aufgebaut, dazu bestimmt, so selbstsüchtig und ag gressiv und viel erfolgreicher benutzt zu werden wie irgendeine, die'ihr je vorangegangen ist. Sö offenbar die Entwickelung aber auch war, so wurde sie - doch kaum beachtet, weil sie viel stiller vor sich ging, als das bei geräuschvollen Armeen der Fall sein kann. Heute unterhält England zum Schutze seines Handels Geschwader in allen Teilen der Welt, während Deutschland, sein Hauptkonkurrent auf dem Gebiete des Welthandels, in ganz Westindien nicht ein Kriegsschiff hat, das einer Negerrepublik den Standpunkt klar machen kann. Unsere Kauffahrteischiffe sollten eine Flagge führen, die Respekt einflöfst. Wenn wir die deutschen Handelsinteressen im Golf von Mexiko in Betracht ziehen, so finden wir, dafs z. B. die Ham burg-Amerika-Linie allein acht verschiedene Linien nach Westindien, der Nordküste von Südamerika und Centralamerika aufrecht erhält, die den Ver kehr zwischen Deutschland und jenen Ländern vermitteln. Sollten diese für den deutschen Handel so wichtigen Interessen fremder Willkür aus- gesetzt sein? Oder betrachten wir den ostasiatischen Handel, wo der Wettbewerb einer der schärfsten ist, und alle Nationen durch Unterhaltung von Kriegs schiffen Unterstützung und Schutz gewähren. Der Anteil Deutschlands an diesem Handel ist einer der bedeutendsten; von Hamburg unterhält die „Kingsin-Linie“ dahin mit einer Flotte von 14 Dampfern eine verläfsliche Verbindung, während der Norddeutsche Lloyd in Bremen, dessen Linien die Welt umspannen, mit grofsartigen und nach neuestem System in Deutsch land erbauten Schiffen eine regelmäfsige Postdampferlinie aufrecht erhält. Dies läfst die grofse Zahl anderer deutschen Frachtdampfer und Segler ganz aufseracht. Wie C. Busleys interessanter Artikel: „Der Kampf um den ostasiatischen Handel“ in der „Marine Rundschau“ vom Juni 1897 an- giebt, hat England auf der ostasiatischen Station nicht weniger als 31 ver schiedene Kriegsschiffe und 6 Torpedoboote versammelt^, welche 510 Ge schütze führen und eine Besatzung von 6760 Mann tragen, während Deutschland mit einem Panzerkreuzer und vier kleineren Kreuzern unter allen vertretenen Mächten erst an siebenter Stelle erscheint. Es dürfte wohl zu weit führen, die Interessensphären Deutschlands in den verschiedenen Teilen der Welt genauer zu untersuchen; überall wo deutscher Handel eine Pflanzstätte gefunden hat, sollte der deutsche Kauf mann und Rheder wissen, dafs das Vaterland ihm prompten Schutz zu ge währen imstande ist. Wenn Deutschland sich weiter auf dem Gebiete des Welthandels entwickeln soll, wird das zum grofsen Teile auf Kosten Eng lands geschehen. Das wird in England wohl empfunden und verstanden und bildet den Anlafs zu der scharfen Animosität gegen Deutschland, die sich in den letzten Jahren bei jeder Gelegenheit gezeigt hat. Der Deut- schenhafs ist darauf zurückzuführen, dafs der britische Händler im Aus lande überall auf die Ware stöfst, die den verabscheuten Aufdruck „Made in Germany“ trägt. Er witzelt darüber, ist aber darum nicht weniger ge reizt und erbittert. Wie tief dieser Ärger sitzt, zeigen die Kommentare der englischen Presse bezüglich des Lüders-Falles. Die Londoner „Saturday- Review“ schlofs einen von politischer Mifsgunst und wirtschaftlichem Neide strotzenden Artikel mit den Worten: „Ceterum censeo, Germaniam esse delendam.“ Dies beweist, wessen Deutschland vonseiten Englands even tuell gewärtig sein mufs. Ganz abgesehen von diesen speziellen Beziehungen ist heutzutage jede Nation im Verhältnis zu ihrer Zivilisation und ihrem Anteil am Welthandel 16