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i > > i i i i I I t I t c c e 1 r f i i n r r Das Gespenst Die peinliche Geschichte von einemHemdeklemper und seiner Not Gespenst! Ja, wer entsinnt sich nicht, davon gehört zu haben? Wieviel eisige Schauer, schreckverzerrte Gesichter, wild klopfende Herzen hat nur dies Wörtlein mit seinen heimlichen und unheimlichen Zusammenhängen schon heroorgerufen. Ge wiß, am Tage, bei lachendem Sonnenschein, da man freiatmend alle Gegenstände und Vorgänge erkennt, ei da spricht man leichten Herzens von solchen Dingen, — aber nachts, wenn des Auges Gesichtskreis eng begrenzt ist, wenn nichts als Dunkel uns umgibt, wenn der trauten Lampe Schein das Dunkel in der Umgebung noch vertieft, ja, da hört man nur ungern gespenstische Dinge, oder man genießt sie in zahlreicher Gesellschaft mit gruseliger aber sicherer Freude. Man sagt: Nachts sind alle Kühe schwarz! Gut. Wenn aber einmal ein Ding, es braucht keine Kuh zu sein, trotz nächtlichen Dunkels weiß erscheint, dessenungeachtet aber nicht bestimmt erkennbar ist, — dann ist es für zimperliche Seelen eben ein Gespenst, und man hat dann nichts eiligeres zu tun, als sich aus Leibeskräften zu fürchten. Diese Furcht kann harmlose, aber auch unangenehme Folgen haben, und es bleibt immer ein verwerfliches Spiel, wenn sich Irgendwer aus Lust am Jux herbeiläßt, als Gespenst andere Menschen zu erschrecken, oder, wenn sich jemand um irgend eines Zweckes (Habsucht, Rache) willen dieses Spukes bedient. Das also ist, wie gesagt, verwerflich. Nun kann es aber auch vorkommen, daß einer ohne zu wollen, die Rolle eines Gespenstes spielen muß, und das soll für den Betreffenden scheußlich peinlich sein. Ich glaube das auch, seit ich als Kind von meinem Urgroßvater hörte, — was im Folgenden ent halten ist. Man braucht nicht grade ein Leichtfuß zu sein, um wäh rend der Arbeit fortgesetzt daran zu denken, wie schön es sein wird, wenn diese getan ist. Ja, wieso denn? Das bringt auch schließlich ein Leinwebergeselle fertig, zumal, wenn man so jung ist wie damals mein Urgroßvater und sein Vetter Nierig, und wenn der Sommer gar so prachtvoll durch's kleine Fenster lacht wie Anno 1839. Urgroßvater und sein Vetter Nierig! Das müssen zwei lebensfrohe Burschen gewesen sein. Ich kannte sie beide, als sie über achtzig Jahre alt waren. Sie hatten noch immer ihren guten, Kernlausitzer Humor, und durch all ihr Erzählen klang es wie ferne Iugendlust. Oft erzählten sie davon, wie einfach damals Sitten und Gebräuche waren, wie reich der Tag an schwerer Arbeit war, wie sie für ein Geringes sich ost mehr plagen mußten, als man heutzutage für gut und fleißig hält. Doch wußten sie noch viel mehr schnurrige Dinge. Gar belustigend war's, dem Ur großvater zuzuhören, wenn einmal das Gespräch auf die Freu den und Leiden der Gesellenzeit kam. Er erzählte da gern, wie ihm kurz vor Feierabend immer das Sitzefleisch wehgetan hat, wie seine Beine, die doch bei der Weberei ohnehin den ganzen Tag zappeln mußten, sich gesehnt haben, ihren Besitzer über Stock und Stein zu tragen, zu irgend einer Teifelei oder gar zum Schamusieren mit der Liebsten. Solches und noch vieles Andere erzählte er in seiner kurzen, bedächtigen Art, wobei die Tabakspfeife nie ausging. Ein heißer Sommertag des Jahres 1839. Der Nachmittag tritt langsam seine Herrschaft an den Abend ad. Weil es Sonnabend ist, so dürfen sich die Webergesellen eine Stunde früher vom „Gezehe" (dem Wcbstuhl) wegdrücken. Sprangen also auch Härtigs Wilhelm und Vetter Nierig be hende vom Sitzbrette: hatte doch „dr Ahle" soeben gebrummt: „Ihr kinnt meintswaign Feierobd machn." Das schloß aber keineswegs aus, daß sie seinetwegen auch noch weiter arbeiten dürften. Doch sie waren zu jung, um den Feierabend nicht als willkommene Gabe zu begrüßen. Die Abendsuppe mit Schwarzbrot ward hastig verzehrt und zum Ausgehen waren sie noch schneller bereit. Als sie das Häusl im Hörnitzer Oberdorfe verließen, klang's von drinnen schon wieder: Wumtata — vumdeck, Wumtata — vumdeck. Der Meister wirkte also noch feste weiter. Als nun die beiden Gesellen unter den Pflaumenbäumen hin dem Dorfwege zuschritten, überlegten sie, wie der schöne Sommerabend am besten zu verbringen sei. Das war ein heißer Tag gewesen. Eine Abkühlung müßte nicht übel sein. Da riet Vetter Rierig: „Wetzte woas, Wilhelm? Mir giehn u de Sanddrähe fischn, und wenn de Sunne ganz undergangn is, do Kinn mer'ch o no boadn." Der Rat gefiel. Sie gingen an seine Ausführung. Für Angelstock und Hakenschnur war leicht gesorgt. Regenwürmer suchten sie unterwegs. „Sand-Drehe" nennt man noch heute jene Stelle in der Manoau unfern des Armenhauses, welche durch besondere Tiefe und Wirbel und außerdem noch dadurch kenntlich ist, daß dort der Flußlauf ein fast rechtwinkeliges Knie macht. Dort ist das Ufer felsig, und eine mehrere Meter hohe Wand, zackig und vom Wasser zerspühlt, bildet im Verein mit dichten Sträuchern und Gewächsen einen still verborgenen Zauberwinkel. Auch Härtigs Wilhelm und sein Vetter Nierig mochten das empfinden, wenn sie auch nach der herben Art unserer Lausitz der schönen Stimmung mit keinem Wort gedachten. Es war auch gut so. Aller Naturzauber, alle Gotteswunder wollen schweigend genossen sein. Worte sind zu menschlich, um damit das Göttliche schöner zu machen. So warfen sie denn ihre Angelschnur aus. Es folgte ge duldiges Warten: aber dann schien es, als habe irgend ein Nixlein die Fische beschwatzt: „Seht da über Euch die beiden Ungetüme, das sind Menschen. Flieht ihre Nähe, sie deutet Euch nichts gutes." Der rosige Abendhimmel und die dunklen Nadelbäume vom jenseitigen Ufer spiegelten sich malerisch auf der stillen Wasserfläche. Dies Bild wurde nur zerrissen, wenn einer der beiden Angler seine Schnur weiter flußaufwärts warf, oder, wenn da und dort ein Fischlein kühne Luftschnapper machte, wobei dann aus dem schönen Spiegelbild ein wirres Durch einander wurde. Der Abend war außergewöhnlich milde. Mit zunehmen der Dunkelheit begann das Wasser zu dampfen. Eine Amsel sang drüben in den Fichten ihre wunderlieben Weisen. Droben in der Hangschonung des Scheibeberges bellte ein Rehbock sein herrisches „bö, bö!" Das war zuviel Schönes für Härtigs Wilhelm. Wald und Wild waren seine unglückliche Liebe. Ungeduldig sagte Wilhelm: „Vetter, doas duicht'che (dies da) wird mir zu dumm. Ich hoa keene Ranwürmer mie. Do beßt überhaupt kee Luder oa. Weeß der Hohle, doß die Fische heut kenn Hunger honn! Ich gieh Heern!" „Nu abr, Wilhelm, wirst'ch doch wingstns no mit boadn! Su woarm is's Wossr ne jedn Obd." Doch Vetter Wilhelm war nicht zum Baden zu bewegen. Er war ein guter Schwimmer und auch sonst eine rechte Wasser ratte, aber da gilt es eben zu bedenken, daß er in jenen Tagen schon die Marialiese, ein holdselig Mädchen, kannte (die wurde viele Jahre später meine Urgroßmutter), die ja in ihrem hohen Alter noch Spuren einstiger Schönheit an sich gehabt haben soll. Alles, was ich von der Marliese hörte, läßt mir noch heute Urgroßvaters Ungeduld an dem Ängelabend begreiflich er scheinen: nur Vetter Nierig begriff sie damals nicht, weshalb er zu Wilhelm sagte: „Nu, mentholbn koannste giehn. Ich boad miech —!" Wilhelm wickelte seine Angelschnur um den Stecken, setzte sich die Düchelmütze verwegen auf's Ohr und ging mit den Worten: „Na Gunacht Vetter. Dersaus ock ne! Dort drübn (Wilhelm zeigte auf eine besonders tiefe Stelle im Wässer) dorfste ne hiegiehn. Durte gieht dersch über'» Kupp. Na Gunacht!"