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selbst in die Stadt ritt, um sie mündlich zu wiederholen, so daß zu einer Zeit, wo wir in der ganzen Gegend auch nicht nur ein Pferd aufzutreiben gewußt hätten, zu unserm gro ßen Erstaunen den 2 6. Mai srüh sechsundzwanzig Bauern-Wagen er schienen, um die Kranken abzuholen. Diese Wagen hatten von Freiberg der Armee Brot nachgefahren und der Com- missair hatte sie, im Eifer uns zu dienen, und da, wie er sagte, es kaiserlicher Befehl sei, uns nicht zu lange zu be lästigen, zu diesem Zweck in Requisition gesetzt. Sie muß ten heute und morgen den Weg viermal machen, und so wurden wir sämtliche Offiziers und ins Ganze gegen 1200 Mann los. Der Saal, die Anstalt und der ganze Gemeine-Ort wurde dadurch befreit und die noch übrigen Verwundeten konnten in den herrschaftlichen Scheunen untergebracht werden. Zugleich hörte der äußerst beschwer liche Dienst unserer Brüder auf, was noch zu tun ivar, mußten einige Dorf-Einwohner verrichten, deren mehrere sich einstweilen wiedergefunden hatten. Wir bedauerten, daß zugleich der erwähnte Commissair so wie der seitherige Directeur, denen wir so manches zu verdanken hatten, ab gingen, um sich in das kaiserliche Hauptquartier zu be geben. Sie hatten noch zuletzt einen sehr vorteilhaften Be richt an den Kaiser, über das gute Benehmen der Coronie gegenüber dem Lazarett entworfen und die Einwohner des Ortes der besonderen Gnade „Seiner Majestät" empfohlen. Wir fühlten ihren Verlust in der Folge um so mehr, da der neue Directeur, eiu geborener Westindier, ein untätiger und für uns wenig Teilnahme zeigender Mann war. Am 2 7. Mai an dem Gedächtnis-Tage der Himmel fahrt unseres Herrn, konnten wir wegen des Zustandes unseres Gemein-Saales den Tag nicht wie sonst begehen, gar manche stille Freudentrnnen flössen. Wir waren erneut auf unserem Wunderpfade davon Zeugen gewesen, daß der Herr bei den Seinen ist bis ans Ende der Tage, und auf das gemeinschaftliche Zusammenschlicßen seiner Kinder, auch in den trübsten Stunden, mit freundlichem Auge herab sieht, sie mit Trost und Friede erfüllt, und wenn sie auch zuweilen sich versäumt und verlassen Vorkommen, unver sehens mit augenscheinlichen Beweisen seiner Aufsicht und rettenden Treue beschämt. Diesen Eindruck belebte in unse ren Herzen die teilnehmende tätige Freundschaft unserer lieben Geschwister in Niesky aufs neue, die heute und in den folgenden Tagen mehrmals Sendungen von Lebens mitteln zur Unterstützung unserer armen Ausgeplünderten hierher schickten, die von den Empfängern, die derselben höchst bedürftig waren, mit dankbarer Rührung und dem Wunsche angenommen wurden, daß der liebe Heiland ihre Wohltäter selbst für diese Gaben lohnen und sie besonders vor solchen Unglücksfällen, wie sie zu erfahren bekommen hatten, in Gnaden bewahren wolle. Eine besondere Erwäh nung verdient noch, daß sämtliche Brüder des Seminariums zu Niesky sich aufgereckt und willig gefunden hatten, die erste Sendung in Person hierher zu bringen. Auf diesen ruhigen und frohen Tag folgten den 2 8. Mai mancherlei Angst-Stunden. In der Gegend her um st reichende Marodeurs hatten schon seit mehreren Tagen überall durch Plündern und Gewalttätig keiten Schrecken verbreitet und waren uns auch öfters nahe gekommen, aber doch durch unsere starken Platzwachen mit Unterstützung der Herren von der Ambulance wieder ent fernt worden, doch seit gestern hatten sie sich fast ununter brochen in dem benachbarten Klein-Setdau aufgehal ten. Da ihre Zahl heute bis auf 32 gestiegen war, wurde ihre Raubsucht immer dreister, und als die Bauern, dadurch zur Verzweiflung gebracht, sich ihnen widersetzten, schossen sie einen starken jungen Mann auf der Stelle nieder. Doch dieses schreckliche Ereignis setzte ihrem Unfug ein Ende. Es wurde darüber sogleich ein Bericht nach Bautzen ge macht: dies hatte zur Folge, daß unverzüglich ein starkes Commando Westfäler aufs Land geschickt wurde, um diese Bösewichte aufzugreifen. Es wurden deren 72 in das benachbarte bei Bautzen stehende Lager eingebracht, nachdem sie vorher sich zur Wehr gesetzt und mehrere Soldaten be deutend verwundet hatten. Seit diesen ernsthaften durch greifenden Maßregeln hörte man nichts mehr von Unord nungen dieser Art. Sie hatten uns Veranlassung gegeben, uns um eine französische Sauvegarde sBeschützungs-Mann- schaft) für unseren Ort zu bemühen. Da aber den 2 9. Mai, wiederholten Vorstellungen ungeachtet, dieses Gesuch, wozu man uns schon viel Hoff nung gemacht hatte, nicht zu erhalten war, so gereichte uns die Tages-Losung zur Belehrung: „Es ist gut auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Mensche n." Diesen Mittag trafen die zwei ersten Stuben-Gesell- schaften unserer Knaben-Anstalt der ihnen erteilten An weisung gemäß gesund und heiter wieder bei uns ein. Das Wohnhaus derselben war gründlich gereinigt worden. — Am 2 8. Mai schickte der Obrist Prendel von Spremberg aus durch einen Offizier mit 40 Ko saken ein Billet mit der Aufschrift: „An die Lehrer und Lehrerinnen der Brüder-Gemeine." Es hieß darin: „Mir liegen die lieben Kinder so sehr am Herzen, daß ich alle Lehrer und Lehrerinnen damit bitte, mich durch diesen Offi zier wissen zu lassen, wie es ihnen seit meiner Abwesen heit ergangen ist, und ob sie noch zu leben oder andere Bedürfnisse haben, worin ich helfen känn. Gott mit Euch und meinem Gruß." Späterhin schrieb er in einem Bries aus So rau an Bruder Herbst: „Grüßen Sie meine lie ben, guten Kinder: vielleicht besuche ich sie bald selbst." Und von Crossen lau der Oder) aus trug er einem seiner Adjutanten, der in die hiesige Gegend reiste, einem ge borenen Kamtschadalen, namens Polycarß Iwanowitsch, ausdrücklich auf, sich hier nach dem Befinden seiner ihm so lieb gewordenen Kinder aufs genauste zu erkundigen. Den 31. Mai wurde der Anfang gemacht, ans unserm Gemein-Saal das zum Gebrauch des Lazaretts hinein geschaffte Stroh, das noch gestern einer Truppen-Abteilung, die in der Nacht durcheilte, zu eiuer angenehmen Erholung und uns als Schutzmittel gegen Einquartierung derselben gedient hatte, Hernuszuräumen und ihn durch gründliches Scheuern und Reinigen wieder in Stand zu setzen und durch wiederholte Räucherungen zu säubern. Den 1. Juni traf der sächsische Landes-Kommissair, Herr von Carlowitz ans Bautzen, nachmittags selbst hier ein, an den hatte man sich nämlich wegen Fort schaffung der noch hier befindlichen Bleßierten gewendet. Und nachdem er sich von der Lage der Dinge sorgfältig unterrichtet hatte, versprach er baldige Abhilfe. Durch seine gütigen Veranstaltungen erschienen am 2. Juni in aller Friihe 8 5 Schubkärner, die alle noch hier befindlichen Kranken wegschafften, bis auf drei, die im Sterben zu sein schienen. Zwei davon gaben auch wirklich nachmittags ihren Geist auf. Gegen Abend kamen daun unsere sämtlichen Kinder der Anstalt zu unsrer aller Freude gesund und ver gnügt wieder in unsrer Mitte au. Sie hatten ihren Aufent halt in Uhyst mit einem feierlichen Morgensegen beschlos sen und dem Heiland für seine erfahrene Treue, Liebe und Durchhülfe in einem Gebet ihren kindlichen Dank dargebracht. Die Gesundheit sämtlicher Kinder war bei so manchen Ungewohnheiten der Lebensart und Speisen, wozu noch Ängstlichkeit und Schrecken in einzelnen Fällen kam, nicht im geringsten gefährdet. Den 3. Juni verbreiteten sich allerhand unruhige Ge rüchte, als wenn sich wieder Unsicherheit durch Maro deurs in der Gegend gezeigt hätte: glücklicherweise fanden sie sich aber bei näherer Untersuchung meist alle unbegrün det. Im Gegenteil sahen wir immer mehr alles zur vori gen Stille und Tätigkeit friedlicher Zeiten zurückkehren.